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Das kalte Herz: Der Archetyp der Schneekönigin

01.12.2015 - 10:00 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Weiß und Kalt: Die Schneekönigin, 1966
Lenfilm Studio
Weiß und Kalt: Die Schneekönigin, 1966
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Mythen, Märchen und Träume wirken auf uns irreal und fantastisch. Sie scheinen mit unserer Realität nichts zu tun zu haben und sind sozusagen Fenster zu einer anderen Welt, meist jedoch ein Spiegel unseres Unterbewusstseins. In Märchen geschieht ständig etwas Zauberhaftes, was für uns in diesem Kontext immer als selbstverständlich angesehen wird. Sie sind nicht nur Parallelwelten mit versteckten Weisheiten, in die wir als Kinder gern eintauchten, sondern halten auch im erwachsenen Alter Interessantes für uns parat. Neben gut verpackter Moral treffen wir auch auf die sogenannten Archetypen, die uns ebenso als wertvolle Wegweiser dienen können. Der Artikel enthält Spoiler zu "Die Eiskönigin - Völlig unverfroren" und zum Märchen "Die Schneekönigin".

Hans Christian Andersens Märchen Die Schneekönigin ist eines meiner liebsten unter seinen zahlreichen Erzählungen, welche stets mit versteckten Weisheiten für Jung und Alt aufwarten. Noch heute erfreut sich die Geschichte der Schneekönigin reger Beliebtheit, nicht nur im Film, sondern auch in Form von Theater- oder Musicalaufführungen. Doch wer ist die kaltherzige Schneekönigin und was soll sie uns als Figur vermitteln?

Archetyp allgemein: Der Begriff des Archetypus wurde von Carl Gustav Jung in die Psychologie eingeführt. Er selbst entnahmt ihm der griechischen Mythologie.

Zur Entdeckung der Archetypen gelangte Jung, nachdem ihm die Ähnlichkeit vieler Bildmotive in Mythen und Märchen, aber auch in Träumen und Phantasien von Geisteskranken aufgefallen war. Jung begann, weitere Träume von Kindern und kulturhistorisch nicht gebildeten Patienten genauer zu betrachten, und er fand Parallelen zu Sagen- und Märchenmotiven. Das führte ihn zu einem intensiven Studium der Mythen verschiedener Völker, wodurch sich seine Vermutung erhärtete, dass deren ähnliche Motive wohl kaum durch Berührungen und Kontakte entstanden sein konnten, sondern durch generelle, im menschlichen Unbewussten verankerte Prädispositionen. Diese nannte er Archetypen. - Rüdiger Sünner1

Besonders bedeutende Lebenserfahrungen haben in der Seele der Menschen eine archetypische Verankerung.

Jung "schuf" diese Archetypen, um sie für unser aller seelischen Entwicklung nutzbar zu machen und es mehr oder weniger durch diese zu erleichtern.


Der Archetyp im Film: Durch die Archetypen schafft man im Film eine harmonische Verbindung zwischen Darstellern und Publikum. Sie sind also als personifizierte Symbole menschlicher Charakterzüge zu verstehen. Einzelne Rollen werden anhand dieser mit der jeweiligen Funktion charakterisiert.

Der Held ist zusammen mit seinem Kontrahenten einer der wichtigsten und häufigsten Archetypen. Der immer populärer werdende Antiheld ist eine sogenannte Degeneration des Heldentypus'. Der Antiheld stellt stets einen Außenseiter der Gesellschaft dar.

Eine abgewandelte Form wäre der Liebhaber, der nicht selten in die Rolle des Helden eingebettet ist. Auch der Mentor ist eine wichtige Figur in diesem System.

Die Schneekönigin: Ein russischer Zeichentrickfilm aus dem Jahr 1957:


Speziell der Archetyp der bösen Königin findet sich vermehrt in bekannten Filmen. In Alice im Wunderland treffen wir ihn in Gestalt der Herzkönigin. In Matrix ist es die Matrix selbst, die als die böse Königin gesehen werden kann.


Das Märchen: Das besondere an den Hauptpersonen in Märchen ist, dass sie nahezu auf jeden Menschen angewendet werden können, denn jeder kann sich damit auf irgend eine Weise identifizieren.

Die Geschichte der Schneekönigin geht zurück auf die mythologischen Bilder der Eisjungfrau, die ursprünglich aus dem dänischen Folklore stammt. Das Märchen entstand 1861, anlässlich einer Schweizerreise, die Andersen in die Waadt, ins Wallis und ins Berner-Oberland führte. Er selbst schrieb dazu:

Ich glaube, ich habe ein recht anschauliches Bild von dem herrlichen Bergland gezeichnet, auch mit ein paar Farben vom Leben und den Menschen dort. Es ist ein Märchen: Die Eisjungfrau, die tödliche Natur-Macht, die in den tiefen Höhlen und Spalten der Gletscher haust.
Die Schneekönigin am See in ihrem Palast (1966)

Die Eiskönigin ist in sieben kleine Geschichten unterteilt. Die erste davon handelt von einem Spiegel, der von Teufelshand geschaffen wurde. Er besitzt die Eigenschaft alles Gute und Schöne verblassen zu lassen und es in sein Gegenteil bzw. ins Schlechte umzukehren.

Der Teufel war über die Macht des Spiegels so amüsiert, dass er ihn den Kobolden überließ, die mit dem Spiegel in den Himmel flogen, um Gottes wahres Gesicht sehen zu können. Da Gott unter den gläubigen Menschen als besonders gut und fromm gilt, zerbrach der Spiegel in abertausend Stücke. Diese reflektierenden Teilchen rieselten wie kleine Eiskristalle auf die Erde herab. Wer die kleinen Stücke ins Auge bekam, hatte nur Augen für die negativen Aspekte einer Situation oder eines Menschen.

Einige Menschen bekamen sogar eine kleine Spiegelscheibe ins Herz, und dann war es ganz grässlich, das Herz ward gleichsam zu einem Klumpen Eis. - Auszug aus dem Märchen

Die zweite Geschichte handelt von zwei, jungen Freunden, Gerda und Kay. Kay wurde von Splittern des Spiegels getroffen und verlor sich deshalb nach und nach in negativen Gedanken und Verhaltensmustern. Die Schneekönigin ließ ihn mit einem Kuss ihrer kühlen Lippen schnell vergessen, wer Gerda war. So ging er mit ihr fort und ward nie wieder gesehen.

Die weiteren Geschichten erzählen von Gerdas Reise zum Palast der Schneekönigin. Die siebte und letzte umfasst das Ziel Gerdas, den Palast der Schneekönigin, und natürlich das Ende.

Gerda beweist Mut und ein großes Herz, um ihren lieben Freund Kay aus den Fängen der kühlen Schneekönigin zu befreien. Die lauernden Gefahren auf ihrem Weg sind für sie nicht von Belang, denn sie tritt ihnen voller Entschlossenheit entgegen, um ihren Freund zurück zu holen.

Die Geschichte schafft ein Bild von wahren Freundschaft und von der tiefen Liebe, welche die Kälte bezwingt.


Die Auftritte der Schneekönigin im Medium Film:



Der Archetyp der Schneekönigin: Die Bedrohung des Kalten und Unerforschten ist der Leitsatz der Geschichte, der bei genauerer Betrachtung nicht vom Schnee bzw. Eis ausgeht, sondern vom Menschen selbst. Wir haben es hier also mit der personifizierten Herzenskälte zu tun. Hier begegnet sie uns in Form der Schneekönigin.

Der Archetyp Königin steht für Führung, Überblick, Bewusstsein und Präsenz. Sie kann Wärme und Begeisterung herstellen und die Kommunikation in beide Richtungen.

Für eine Führungsrolle ist vor allem der Archetyp der Königin von Bedeutung. Hier geht es darum, sich selbst Macht zuzugestehen und um die Bereitschaft, das eigene Reich, d.h. die eigenen Grenzen zu verteidigen.- Walburga Ludwig
Linda Zilliacus als die Schneekönigin (2014)

Jeder Archetypus und somit auch bei der Königin, umfasst zwei Pole mit gegen- spielerischen Eigenschaften. Im positiven Sinn betrachtet symbolisiert er den Leben schützenden Aspekt mit dem Archetyp "gute Königin", im negativen, den Leben bedrohenden Aspekt mit dem Archetyp "böse Königin".


Andersens Schneekönigin und Disneys Eiskönigin im Vergleich: Mit der höchst erfolgreichen Märchenadaption Die Eiskönigin - Völlig unverfroren hat Disney wieder einmal ein kleines Animationswunder vollbracht, allerdings unterscheidet sich der Inhalt deutlich vom Original. In der Neuinterpretation steht nämlich das Verhältnis zweier Schwestern im Mittelpunkt.

Elsa, eine Abwandlung der Schneekönigin in "Die Eiskönigin" (2013)

Die beiden Prinzessinnen Elsa und Anna waren als kleine Kinder nicht von einander zu trennen, bis Elsa mit ihrer äußerst faszinierenden Gabe, die Dinge um sich herum in Eis zu verwandeln, eines Tages einen Unfall verursacht, der ihre Schwester in Lebensgefahr bringt. Traumatisiert zieht sich Elsa von der Außenwelt zurück, um keinen weiteren Menschen der von ihr ausgehenden Gefahr auszusetzen. Einige Jahre später soll Elsa zur neuen Königin gekrönt werden, ihr Mut der Öffentlichkeit entgegen zu treten ist gefragt. Die psychische Belastung Elsas lässt die Gabe in ihr so außer Kontrolle geraten, dass ein unendlicher Winter im Land einkehrt. Elsa flüchtet aus dem Palast in die kalte Umarmung des Schnees und Eis, um keinen Menschen jemals wieder gefährden zu können. Anna ist mit der Entscheidung ihrer Schwester natürlich nicht einverstanden und macht sich auf die beschwerliche Reise, um Elsa wieder zurück an ihren rechtmäßigen Platz zu holen.

Der entscheidende Unterschied: Disneys Variante von Hans Christian Andersens Schneekönigin wird als die Heldin des Märchens darstellt. Die ursprüngliche Figur der Schurkin wird also ins positive umgewandelt. Hier liegt auch der große Unterschied zum Archetypen: Die böse Königin wird zur guten Königin.


Der richtige Augenblick: Wenn einer dieser Wintertage anbricht, wo man dem Schneetreiben von der warmen Stube aus zusehen kann, dann ist es wohl Zeit für Die Schneekönigin  (lest hier das Märchen). Genießt die Geschichte ein gemurmelt in einer warmen Kuscheldecke im Kerzenschein und einem Tässchen Glühwein oder Punsch (wer alkoholfrei bleiben will: Tee). Ein perfekter Moment, um sich nicht nur physisch aufzuwärmen.

Bridget Fonda als die Schneekönigin (2002)

Die Schneekönigin als Figur fällt unter unsere traditionelle Vorstellung von böse. Sie ist eine Frau, deren Herz gebrochen und so erkältet ist, dass sie sich von der Gesellschaft gänzlich entfernt hat. Manchmal ist diese Figur auch in jedem von uns zu finden. Denkt nur daran, wenn ihr die zerbrochenen Teile eures Herzens nach der Trennung von einem geliebten Menschen in den Händen haltet. Wir erleben die volle Härte der Gefühlskälte. In gewisser Weise kommen wir also alle aus der Kälte und müssen zurück die warme Sonne finden. Das Märchen fordert uns auf, unsere Herzen zu erwärmen und mehr Vertrauen in die Menschen zu setzen, um den Helden in uns wieder zu entdecken. Ebenso sollen wir zurück zur Freundlichkeit, zu Mitgefühl und zum Gemeinschaftssinn finden. Denkt immer daran, selbst nach der dunkelsten Nacht, erleben wir den Sonnenaufgang.

Wie seht ihr die Figur der Schneekönigin? Was haltet ihr von dem Märchen?


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Quellenangaben: 1- stiftung-rosenkreuz.org, die-fuenf-elemente.de, andre-schuchardt.de, dramaqueen.info, archeviva.com, puramaryam.de, haeselbarth.com, dieliteratur.eu, ruedigersuenner.de, bfbm.de;

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