Der Dorn im Herzen von Michel Gondry

21.04.2010 - 17:16 Uhr
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Michel Gondry hat einen Dokumentarfilm über seine 82jährige Tante Suzette Gondry gemacht. Was hat es damit auf sich?

Michel Gondry ist gemeinhin bekannt als phantasievoller, nostalgischer und verspielter Filmemacher. Hollywood eroberte er mit Vergiss mein nicht!, Science of Sleep – Anleitung zum Träumen oder Abgedreht, diesen Winter erwarten wir seinen ersten großen Blockbuster The Green Hornet. Als Kontrastprogramm kommt nun L’épine dans le coeur von Gondry in die französischen Kinos, ein kleiner, liebevoller Dokumentarfilm à la Gondry.

L’épine dans le coeur handelt von Gondrys Tante Suzette, die über 30 Jahre lang in den Cevennen Grundschullehrerin war. Sie erinnert sich daran, wie es war, als Lehrerin eine einzige Klasse zu unterrichten, in der alle Altersstufen vertreten waren. Ihre Erinnerung benutzt Gondry, um das gesamte Bildungssystem Frankreichs Revue passieren zu lassen. Mit einem nostalgischen Blick schaut er auf die Zeit zurück, in der ein Dorflehrer auf dem Land alle Kinder einer Dorfgemeinschaft unterrichtete. Ein wenig klingt das Ganze wie der französische Erfolgsdokumentarfilm Sein und Haben, in dem Nicolas Philibert liebevoll den Schulalltag in einer kleinen Bergschule wiedergab.

“Weniger naturalistisch als ein Nicolas Philibert in Sein und Haben, verwendet Michel Gondry seinen bekannten Sinn für Poesie, so zum Beispiel in jener wunderschönen Szene, wo die Schüler unsichtbare Kostüme hinter sich herziehen: der Cineast hat darin ihre Körper mit einem cleveren Spezialeffekt "wegradiert"", lobt der Télérama.

Die französischen Kritiker sind generell ziemlich beeindruckt von diesem kleinen Dokumentarfilm, den sie so vom großen Michel Gondry nicht erwartet hätten, der Frankreich den Rücken gekehrt hat. Während er L’épine dans le coeur drehte, entwickelte sich vor seiner Kamera eine zweite Handlungslinie, die des Sohnes der Lehrerin, des Cousins von Michel, Jean-Yves. “Jean-Yves ist ein Dorn in meinem Herzen”, weint die alte Frau in einer Szene, woher auch der Titel des Films rührt. Jean-Yves ist homosexuell, konnte darüber nie mit seinem verschwundenen Vater sprechen, seine Mutter schweigt sich darüber aus, erzog ihn immer strenger als alle anderen Schüler. Jean-Yves flüchtete sich in Super-8-Filme, die wir auch zu sehen bekommen. Ein Spiegel des Schaffens von Michel Gondry? So sieht es jedenfalls die französische Tageszeitung Le Monde, die L’épine dans le coeur als Schlüssel zum Gesamtwerk von Michel Gondry sieht.

Hier der Trailer mit englischen Untertiteln

Ein Interview mit Michel Gondry auf französisch

L’épine dans le coeur hat leider keinen deutschen Kinostarttermin. Schade, denn für Fans von Michel Gondry könnte sich dieser innovative Dokumentarfilm sicher lohnen.

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