Berlin verwandelt sich in ein Schlachthaus im Gangster-Thriller Kein Tier. So Wild. Dabei steht im Mittelpunkt kein stereotyper Pate mit seinen Mucki-Mackern an der Seite, sondern eine gewitzte, diabolische Anwältin. Sie schreckt vor nichts zurück, um sich an die Spitze ihres Klans zu setzen. Vorbild ist mit König Richard III. einer der berühmtesten Bösewichte der Literaturgeschichte, doch Regisseur Burhan Qurbani hat alles andere als eine gewöhnliche Shakespeare-Adaption gedreht.
Aus Richard III. wird die diabolische Rashida in Kein Tier. So Wild.
Vor fünf Jahren legte Qurbani seine Adaption von Döblins Berlin Alexanderplatz vor – ein gewaltiger Gangsterfilm, der sich teils in die Stadt stürzte, wie in einen Ritt durch die Hölle. In Kein Tier. So Wild., der bei der Berlinale außerhalb des Wettbewerbs läuft, geht es noch düsterer zu. Dieses Berlin ist der Unterwelt anheimgefallen, genauer gesagt den Familien York und Lancaster.
Vor Gericht stehen sie sich früh im Film gegenüber, die Männer auf der Anklagebank, aber eine Frau führt das Wort. Es ist Verteidigerin Rashida York (Kenda Hmeidan), die für ihre syrischstämmige Familie die Drecksarbeit macht, dafür aber weder gewürdigt noch vernünftig entlohnt wird. So sieht sie es zumindest. Im Verlauf des Films flüstert sie uns Zuschauenden ihre dunklen Pläne ins Ohr. Stück für Stück werden die Yorks und Lancasters dezimiert.
Schaut euch hier den Trailer für Kein Tier. So Wild. an:
In William Shakespeares 1597 gedrucktem Theaterstück hieß Rashida noch Richard III. Er basierte auf einer realen historischen Figur, die von Shakespeare zum rücksichtslosen Schurken verformt wurde: ein Buckliger, der über Kinderleichen geht. Und was für ein Schurke er ist! Der derangierte Entertainer spricht sein Publikum wie Komplizen an, während er seinen Feinden den Garaus macht und anschließend deren Witwen um den Finger wickelt.
Wenig überraschend bedienen sich Film und Fernsehen seit Jahrzehnten bei diesem Stück. 1995 spielte der spätere Gandalf Ian McKellen seinen Richard III. als quasi-faschistischen Diktator. Und auch die britische und die amerikanische Verfilmung von House of Cards durchleuchten ihre jeweiligen Regierungsstrukturen mithilfe einer von Richard inspirierten Hauptfigur. Kein Tier. So Wild. gehört zu den freien Adaptionen.
Im Mittelpunkt des Films wütet eine Naturgewalt
Rashida trägt keinen Buckel, das muss sie auch nicht. Als Frau ist sie ein Familienmitglied zweiter Klasse. Aufgrund ihres Geschlechts bleibt ihr der Weg zur Krone verwehrt. Ihr Bruder Imad (Mehdi Nebbou), sozusagen der König, hat sogar schon ihre Verheiratung im Sinn. Dieser Gender-Switch funktioniert ganz vorzüglich. Die Entscheidung ergibt sich stimmig aus der Gangsterwelt heraus und beschränkt sich nicht nur auf Richards beziehungsweise Rashidas Figur.
Das Gros des männlichen Personals wird schon bald in die zweite Reihe verbannt oder abgemurkst. An ihrer statt schält sich Elisabet (Verena Altenberger ), die Frau des Königs, als wahre Gegenspielerin von Rashida heraus. Auf der einen Seite steht die eingeheiratete und zum Islam konvertierte Außenseiterin, die im Rahmen ihrer augenscheinlich passiven Rolle Geld anhäuft. Auf der anderen Rashida, die die Geschlechterrollen erst mit ihrem Beruf und dann mit ihrem blutigen Pfad zur Macht aufzusprengen sucht.
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Bei allem Verständnis für Rashidas Situation gerät im Drehbuch von Enis Maci und Burhan Qurbani aber glücklicherweise nicht aus dem Blick, was Richard III. in einen solch unterhaltsamen Stoff verwandelt. Das ist die Lust am Bösen, am Verwerflichen, an der Überschreitung von moralischen Grenzen.
Die großartige Kenda Hmeidan bringt diese Lust zum Ausdruck, wenn sie die Verdorbenheit ihrer Figur in jeden Buchstaben und jede Pause wirft. Kein Tier. So Wild. beginnt als stylischer Gangsterfilm voller dunkler Hinterzimmer und dramatischer Auftritte. Je mehr Macht Rashida an sich reißt, desto desolater, karger und auch mythischer gerät ihre Umgebung. Zack Snyder würden angesichts der sagenhaften Bilderwelten die Tränen kommen (besäße er Geschmack).
In Kein Tier. So Wild. wird mit Gewalt eine alte Welt abgerissen, bis man die Trümmer im Staub suchen muss. Nur die neue Welt, für die hat Rashida keinen Plan. Sie ist eine Naturgewalt und dieser Film gehört ganz Kenda Hmeidan.
Kein Tier. So Wild. wurde bei der Berlinale in der Sektion Berlinale Special gezeigt. Der Film kommt am 8. Mai 2025 in die deutschen Kinos.