Blue Meth, blaue Wände und grübelnde Vielarbeiter

02.10.2014 - 09:00 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Vince Gilligan: Freund der Fans
Netflix
Vince Gilligan: Freund der Fans
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Drama-Showrunner balancieren zwischen ökonomischer Kundenorientierung, künstlerischen Visionen und dem ermüdenden Tagesgeschäft einer Führungskraft. Das enorme Anforderungsspektrum wiegen sie mit Leidenschaft und erstaunlicher Akribie auf.

Eine gerade im #neuland-Zeitalter schwer einschätzbare Konsumweisheit ist die Folgende: Muss der Verbraucher für ein Produkt keinen Gegenwert entrichten, ist er selbst der Verkaufsgegenstand. Das unterscheidet den deutschen Fernsehmarkt prinzipiell von seinem amerikanischen Pendant. Der gemeine Amerikaner bezahlt, anders als das deutsche Sofa-Publikum, freimütig für sein Fernsehen. Am liebsten bezahlt er für Serien. Als ein verlässlicher Lieferant von Eigenproduktionen hat sich der Pay-TV-Sender AMC (97 Millionen Abonnenten) etabliert. Deren bester Mann ist Vince Gilligan, Creator und Showrunner der Serie Breaking Bad.

Die Vertriebslinie zwischen Gilligan, dem Produkt und dem Abnehmer nahm bei Breaking Bad keine Umwege. Die Verpflichtung zur Qualitätserfüllung liegt auf Seiten des Produktes, die Qualitätssicherung beim Showrunner. Vince Gilligan ist ein für den strikten Fernsehmarkt angepasster Künstler, der seine Produkte für die Kunden und nach deren Gusto optimiert. Er scharrt ein Team um sich, das Qualität (Episoden) für Kunden (Zuschauer) produziert, die selbiges über ihr Abo und die damit verbundenen Kosten explizit nachfragen, und verpflichtet sich so gleichermaßen der Kunst und der Kundenzufriedenheit. Ergo dem Profit eines Privatunternehmens, dessen Geschäft die Zerstreuung ist. Sein Posten ist die wichtigste Schnittstelle zwischen Kundenzufriedenheit und künstlerischer Integrität. 

Stay the hell off the Internet!

Wie wohl kaum ein anderer ist Vince Gilligan sich dieser Bilateralität seines Berufsstandes bewusst. Er kämpft gleichermaßen um das Produktionsbudget und die Zufriedenheit der Zuschauer, auf die er allergrößten Wert legt. Ihm geht es stets darum, „Episoden für die Zuschauer befriedigend zu gestalten.“ Erst als das Serien-Finale von Breaking Bad den gewünschen Fan-Anklang fand, war auch Gilligan mit diesem im Reinen. Er kommuniziert mit Fans und Zuschauern, füttert sie mit Kuriositäten und mit Häppchen, die Licht in den Schaffensprozess ihrer Lieblingsserie bringen. Er fühlt mit, streut Informationen, macht neugierig, schürt Vorfreude. Und er verleiht letztlich auch seiner Person eine mediale Präsenz, ohne sich der Mystik seiner Schöpferexistenz zu entledigen. Er ist Moderator zwischen Fiktion, Realität und Hype, Showmaster eines Events, das weit über den Bildschirm hinausgeht, scheut aber gleichermaßen die Kommentarfelder und Foren des Internets, weil sie ihn „zu sehr interessieren“. (Quelle) 

Das sei seine erste Regel, dem Internet fernzubleiben – als würde selbst ihm der Hype dann doch etwas unheimlich. Und dann ist da auch noch der Druck, „die Stimme im Kopf, die dir sagt, das, was du da machst, ist nicht gut genug.“ Die meisten Showrunner schlafen schlecht, für Vince Gilligan, so vertraute er dem Hollywood Reporter an, ist der Schlaf eine Erlösung.

Der Teamplayer

In Zeiten, in denen populäre Filmstars sich immer öfter eine Pause vom Hollywoodtrouble nehmen, um bei einer Serienproduktion einzusteigen, ist Vince Gilligan immer noch einer der meistinterviewten Männer des amerikanischen Serienzirkus'. Er ist genauso Aushängeschild, genauso Marketing-Keyword, wie Kevin Spacey für House of Cards. Spricht Vince Gilligan über seine Arbeit, tut er das leger, fast wie ein Collegeprofessor vor seinen Studenten. Und wie einen Dozenten im Seminar, müssen wir uns auch den Showrunner Vince Gilligan vorstellen. Der flachen Hierarchien wegen, die Gilligan in seinem Writersroom pflegt, gilt er unter Kollegen und Journalisten als Musterbeispiel seines Berufsstandes und Vertreter des noch recht jungen Typus des kollaborativen Showrunners. Der Blogger Alan Sepinwall, der sich auf seinen Plattformen  eingehend mit der Showrunner-Zunft und ihrer Entwicklung beschäftigt, schreibt über ihn: „Vince Gilligan hat Vertrauen in andere Leute und deshalb ist die Serie bei ihm mehr die Leistung eines Autorenteams.“  Als Teamplayer unterscheidet Gilligan sich von Showrunnern wie David Milch und David Chase, die zwar auch einen Autorenstab beschäftigten, die Drehbücher letztendlich aber doch allein schrieben.

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