Der Musikfilm Springsteen: Deliver Me From Nowhere spielt Anfang der 1980er Jahre. Es ist der Abschnitt im Leben von Bruce Springsteen (Jeremy Allen White), in dem er sein Album Nebraska hervorbringt. Darin verarbeitet er seine Vergangenheit, bevor er den Schritt zum Weltstar geht. Moviepilot traf Regisseur Scott Cooper vor dem Kinostart, um über sein ungewöhnliches Biopic zu sprechen.
"Alles ist wirklich passiert": Springsteen-Regisseur Scott Cooper im Interview
Scott Cooper begann seine Karriere als Schauspieler, wechselte aber 2009 mit Crazy Heart ins Regiefach. Anschließend beeindruckte er mit düsteren amerikanischen Erzählungen wie Auge um Auge und Feinde - Hostiles. Mit Springsteen kehrte er 16 Jahre nach seinem Regiedebüt ins Genre des Musikfilms zurück und errichtete einem seiner großen Idole ein filmisches Denkmal.
Beim Treffen in einem Berliner Hotelzimmer zeigt sich Scott Cooper als redegewandter Gesprächspartner, der seine bereitgestellten Schokopralinen gerne auch mit fremden Journalist:innen teilt. Selbstbewusst, aber auf eine augenzwinkernd-einnehmende Art, brennt er für seinen Film und spricht so offen wie sein Hauptdarsteller Jeremy Allen White über Springsteen-Ängste und kreative Entscheidungen.
- Film-Check: Lohnt sich der Film Springsteen?
Schaut hier den Trailer zu Springsteen:
Moviepilot: Anders als bei anderen Biopics hast du dir einen bestimmten Zeitraum aus Bruces Leben herausgegriffen. Was war zuerst da: Die Idee, einen Springsteen-Film zu drehen, oder Warren Zanes' Buchvorlage Deliver Me From Nowhere * zu dieser Epoche?
Scott Cooper: Ich habe schon seit meinem ersten Film Crazy Heart über einen Bruce Springsteen-Film nachgedacht. Aber erst als ich Warrens wunderbares Buch Deliver Me From Nowhere las, dachte ich, dass ich diesen Film wirklich umsetzen konnte.
Was hat dich persönlich an der Buchvorlage und dieser Ära in Bruces Leben angesprochen?
Ich denke, es war die emotionale Ehrlichkeit, der ehrliche Blick ins Innere. Ich bin ein glühender Bruce Springsteen-Fan (und ich glaube, bei ihm kann man kein "Gelegenheits-Fan" sein). Aber wenn man an Bruce Springsteen denkt, dann eher an Songs wie Born in the USA und Born to Run – also etwas, was lauter und hymnischer ist.
Ich fühlte mich vom Leisen angezogen und ich wollte einen leisen Film machen. Als mein Vater, dem ich den Film gewidmet habe, mir [das Album] Nebraska als Teenager vorstellte, war ich ein desillusionierter Teenager, der sich nicht sicher war, welchen Platz er in der Welt hatte. Dieses Album hat mich tief berührt. Indem ich viele Jahre später diesen Film machte, schloss sich für mich der Kreis.
Auch Bruces Vater, Douglas Springsteen, spielt eine entscheidende Rolle in seinem Leben. Während Bruces Depression am Ende deines Films konkret per Texttafel benannt wird, bleiben die mentalen Schwierigkeiten seines Vaters hingegen vage. War das eine bewusste Entscheidung?
Alles, was man auf der Leinwand sieht, ist bewusst so. Wir hören seine Mutter sagen, dass sein Vater Stimmen hört, dass er seine Medikamente nicht nimmt, dass es ihm nicht gut geht. Auch Bruce wusste nicht, dass er an einer Depression litt, bis er zum Therapeuten ging. Deshalb war es mir wichtig, dass wir nie jemanden "Depression" sagen hören. Menschen, vor allem Männer, sprachen das im Jahr 1982 nicht aus.
Es ist klar, dass Bruce eine sehr komplexe Beziehung zu seinem Vater hat. Wir sehen, wie dieser kalt, abweisend und lieblos sein kann. Dann wieder sehen wir seinen Vater zutiefst verletzlich: ein isolierter Mann, der ein Leben in stiller Verzweiflung führt, während er am Esstisch sitzt, allein Bier trinkt und Zigaretten raucht. Ich glaube, man muss kein professionell ausgebildeter Psychologe sein, um zu verstehen, dass er an etwas leidet. Man muss also genau hinhören, wenn Bruce in Chinatown nach seinem Vater sucht und seine Mutter sagt, dass er "unkontrolliert" sei und es ihm nicht gut gehe. Aber manchmal ist es besser, wenn das Publikum diese Dinge selbst entdeckt.
Das passt auch zum Titel, denn nach dem Namen Springsteen kommt dort noch der Zusatz Deliver Me From Nowhere (übersetzt etwa: "Befreie mich aus dem Nirgendwo"). Wie interpretierst du dieses "Nirgendwo"?
Es ist ein Ort, an dem wir uns alle befinden, wenn wir mit den Dingen konfrontiert sind, die wir schon lange mit uns herumtragen. Es ist ein spiritueller Abgrund. "Deliver Me From Nowhere" ist eine Textzeile in Bruces Song State Trooper, der auf dem Album Nebraska drauf ist. Ich bin sehr glücklich, dass wir diesen Teil des Titels beibehalten haben. Finanzieller Erfolg, Ruhm, Bewunderung und Errungenschaften können die Leere und spirituelle Verzweiflung häufig füllen. Aber Bruce fühlt sich wirklich, als wäre er nirgendwo, obwohl er gerade einen überwältigenden Erfolg mit seiner Tour zum Album The River hatte.
Jeremy Allen White hat mir im Interview schon erzählt, dass ihr mit "The Boss" persönlich zusammengearbeitet habt. Ich schätze, als großer Springsteen-Fan stand für dich außer Frage, ihn einzubeziehen. Wie lief das ab?
Bruce ist unglaublich beschäftigt. Er war auf Tour, als ich das Drehbuch schrieb und sogar als ich den Film drehte. Ich hatte nicht erwartet, dass Bruce so oft da sein würde. Ich meine: Wer erwartet schon, dass Bruce Springsteen an seinem Filmset herumsitzt? Aber ich denke, er mochte die Gemeinschaft, die wir gebildet haben. Er fand es gut, dass wir sein Leben im Jahr 1982 mit solcher Genauigkeit nachgestellt haben. Ihm gefiel, dass wir an genau den Orten gedreht haben, an denen die Geschichte für ihn stattgefunden hatte.
Gab es Momente, in denen Bruce Springsteen sagte: "Okay, so war das damals aber nicht"?
Oh nein, niemals am Set! Aber er gab mir emotionale Einblicke in seine Gefühlslage, was entscheidend war. Das bekommt man nicht aus einem Buch oder einem Interview. "Bruce, wie ist es, wenn du mit 150 Kilometern pro Stunde die Straße entlangfährst und unglaublich dunkle, suizidale Gedanken hast?" Oder: "Wie hat es sich angefühlt, als du gerade dein Konzert beendet hattest und dein Vater zu dir sagte: 'Komm her, setz dich auf meinen Schoß'?"
Das ist wirklich passiert?
Oh ja! Und er hatte nie zuvor auf dem Schoß seines Vaters gesessen. Alles, was man im Film sieht, ist wirklich passiert. Über vieles davon hat Bruce nie zuvor gesprochen. So etwas trägt dazu bei, dass ein Film sich authentisch anfühlt.
War Jeremy Allen White immer deine erste Wahl als Bruce Springsteen?
Er war die einzige Wahl. Ich habe natürlich über ein paar andere nachgedacht. Viele junge Schauspieler wollten diese Rolle spielen, wie man sich vorstellen kann – ich meine: Wer will nicht Bruce Springsteen spielen? Aber Jeremy teilte eine körperliche Ähnlichkeit mit Bruce im Jahr 1982, wenn man sich Bilder aus dieser Zeit ansieht. Und über die Körperlichkeit hinaus hat er sich auch auf eine bestimmte Art bewegt. Verletzlichkeit und Intensität, Bescheidenheit und Selbstbewusstsein kamen hier zusammen.
Das Einzige, was ich vorher nicht wusste, war, dass er so gut singen konnte! Aber ich glaube, das wusste er bis dahin selbst nicht. Als Jeremy Born in the USA gesungen hat, fühlte ich mich, wie Jon Landau und Bruce Springsteen es zum allerersten Mal empfunden haben müssen, als sie das hörten: "Heiliger Strohsack, wir erleben gerade einen seltenen Glücksfall."
Dein musikalisches Regiedebüt Crazy Heart liegt jetzt 16 Jahre zurück. Hast du etwas von dort mitgenommen, was du hier anwenden konntest?
Ja. Den Leitsatz: "Halte es einfach". Du musst den Leuten nicht zeigen, wie klug du mit der Kamera bist. Hier geht es nicht um den Drehbuchautor und Regisseur Scott Cooper. Lege den Fokus stattdessen auf [Crazy Heart-Hauptdarsteller] Jeff Bridges. Auf Bruce Springsteen. Der Film braucht deine persönlichen Fingerabdrücke nicht. Lass dein gesamtes Ego zurück. Denn Bruce Springsteen hatte auch kein Ego beim Schreiben von Nebraska.
Was ist dein Lieblingssong von Bruce Springsteen?
My Father's House . Es ist Bruces persönlichster Song. Es ist ein nachhallender Song. Und jedes Mal, wenn ich ihn höre, höre ich etwas Neues.
Dieses Interview wurde gekürzt und verdichtet. Springsteen: Deliver Me From Nowhere läuft seit dem 23. Oktober 2025 in den deutschen Kinos.
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