Die Gewaltreflexionen deutschsprachiger Filmemacher

17.03.2014 - 08:50 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Concorde
Der rückversichernde Blick an die Zuschauer in Funny Games (1997)
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In Filmen aus Deutschland und Österreich wird Gewalt nicht (nur) zu Unterhaltungszwecken eingesetzt. Filmemacher von Rainer Werner Fassbinder über Michael Haneke bis Uwe Boll setzen sich inhaltlich wie formal mit verschiedenen Arten von Gewalt auseinander.

Nach den expressiven Filmen der Weimarer Republik und den Propagandafilmen der Kriegsjahre begann zwischen den Trümmern zerbombter deutscher Städte das Filmemachen nach 1945 von vorn. In den sogenannten Trümmerfilmen beschäftigten sich Regisseure mit der Alltagswirklichkeit in Deutschland der ersten Nachkriegsjahre. In den 1950er Jahren lösten unterhaltsame Heimat- und Schlagerfilme die frühen Beiträge zur Vergangenheitsbewältigung ab und präsentierten den am Wiederaufbau hart arbeitenden Deutschen eine wahre Filmidylle für die Freizeit. Kriegsfilme wie Die Brücke dagegen lenkten mit ihrem Fokus auf das Leid der Wehrmachtsoldaten zunächst von einer Aufarbeitung an der Mitschuld des deutschen Volkes an den Gräueln des Dritten Reiches ab. In der DDR dagegen sollten sozialistische Biographie-, Arbeiter- und Lustspielfilme den Alltag des jungen Arbeiter- und Bauernstaates widerspiegeln. In den restaurativen Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg stand zusammengenommen eher das Vergnügen der Zuschauer im Vordergrund und nicht die Debatte um das eigene Verhalten während der Kriegsjahre.

Die deutsche Nachkriegsgesellschaft
Vor diesem Hintergrund schuf die Generation der Kriegskinder in der BRD ein Kino, das sich mit dem alteingesessenen Dasein des deutschen Bürgertums in den 60er Jahren auseinandersetzte. Bereinigt von allem Pathos in der Bild- und Formsprache lieferten Regisseure wie Rainer Werner Fassbinder, Volker Schlöndorff, Peter Fleischmann, Alexander Kluge und Werner Herzog einen mal realistischen, mal historischen Blick auf die Verhältnisse in der deutschen Nachkriegsgesellschaft. Hauptthema ist das an den Zwängen des bürgerlichen Umfelds leidende Individuum. Häufig schlägt die anfängliche, nur strukturell greifbare Gewalt, die sich aus einer Mischung aus Vorurteilen, Ressentiments und Neid zusammensetzt, in die seelische oder körperliche Vernichtung der freiheitsstrebenden Einzelgänger um.

“Wer gegen die Natur ist, hat kein Recht” (Jagdszenen aus Niederbayern)
In Peter Fleischmanns Jagdszenen aus Niederbayern stoßen ein Jahrhunderte altes Gemeinwesen und die Moderne der 60er Jahre aufeinander. Der junge, homosexuelle Mechaniker Abram wird in einer in sich geschlossenen, beinahe archaisch wirkenden Dorfgemeinde erst zum Außenseiter und schließlich, nachdem Gerüchte über sein Fernbleiben in der Stadt, die sich um Unzucht und Gefängnis drehen, die Runde gemacht haben, zum Gejagten. Ähnliches verhandelte auch Rainer Werner Fassbinder in seinen frühen Filmen. Katzelmacher etwa erzählt vom Argwohn und der Aggression einer durch Fabrikarbeit und Langweile abgestumpften Gruppe gegenüber einem griechischen Gastarbeiter. Volker Schlöndorff zeigte mit Der junge Törless, nach einem Roman von Robert Musil von 1906, wie sich die Gewalt des großväterlichen, preußischen Bildungssystems der Kaiserzeit, das Drill und Gehorsam als Erziehungsmethoden einsetzte, im Charakter der nachwachsenden Jugend und späteren Hitlergeneration festsetzte.

“Warum tun sie das?” – “Warum nicht?” (Funny Games)
Der sogenannte Neue Deutsche Film, der gegen das volkstümelnde und biedere (groß-)väterliche Kino der Bundesrepublik antrat, warf einen herausfordernden Blick auf die Mechanismen – Traditionen und Befindlichkeiten der deutschen Seele –, die zur Entstehung von Gewalt führen (können). Konsequent ausgespart ist dabei die Frage nach dem Warum. Um diese große Leerstelle, diesen blinden Fleck in der langen Geschichte der nicht nur deutschen (und österreichischen) Kultur, kreisen die zum Teil selbstreflexiven Gewaltfilme von Michael Haneke. Der Österreicher zeigte in Benny’s Video, Funny Games und Wolfzeit wie eine durch Mord oder drohende körperliche Gewalt in eine Ausnahmesituation versetzte Kleinfamilie reagiert. Die Frage, warum das Unvorstellbare geschieht, steht hier direkt im Raum, findet aber keine zufriedenstellende Antwort. Dass der Mensch den Menschen hetzt, weil er es kann, scheint als eine sich selbst genügsame anthropologische Konstante auf. Die Antwort lautet: Weil es menschliche Kultur gibt, gibt es auch Gewalt. In Die Klavierspielerin (nach einem Roman von Elfriede Jelinek), Caché und Das weiße Band – Eine deutsche Kindergeschichte variiert Michael Haneke diesen Zusammenhang noch um je verschiedene familiäre Abhängigkeitsverhältnisse.

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