Dokumentarische Biopics: So nah wie niemals zuvor

26.06.2017 - 12:00 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Whitney Houston in SparkleSony Pictures
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Dank allgegenwärtiger Fernsehkameras entstehen Filme, die sich an der Grenze zwischen Dokumentation & Biopic bewegen. Sie versprechen mir eine neue Nähe zu den Legenden von früher.

Letzte Woche sah ich Whitney - Can I Be Me im Kino. Die Whitney Houston, die ich kannte, sang Schnulzen im Radio und starb nach jahrelanger Drogensucht. Die Frau, die ich jetzt auf der Leinwand sehe, scheint mit derjenigen, die ich kannte, nichts zu tun zu haben. Ihre Stimme hat solche Gewalt und ist dabei trotzdem erkennbar erfüllt von Leidenschaft und Mut. Ich sehe ihr Gesicht, ich höre ihre Stimme; und in diesem Moment verstehe ich, was es heißt, vor all diesen Menschen auf der Bühne zu stehen. Es gibt mir ein Bild davon, was es heißt, aus der Schnulze eine Ode zu machen.

Den echten Helden nahekommen

Diese Bilder von Whitney Houstons letzter erfolgreicher Welttournee 1999 sind ein beeindruckendes Beispiel dafür, welche Kraft die Originalaufnahmen von Künstlern bei der Arbeit haben. Nicht nur geben sie mir dieses ganz besondere Gefühl der Nähe, sondern sie wecken in mir auch den Wunsch, dieser Person näherzukommen.

Whitney - Can I Be Me

Es ist ein heikles Terrain, diese Suche nach einer Person. Denn es bedeutet, dass ich Zugang zu einem Ort bekomme, der mir vorher bewusst verschlossen war. Wenn ich einen biographischen Film schaue, hoffe ich, dadurch etwas Verborgenes über den Menschen erkunden zu können. Mir persönlich ist es dabei sehr wichtig, dass die historischen Fakten stimmen. Ein Grund, aus dem ich klassischen Biopics immer ein wenig kritisch gegenüberstehe. Nie weiß ich wirklich, was zugunsten einer spannenden Handlung erfunden wurde und was tatsächlich passiert ist.

Was mich aber noch mehr am Biopic stört, ist, dass es mir keine so intimen Momente wie den obigen mit der echten Künstlerin bescheren kann. Natürlich schafft es ein handwerklich großartiger Film wie Rush - Alles für den Sieg, die Dramatik rund um Niki Laudas schweren Rennunfall auf dem Nürburgring nachzustellen. Doch weiß ich tief in mir drin, dass es nicht der berühmte Österreicher ist, mit dem ich leide, sondern mit Daniel Brühls Version des Rennfahrers. Nun ist es aber so, dass 1976 selbst weltbekannte Sportler nicht an jeder Ecke von Kameras begleitet wurden.

Das hat sich in den darauffolgenden Jahrzehnten jedoch drastisch geändert. Prominente werden mittlerweile auf Schritt und Tritt von der Öffentlichkeit verfolgt. Darüber hinaus filmen sie sich selbst mit ihren Smartphones und Kameras und liefern eine immer größere Menge an privaten Videoaufnahmen. Wenn sie heutzutage sterben, hinterlassen sie immer öfter eine Unmenge an gefilmtem Material.

Ayrton Senna in Jubelpose

Senna ist ein nicht ganz eingelöstes Versprechen

Derjenige, der sich diese Fülle an Bildern als erster konsequent zunutze machte, war Asif Kapadia im Jahr 2010. Für seine Dokumentation über den brasilianischen Rennfahrer und Volkshelden Ayrton Senna schneidet der Filmemacher ausschließlich echte Fernsehaufnahmen sowie private Aufnahmen seiner Familie zusammen. Damit erschuf er meiner Meinung nach ein eigenes Genre, das "dokumentarische Biopic". Dank einer großen Fülle von Fernsehaufnahmen des Stars, diverser Interviews und Pressekonferenzen sowie privater Familienaufnahmen kann Kapadia die Handlung von Senna schneiden wie einen Spielfilm.

Das Ergebnis ist in seinen besten Momenten überwältigend. In Senna ist nichts nachgestellt oder erfunden. Echte Rennautos überholen echte Rennautos auf wahrem Asphalt. Als TV-Kameras beobachten, wie er 1994 in Imola abfliegt und in die Betonmauer kracht, werden sie Zeugen seines Todes. Die Handlung ist spannend. Der noble Senna konkurriert mit dem schlitzohrigen Alain Prost und beweist neben seinem unbändigen Siegeswillen auf der Piste eine beeindruckende Selbstreflektion in seinen Interviews.

Doch Kapadias dokumentarisches Biopic löst das Versprechen, das es mir mit seinen Originalaufnahmen gibt, nur teilweise ein. Je mehr ich über den Brasilianer in Erfahrung bringe, desto mehr lässt es mich an seiner Rolle im Film als idealistischer Held zweifeln. Senna war einer, der sich die Weltmeisterschaft mit einem Crash erschummelt und gleichzeitig über die ungerechte Politik hinter den Kulissen der Rennserie geklagt hat. Diese Widersprüche klärt die Dokumentation nicht auf, sondern dreht sie im Sinne der Handlung zu Ayrton Sennas Gunsten um.

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