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Das Jahr der Frauen beim London Film Festival

22.10.2015 - 08:50 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
SuffragetteConcorde Filmverleih
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2015 ist das Jahr der Frauen. Diesem (inoffiziellen) Motto von Festivaldirektorin Clare Stewart konnte das 59. BFI London Film Festival überwiegend gerecht werden. Lest unseren Bericht von der Insel.
Eine positive, weibliche Präsenz zog sich durch die Galas, Wettbewerbe und Sektionen des diesjährigen BFI London Film Festival; auch wenn nur 48 der 240 Spielfilme im Programm von Frauen inszeniert wurden. Der Ton wurde bereits vom Eröffnungsfilm Suffragette angegeben. Das Werk von Regisseurin Sarah Gavron und Drehbuchautorin Abi Morgan schildert den Kampf der britischen Frauen für das Wahlrecht. Klischees, emotionale Manipulation und fragwürdige Kameraarbeit bleiben in diesem eher mittelmäßigen Film nicht aus, aber er lässt nicht locker und nimmt ohne zu zögern eine politische Position ein.

Geena Davis entblößt die Filmindustrie mit Humor und Statistiken

Im Zusammenhang des Festivals kollaborierte das Britische Filminstitut in diesem Jahr zum ersten Mal mit der Schauspielerin Geena Davis (Thelma & Louise, Beetlejuice). Die Oscar-Gewinnerin ist die Begründerin und Vorsitzende des Geena Davis Insitute on Gender in Media (GDIGM), welches sich für die gleichberechtigte Darstellung von Frauen und Mädchen in der Medienwelt einsetzt. Das Institut engagiert sich vor allem in der Forschung und Erstellung von Statistiken. In London wurden die düsteren Resultate einer globalen Studie im Rahmen einer globalen Konferenz präsentiert.

Dass das weibliche Geschlecht in Film und Fernsehen vor sowie hinter der Kamera unterrepräsentiert ist, ist kein Geheimnis, doch die nackten Zahlen sind dennoch erschreckend. Die Forscher nahmen die erfolgreichsten Filme aus den 11 größten Filmmärkten unter die Lupe und förderten beunruhigende Zahlen zu Tage: Weniger als ein Drittel (30,9%) aller Sprechrollen werden von Frauen gefüllt. Hinter den Kulissen sieht es nicht viel besser aus: 7% der Regisseure, 19,7% der Autoren und 22,7% der Produzenten sind Frauen. Die Studie beschäftigt sich außerdem mit der Sexualisierung von jungen Frauen und dem Berufsleben von fiktiven Charakteren, wobei die Filmindustrie noch schlechter abschneidet.

Das Symposium strebte dennoch einen positiven Ton an. Wichtige Menschen aus der Industrie (BFI, Film4 und Google waren vertreten) und der Politik trugen zur Diskussion bei, die auf Fortschritt hoffen lässt. Geena Davis rief in einer inspirierenden Grundsatzrede zu Gleichheit auf. Wer wäre besser für diese Rolle geeignet als der Star von Zebo, der Dritte aus der Sternenmitte (OT: Earth Girls are Easy)? Ein Umschwung kann nur aus dem Machtzentrum der Medienwelt kommen. Deshalb lässt Davis, mit Fakten und Zahlen bewaffnet, ihre Beziehungen in Hollywood spielen. Wie Emma Watson, Patricia Arquette oder Reese Witherspoon zeigt Davis, dass der Kampf für Gleichstellung eine wachsende Bewegung mit einem Mainstream-Profil ist. Elizabeth Karlsen, Produzentin von Carol, sagte in ihrer Rede: "Die Geschichte der Frauen ist eine Geschichte des Schweigens." Diese Stille neigt sich langsam aber sicher einem überfälligen Ende zu.

Sechs Männer auf einem Boot, eine böse Hexe und die goldene Cate

Auch im sehr starken Wettbewerb konnte sich eine Frau durchsetzen. In Chevalier von Athina Rachel Tsangari (Attenberg) geht es ironischerweise um Männer. Die Entscheidung der Jury unter Präsident Pawel Pawlikowski (Ida) überraschte fast alle Kritiker; auf den zweiten Blick ist sie jedoch durchaus verständlich. In einen hochkarätigen Feld mit u. a. Tangerine, Raum, Cannes-Gewinner Son of Saul, Beasts of No Nation und Office besticht die griechische Komödie mit Feinsinnigkeit. Tsangari analysiert und verspottet den männlichen Zwang für Konkurrenzkampf in einer Geschichte über sechs Männer auf einem Boot. Nach dem ein oder anderen Glas Wein schlägt eine der Figuren einen Wettbewerb vor: Für den Rest des Angelausflugs soll eine Reihe von Wettkämpfen den "Besten" der Gruppe ermitteln. Wer schläft in der besten Position? Wer hat den tiefsten Cholesterin-Spiegel? Wer hat die liebevollste Familie? Der Klassiker "Wer hat den Längsten?" darf natürlich nicht fehlen. Der Film könnte leicht zu einer Farce im Stile von Seinfeld oder Hangover werden, doch die Geschichte steht mit beiden Beinen in der Realität - fast. Der Humor schwingt beliebig zwischen intellektuellen Beobachtungen und Slapstick, während sich der Zuschauer zunehmend wie ein Verhaltensforscher vorkommt. Hoffentlich kann die Auszeichnung in London ein Sprungbrett zu internationalem Erfolg für Chevalier bieten. Der deutsche Starttermin ist für den 21. April 2016 festgelegt.

In der Kategorie für den besten Erstlingsfilm konnte Robert Eggers seinen Triumph aus Sundance wiederholen. The Witch wird seinem erheblichen Ruf nicht ganz gerecht, doch es handelt sich um einen wirksamen Horrorfilm. Eine puritanische Familie zieht sich aus religiösen Gründen in eine isolierte Hütte im Wald zurück, wo der jüngste Sohn von einer Hexe entführt wird. Eggers spielt das Übernatürliche gegen das Heimische aus. Das Familienleben, das durch religiösen Fanatismus und Paranoia auseinandergerissen wird, ist mindestens so wichtig wie eine blutrünstige Ziege. Die altmodische Sprache und historischen Details tragen besonders zu einer bedrückenden, angespannten Atmosphäre bei.

Den besten Dokumentarfilm, Sherpa, hatte ich leider verpasst, doch der große Star der Preisverleihung war zweifellos Cate Blanchett. Die Empfängerin des BFI Fellowships festigt ihre Position an der Spitze des Oscar-Rennens für ihre Rolle in Carol, knapp vor ihrer rolle in Truth. Carol, der am 17. Dezember 2015 in die deutschen Kinos kommt, ist eine schauspielerische, musikalische und filmische Meisterleistung. Im Jahr 1952 veröffentlichte Patricia Highsmith ihren autobiographischen Roman The Price of Salt unter dem Pseudonym Claire Morgan, da es sich um eine Liebesgeschichte zwischen zwei Frauen handelt. Die Kontroverse ist seitdem weitgehend abgekühlt, doch die emotionale Wucht bleibt relevant. Die Ausführung von Regisseur Todd Haynes ist nahezu perfekt. Der Soundtrack von Carter Burwell zupft an den Saiten des Herzens, bevor Cate Blanchett und Rooney Mara es komplett brechen. Eine direkte, aufrichtige Romanze ohne Kitsch und Schmalz: Carol ist eine seltene Perle.

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