15 Jahre Memento - Das macht Nolans Film noir einzigartig

13.12.2016 - 09:15 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
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Vor 15 Jahren erschien Memento in den deutschen Kinos. Ein Film, der auch heute noch mehr ist als "nur" Detektivgeschichte mit brillantem Erzählkniff.

Vorsicht, es folgen Spoiler zu Memento:

Am Anfang seines Films steht der Tod um des Lebens willen. Christopher Nolans (Interstellar) Noir-Thriller Memento startete vor genau fünfzehn Jahren in den deutschen Kinos. Und noch heute ist er viel mehr als äußere Formvollendung einer nur zu Beginn kompliziert erscheinenden Geschichte. Eingebettet in einem im Kern recht simplen Detektiv-Plot, sticht uns zunächst aber genau diese mit ihrer präzisen Umwälzung typischer Erzählmuster am effektivsten ins Auge.

Ein einfacher, aber genialer Kniff reichte, um den Mindfuck als einen der besten Filme des 21. Jahrhunderts zu etablieren. Mindfuck? Nicht wirklich. Manch Film Christopher Nolans erscheint höchstens auf den ersten Blick als kryptisches Puzzle, das es zu entschlüsseln gilt. Dabei folgen sie einer stringenten inneren Logik, deren Voraussetzung lediglich die Akzeptanz derselben ist.

Nein, es ist nicht der so genannte, viel zu oft zitierte Mindfuck, der Memento seine soghafte Tiefe verleiht, wenngleich sein narrativer Strom zweier allmählich zusammenfließender Handlungsstränge ungeheure Sogwirkung entfaltet, inklusive überragend aus der Erzählung hervorquellenden Twists und emotionalen Spitzen. Memento spricht zu uns dort, wo wir am verletzlichsten sind: In der Konstruktion unserer eigenen Welt. Er ist ein, im wahrsten Sinne des Wortes, Film um Leben und Tod, der Liebe und der Unfähigkeit, den Komfort unserer selbstgeschaffenen Grenzen zu überwinden.

Mord, immer wieder Mord

Zu Beginn der Geschichte blicken wir auf ein Close-up eines Polaroids, das offenbar eine Leiche zeigt inmitten eines weißen, blutverschmierten Raumes. Es soll sich später als Omen-gleiches Symbol des Protagonisten, uns, herausstellen. In der darauffolgenden Szene offenbart uns Nolan bereits das Ende: Hauptfigur Leonard (Guy Pearce) erschießt den anfangs undurchsichtig erscheinenden Teddy (Joe Pantoliano), den der an Ekmnesie (Massive Reduktion der Merkfähigkeit neuer Bewusstseinsinhalte) Leidende der Vergewaltigung und des Mordes seiner geliebten Frau (Jorja Fox) verdächtigt. Dieser Filmauftakt endet mit einem Rewind-Effekt und schneidet auf Erzählebene zwei, die fast ausschließlich im Raum eines Motels stattfindet und nur durch Rückblenden aufgebrochen wird. Kurzum: Nolan etabliert schon hier sofort sein Konstrukt der rückwärts wie vorwärts erzählten Plots auf seine gewohnte Art in klar definierten Bilderwelten.

Memento

So wie der Brite in Inception, der in vielerlei Hinsicht eineiige Zwilling Mementos, seine Traumlevel vor allem durch ihr unterschiedliches Setting voneinander abgrenzt, ist es hier der Gegensatz von Farb- und Schwarz-Weiß-Aufnahmen. Dabei geht er gleich zu Beginn seiner Geschichte ein Wagnis ein: Das Ende, den Mord, vorwegzunehmen für eine Ermittlung, auf die wir uns gemeinsam mit Guy Pearce machen sollen, ist ein kühnes Unterfangen. Wie sollen wir trotz der frühen Auflösung überhaupt mitfiebern? Antwort: genau deswegen! Hier beweist Nolan nicht nur seine frühen erzählerischen Qualitäten, sondern der Film seine noch viel größere Wucht im Diskurs mit und über uns.

Denn je tiefer wir in die Geschichte eindringen, desto tiefer infiltriert sie unser Dasein. Der Trip Mementos, der das extrem eingeschränkte Kurzzeitgedächtnis Leonards erlebbar werden lässt, löst Zeit und Raum auf: "Wie soll ich meine Wunden heilen, wenn ich die ... Zeit nicht empfinde?", fragt sich Leonard in einer Seelenschau vorsichtiger Selbsterkenntnis. Seine darauffolgenden bzw. bereits begangenen Taten negieren die Frage und somit ihre Antwort. Seine Geschichte ist eine des Scheiterns und torpediert die Vorstellung, eine Erzählung brauche eine erlösende Katharsis. Leonard erreicht diese nie ultimativ, denn er errichtet stets aufs Neue seine eigene Welt. Stets gleich, gefangen in einer ständigen Wiederkehr, einer Wiederholung der Dinge.

Das Bauwerk "Ich"

Obwohl er am Ende des Films die Wahrheit über seine Existenz erfährt, entscheidet er sich für die Lüge des erwünschten "Ich". Teddy war die ganze Zeit Leonards einziger Gefährte, ein Freund geradezu, der ihm noch einmal zu einem Moment der Freude, durch Vergeltung, verhelfen wollte und ihn daraufhin unterstützte, einen für sein Leben unbedeutenden Drogendealer auszuschalten, den nichts mit dem Angriff auf seine Frau verband. Denn er war jener Polizist, der bereits vor über einem Jahr mit seinem Fall beauftragt war und den wahren Täter aufspürte. In der Hoffnung, Leonard würde nach dem Stillen seines Rachedurstes zur Ruhe kommen, überließ er ihm die Tötung. Der für einen Augenblick mit Erkenntnis durchflutete Leonard entscheidet sich, seine Lüge neu zu errichten und schreibt, während er die neue Erinnerung noch in sich trägt, auf einem Foto Teddys: "Glaube seine Lügen nicht." Sein bittersüßes Wissen um die Wahrheit weicht Momente später den tintengetränkten Nadelstichen im Tattoostudio, das er, wie sein mit vermeintlichen Hinweisen auf den Täter gezeichneter Körper offenbart, ein ums andere Mal aufsuchte. Und weiter aufsuchen wird. Denn es wird immer einen "Täter" geben (müssen).

Hier entfaltet Christopher Nolan endgültig seine filmische existenzielle Reflexion. Gewiss, sein Leonard ist ein Ausdruck eines Extrems, aber diese mutmaßliche Überhöhung ermöglicht es uns, sie auf unser Leben zu abstrahieren, indem wir uns fragen: Kann er nicht anders? Können wir nicht anders?

Memento

Memento ist purer Konstruktivismus, dessen radikalste Form davon ausgeht, dass eine objektive Wahrheit nicht existiert, da sich jeder Einzelne seine Welt und damit seine Existenz in seinem Kopf zusammenbaut. Wir verleihen uns und der Stellung in der Welt somit einen Sinn. Mit dem Unterschied, dass wir dafür nicht über Leichen gehen, wie Nolans Filmfigur. Wir lügen (vor allem uns selbst an) und streben nach der Wiederholung jener Dinge, die uns glücklich machen. Aber eben auch nach denen, die uns als offensichtliche Fehler eigentlich ebenso bewusst erscheinen.

Wo sich der thematisch ganz ähnliche Inception in einem Zwiespalt zwischen originärer Idee und zunehmend verwässernder Elemente konventionellen Actionkinos verlor, dachte sein zehn Jahre jüngerer Bruder Memento bis zum konsequenten Ende, das in keiner Erlösung enden sollte.

So ragt der Film noch heute, zeitlos erzählend, als meisterhaftes Frühwerk Christopher Nolans heraus, ganz dem Willen  des Regisseurs folgend: Ich will, dass man seine Realität verfolgt.

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