Bennett Miller - Hollywoods verstörender Außenseiter

30.12.2016 - 08:50 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
FoxcatcherKoch Media
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Bennett Miller ist einer der faszinierendsten Filmemacher der Gegenwart. Zum 50. Geburtstag ein Blick auf das Werk des einfühlsamen Regisseurs.
Ich fühle mich von Menschen angezogen, die sich in Welten aufhalten, in die sie nicht hingehören, Menschen aus verschiedenen Welten, die versuchen gemeinsam zu agieren.

Er fühle sich zu Außenseitern hingezogen. Zu Menschen, die fehl am Platz sind. Dies offenbarte Bennett Miller in einem Interview mit DP/30  im Zuge seines faszinierenden Films Foxcatcher im Jahre 2014. Der in New York geborene Regisseur scheint dagegen da zu sein, wo er sein möchte. Hinter der Kamera, abseits des Rampenlichts. Und ist damit irgendwie auch ein Außenseiter im Blitzlichtgewitter Hollywoods.

Seine Filme handeln nicht von den sogenannten großen, sondern echten Dramen, die sich nicht in heroischen, allzu dramatisierten Regionen abspielen, sondern nah bei und in uns. Sie entspringen einer zeitlosen Allgemeingültigkeit, die uns alle betrifft und daher allesamt überleben wird. Ganz gleich, ob es sich dabei um das nur vordergründige Porträt eines brillanten Schriftstellers wie in Capote, einem vermeintlichen Sportfilm wie Moneyball oder eben die tragische Geschichte eines Ringers handelt. Es geht stets ums mit einer atemberaubenden Aufrichtigkeit gezeigte menschliche Naturell.

Zum 50. Geburtstag von Bennett Miller blicke ich daher aufs Werk des vielleicht einfühlsamsten US-Regisseurs unserer Zeit.

Millers Seelenschau

"Verstörend" lautete ein häufiges Fazit während der Veröffentlichung von Foxcatcher. Häufig unbewusst machten Kritiker dem Film und seinem Schöpfer damit ein großes Kompliment. Wenn der Begriff auch von inflationärem Gebrauch und Missbrauch gebeutelt ist, öffnet er doch die Tür in die Filmwelt Millers, die in unseren persönlichen Seelenraum führt. Wir sind verstörende Wesen. Ambivalent, zutiefst widersprüchlich und selten aufrichtig uns und unserer Umwelt gegenüber. Der New Yorker setzt für seine Geschichten an diesen Punkten an und gibt ihnen allen Raum zur Entfaltung.

Bennett Miller bietet uns keine klassischen Erzählungen, sondern Beobachtungen an, so wie wir nur das Leben beobachten können, das sich selten in Akten, sondern vor allem Momenten abspielt. Das macht seine Filme zur cineastischen Seelenschau. Er erzählt unausgesprochen von großen Lebensgeschichten innerhalb seiner Rahmenhandlung, die nur wegen ihrer vergleichsweise undramatischen Form zu Größe keimen. Wenn etwa Philip Seymour Hoffman als Schriftsteller Truman Capote während seiner Nachforschungen für seinen non-fiktiven Roman Kaltblütig (OT: In Cold Blood) erstmals die grausigen Fotos vom Tatort eines Mordfalls betrachtet, blicken wir nicht auf, sondern hinter die eigentlichen Bilder, denn der Moment markiert vor allem den Beginn einer "verstörenden Verliebtheit" für Perri (Clifton Collins Jr.), einem der Täter, die den Film in Folge merklich zeichnen soll.

Capote

Ob er in ihn verliebt sei, fragt die von Catherine Keener verkörperte Harper Lee ihren Freund Truman denn auch in einer Szene. "Was soll ich darauf antworten?[...] Es ist, als wären Perri und ich im selben Haus aufgewachsen. Und eines Tages stand er auf und ging zur Hintertür raus. Während ich vorne raus ging." Ihre ungläubige Reaktion auf die Antwort Trumans ist gleichzeitig das Ringen des Publikums mit der Wahrheit: "Nimmst du mich auf den Arm?" Miller dringt hier in schmerzhaftes Territorium vor, in das sich die wenigsten freiwillig begeben, denn Ehrlichkeit sich selbst und anderen gegenüber ist meist mit Angst vor dem verbunden, was da lauern mag. In diesen Momenten verstört er, weil die täglich praktizierte, eigentlich wirklich verstörende Selbstlüge anerkannt "normal" erscheint und wir uns ungerne von einfachen Denkmustern trennen, die unsere Welt auf den Kopf stellen, uns verstören würde. Da passen Gefühle der Anziehung gegenüber einem Mörder nicht hinein.

Ambitionierte Außenseiter

Damit gräbt Miller gleichzeitig tief in seinem selbsterklärten Außenseiter-Sujet. Während sich in Capote der erfolgreiche Schriftsteller Truman und der von der Öffentlichkeit als Monster dargestellte Mörder Perri annähern, erleben wir durch Hoffmans zerrissene Darbietung, aus seiner Perspektive, jene uns definierende Widersprüchlichkeit. Wir erleben seine isolatorische Reise in Welten, die im ewigen Wettstreit zwischen öffentlicher Wahrnehmung und wirklichem Innenleben stehen. Miller buchstabiert diesen Konflikt, der seine Hauptfigur letztlich allein zurücklässt, niemals aus, sondern lässt uns filmisch daran teilhaben, so wie er Konflikte grundsätzlich nie wörtlich ausformuliert.

Foxcatcher

Nie zuvor verdichtete er dies so eindrucksvoll, wie in Foxcatcher. Die erste Szene zwischen den Ringer-Brüdern Mark (Channing Tatum) und Dave Schultz (Mark Ruffalo) erzählt allein schon die Bandbreite ihres sich über Jahre aufgebauten komplizierten Verhältnisses. Die hünenhaften Körper kreisen im Trainingskampf umeinander, ihre Hände berühren den anderen mit heftiger Zärtlichkeit, sie stoßen sich ab, kommen wieder zusammen. In wenigen Augenblicken erzählt Miller hier wortlos vom Widerstreit der Liebe und der Ablehnung, wenn jede Umarmung im Kontext des Kampfes sowohl aus Impulsen der Nähe wie Distanz herrührt. Wir beobachten das sich verschärfende Schauspiel, in dem sich Marks Emotionen für einen Moment Bahn brechen und in einer blutigen Nase seines Bruders entladen.

Die anschließende, bildhafte Exposition von Marks Leben stellt endgültig klar: Er ist der Außenseiter, der sich nach dem Medaillengewinn bei den Olympischen Spielen in einem Leben wiederfindet, das sich im Kreis trostloser Redundanz dreht, was denn auch auf Brad Pitts Billy Beane in Moneyball zutrifft. Wenn der Film um einen Manager eines Baseball-Teams auch einen etwas beschwingteren Tonfall einschlägt, so ist er Miller durch und durch. "Und das ist es, was ich will. Ich will, dass es etwas bedeutet.", gibt Billy in einem Moment seinem neuen Assistenten Peter (Jonah Hill) zu verstehen, mit dem er gemeinsam versucht, durch eine neue Methode den gesamten Sport umzukrempeln.

Diese Ambition der Außenseiterfigur verbindet zusätzlich alle drei seiner Spielfilme (1998 erschien zudem sein Dokumentarfilm The Cruise). Der Autor, der im Begriff ist, das Schreiben zu verändern, ebenso wie der Spiel-verändernde Baseballmanager sowie der vaterlose Ringer, der gemeinsam mit dem Spross (Steve Carell) einer schwerreichen Familie Amerika zu großem Ruhm führen will. Alle auf (wirklich) wahren Begebenheiten beruhenden Geschichten enden tragisch, zuweilen zerstörerisch und desillusionierend, aber in furchtbarer Erhabenheit. Der Erhabenheit einer konsequenten, ehrlichen Beobachtung des Menschseins. Schöner als jedes konstruierte Happy End. Schöner als jeder puppenhafter Pathos. Einfach schön verstörend.

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