Small Things Like These: Cillian Murphys erster großer Film nach Oppenheimer schockiert mit wahrer Geschichte über grausame Nonnen

16.02.2024 - 07:30 UhrVor 2 Monaten aktualisiert
Cillian Murphy in Small Things Like These
Shane O’Connor
Cillian Murphy in Small Things Like These
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In dem packenden Kriegsdrama Oppenheimer brillierte Cillian Murphy als Zerstörer der Welten. Im Eröffnungsfilm der Berlinale 2024 legt er sich nun mit einer bösen Obernonne an.

Über zwei Dekaden nach seinem Durchbruch in dem nervenaufreibenden Zombie-Film 28 Days Later erlebte Cillian Murphy dank Oppenheimer das größte Jahr seiner Karriere. In der Mischung aus Biopic, Thriller und Kriegsdrama verkörpert er den Physiker J. Robert Oppenheimer, den Vater der Atombombe. Für seine herausragende Performance ist er aktuell sogar für den Oscar als Bester Hauptdarsteller nominiert.

Jetzt blickt die Welt gespannt auf seinen nächsten Film: Small Things Like These. Der Eröffnungsfilm der Berlinale 2024 entführt ins Irland der 1980er Jahre und erzählt die schockierende Geschichte der Magdalenenheime, in denen jahrzehntelang junge Frauen von Nonnenschwestern ihrer Freiheit beraubt und drangsaliert wurden. Bekannt wurden die Missstände durch die Entdeckung eines Massengrabs 1993.

Berlinale-Eröffnungsfilm 2024: Small Things Like These lebt von seiner Tristesse und Cillian Murphys Schauspiel

Small Things Like These taucht in eines der düstersten Kapitel der irischen Geschichte ein. Entsprechend grimmig fallen die Bilder des Berlinale-Beitrags von Tim Mielants aus, der sich vor allem im Serienbereich einen Namen gemacht hat. Mielants inszenierte in der Vergangenheit einzelne Episoden von The Terror, Legion und Tales From the Loop. Seine erste Zusammenarbeit mit Murphy: die Gangsterserie Peaky Blinders.

In Small Things Like These zeigt er uns die verschlafene Kleinstadt Wexford kurz vor dem Weihnachtsfest. Die Straßen sind leer und der Himmel ist grau. Kleine Häuser reihen sich dicht aneinander, doch ihr brüchiges Mauerwerk bietet kaum Schutz vor der Kälte. Müde Menschen mit abgetragenen Filzmänteln bewegen sich schleppend über den nassen Asphalt. Ein freudloser Ort, der Inbegriff von Armut und Hoffnungslosigkeit.

Dennoch schultert Bill Furlong (Murphy) jeden Tag aufs Neue die schweren Kohlensäcke, die er in der Gegend mit seinem rostigen Truck ausfährt. Mielants interessiert sich für jedes Detail: Bills dreckige Hände, gezeichnet von der schweren Arbeit. Der Schweiß, der ihm über die Stirn und die Falten seines Gesichts läuft. Und die gläsernen Augen, deren Blick im Nirgendwo verschwinden, als würde er vielleicht gar nicht existieren.

Wenn Bill nach Hause kommt, warten dort seine Frau und fünf Kinder auf engstem Raum und schreiben Wunschzettel an den Weihnachtsmann. Teilnahmslos, geradezu unsichtbar, setzt er sich an den Küchentisch, der trotz ausgestellter Trostlosigkeit vom puren Leben kündet. Sanft berührt Eileen (Eileen Walsh) im Vorbeigehen seine Schulter. Diese unscheinbare Geste seiner Frau ist das Fundament der Familie.

Unheimlicher als die Atombombe: Nach Oppenheimer legt sich Cillian Murphy mit einer bösen Obernonne an

Besonders zerreißend ist der Moment, wenn die frisch geschrieben Wunschzettel direkt im Kamin landen, nachdem die Kinder zu Bett gegangen sind. Brutal, aber in seiner schlichten Konsequenz nachvollziehbar. Die Lichter des örtlichen Weihnachtsbaums sind das größte Geschenk in der Dunkelheit. Ansonsten ... ein neues Shirt? Oder ein Buch? David Copperfield vielleicht. Das könnte Bill über die Feiertage lesen. Eine Fantasie.

Allzu besinnlich fällt das Fest dieses Jahr allerdings nicht aus. Für Aufsehen sorgen die Schreie einer jungen Frau, die von ihren Eltern unsanft ins nahegelegene Kloster gebracht wird. Wie ein Geist steht Bill im Schatten des Türrahmens, der in den Schuppen führt, wo er die Kohle für die Ordensschwestern abliefert. Ewig kann diese Teilnahmslosigkeit nicht weitergehen, mit der er sich durch sein Leben bewegt.

Mielants buchstabiert nicht aus, was hinter den verschlossenen Türen der kirchlichen Einrichtung passiert. Durch Bills Perspektive erhalten wir zwar verstörende Einblicke in das Grauen. Vielmehr interessiert den Regisseur aber das Schweigen, das sich über Wexford legt. Minutenlang beobachtet er Murphy, wie er seine Figur durch die Tristesse manövriert, ohne zu erzählen, was er erlebt, was er gesehen hat.

Bill kann seine eigene Tatenlosigkeit nicht mehr ertragen, findet sich aber auch in einer Machtdynamik wieder, in der er es sich kaum leisten kann, für andere, geschweige denn sich selbst einzustehen. Der Einfluss der Nonnen, allen voran Oberschwester Mary (ungeheuerlich: Emily Watson), reicht zu tief zu den Wurzeln der Kleinstadt. Bill zittert innerlich, als würde er platzen, doch selbst dafür ist die Erschöpfung zu groß.

Small Things Like These lässt uns jedes innerliche Zittern in Cillian Murphys Schauspiel hautnah miterleben

Wenige Schauspieler können so gut auf der Leinwand leiden wie Murphy, besonders, wenn uns die Kamera mit Close-ups ganz nah an jede bebende Pore in seinem Gesicht führt. Erst in Oppenheimer begeisterte er als gequälter Mann, der mit den Konsequenzen seines Handelns konfrontiert wird und fast unter dem Jubel der Öffentlichkeit zerbricht, nachdem seine Massenvernichtungswaffe erfolgreich abgefeuert wurde.

Es ist eine der eindrücklichsten Szenen in Oppenheimer: In der tosenden Menge sieht Murphys Wissenschaftler nur das Leid und den Tod, den er über die Welt gebracht hat. Aber er ist gefangen, im Hier und Jetzt, in seinem Körper. Kein Ausbrechen. Nur ein Pulsieren in Panik. Bill in Small Things Like These ist natürlich eine völlig andere Figur, aber auch hier bringt Murphys Spiel das Ringen perfekt auf den Punkt.

Obwohl wir Bill anfangs nur durch verdreckte Fensterscheiben beobachten, übernimmt seine Unruhe irgendwann den gesamten Film. Am liebsten würde er schreien, aber das lässt die strenge Welt, in der er sich bewegt, nicht zu. Fliehen kann er nur in die Erinnerung, wo sein eigenes Trauma wartet, wobei Mielants in diesem Fall definitiv zu viel erzählt. Die eingewobenen Flashbacks sind der schwächste Teil des Films.

Solange Small Things Like These aber an jeder Regung und Bewegung von Murphy klebt, handelt es sich um einen der stärkeren Berlinale-Eröffnungsfilme der vergangenen Jahre. Kein großes, lautes Werk à la Oppenheimer, das monatelang den Diskurs dominiert. Eher ein leises, flüsterndes Grübeln, in dem Murphy sein in sich gekehrtes Schauspiel in niederschmetternden Bildern ausformulieren kann.

Small Things Like These läuft im Wettbewerb der 74. Internationalen Filmfestspiele Berlin. Der Film feierte am Donnerstag, dem 15. Februar 2024 seine Weltpremiere im Berlinale Palast. Ein deutscher Kinostart steht noch nicht fest.

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