In den vergangenen Tagen erreichten uns Nachrichten von moviepiloten, die nachfragten, warum wir nicht über die Missbrauchsvorwürfe gegen Filmemacher Woody Allen berichtet haben. Ausgangspunkt war der offene Brief, den seine Adoptivtochter Dylan Farrow in der New York Times am 2. Februar 2014 veröffentlichte. Die Anschuldigungen sind nicht neu. Im Scheidungsstreit mit Mia Farrow kamen sie vor 21 Jahren schon zur Sprache. Der damalige Richter sah keine Möglichkeit für ein Verfahren, weshalb Woody Allen nicht angeklagt wurde.
Es stimmt: Wir haben das Thema nicht aufgegriffen. Wir diskutierten und waren uns unsicher. Der Spiegel, die Zeit und zahlreiche andere deutsche Zeitungen berichteten. Mittlerweile hat Woody Allen öffentlich in der New York Times die Missbrauchsvorwürfe zurückgewiesen, nennt sie unwahr und erbärmlich. Der Hollywood Reporter veröffentlichte die Reaktion von Dylan Farrow. In der Vanity Fair hat daraufhin die Reporterin Mauren Ort zehn Fakten präsentiert, die für den Missbrauch sprechen. Der Bruder Moses Farrow äußerte sich bei people.com; er steht nicht auf der Seite seiner Mutter und Schwester, sondern spricht von Hass, der ihm im Trennungsstreit der Eltern eingeimpft worden sei. Was immer die Wahrheit ist: Eine Familie demontiert sich hier öffentlich und die ganze Welt schaut zu.
Verschließen wir die Augen, wenn wir eine derartige Nachricht nicht aufgreifen? Geben wir durch Schweigen einem möglichen Täter recht? Wie trennen wir Kunst und Biographie? Dürfen wir uns Woody Allen-Filme noch anschauen? Das sind Fragen, die wir uns gestellt haben und es fällt uns schwer, sie zu beantworten. Da es uns so schwer fällt, haben wir auf eine Berichterstattung verzichtet. Wir können in diesem öffentlichen Streit keine Schuldfrage klären, aber anscheinend wird gerade das erwartet. Wir als Autoren und ihr als Leser werden aufgefordert, eine Position zu beziehen. Aber können wir das? Und müssen wir das? Je nachdem, welcher Text zuerst gelesen wird, welcher Ton als ansprechender empfunden wird und welcher in unserem unwissenden Augen als glaubwürdiger erscheint, wird unseren Zuspruch erhalten. Aber danach wissen wir noch immer nicht, was richtig und was falsch ist. Ein Gericht muss hier Recht sprechen und die Schuldfrage klären. Dass sich Vanity Fair und Hollywood Reporter, zwei traditionsreiche US-Magazine, mit exklusiven Äußerungen der Parteien überbieten, beweist eigentlich nur, dass eine mediale Schlacht um Leser ausgetragen und ein familiäres Problem ausgeschlachtet wird.
Künstler sind Menschen wie du und ich, wie andere. Sie machen Fehler, sie können zu Tätern werden. Können wir die Kunst von dem Täter, der jemandem geschadet hat, trennen? Wir wollen und dürfen diese Diskussion nicht ersticken, weil Woody Allen ein Künstler ist. Die Diskussion könnte sogar wichtig sein für die Deutung des Werkes, sie darf sich aber nicht auf effektheischende Meldungen reduzieren. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, sich nun mit dem Werk von Woody Allen auseinander zu setzen. Wir können die Vorwürfe ignorieren, wir können sie in eine Werkanalyse einbetten oder wir können die Filme des Regisseurs boykottieren. Wir als Zuschauer, als Interpreten des Werkes, sind keine Richter und trotzdem können Filme helfen, dass wir uns eine Meinung bilden. Spielt Cate Blanchett schlechter in Blue Jasmine, seitdem die Missbrauchsvorwürfe erneut zur Sprache kamen? Das wohl kaum, aber vielleicht verweist die Figur der hysterischen Frau aus Sicht von Woody Allen auf Mia Farrow. Schon sind wir am Spekulieren und Diskutieren. Cate Blanchett hat, auf das Thema angesprochen, die richtigen Worte dazu gefunden: “Es handelt sich offenkundig um eine lange und schmerzhafte Situation für die ganze Familie und ich hoffe, allen Beteiligten gelingt es, die Probleme zu bewältigen und Frieden zu finden.” Dem schließen wir uns an und haben nun, so hoffen wir, erklärt, warum wir darüber nicht bzw. nicht weiter berichten werden.