Wie Tommy Lee Jones das Mürrisch-Sein zur Kunstform erhoben hat

15.09.2016 - 09:10 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Tommy Lee Jones in Alarmstufe: Rot
Warner
Tommy Lee Jones in Alarmstufe: Rot
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Tommy Lee Jones wird 70. Zu diesem Anlass habe ich mich gefragt, warum ich den Darsteller so lieb gewonnen habe, warum er wirklich in jeder Rolle meine Sympathie für sich gewinnt. Und beim Finden der Antwort half mir vor allem seine 7-Tage-Regenwetter-Miene.

Tommy Lee Jones hat Geburtstag! 70 Jahre. Meine Güte, wie die Zeit vergeht. Wer wie ich dem Jahrgang Mitte der Neunziger entspringt, kennt ihn wahrscheinlich am besten als Agent K in Men in Black. Aber natürlich hat der gute Mann noch viel, viel mehr vorzuweisen als nur diese Rolle. Da wäre er als leitender US-Marshall in Auf der Flucht, als rachsüchtiger William Stranix in Alarmstufe: Rot oder als mürrischer Militärausbilder in Captain America - The First Avenger, um nur ganz wenige Beispiele zu nennen. Wo ich so darüber nachdenke... "Mürrisch" ist tatsächlich das erste Wort, das einem bei Tommy Lee Jones' Charakteren in den Sinn kommt. Er macht irgendwie meistens den Eindruck, als hätte er gerade nicht übel Lust, gleich jemanden zu ohrfeigen. Vermutlich sitzt er heute irgendwo auf einer Feier, mit Partyhütchen und Luftschlangen dekoriert, und bläst griesgrämig in eine Partytröte... Nein, Blödsinn. Denn Tommy Lee Jones ist an und für sich ein liebenswerter Mensch und die böse Miene - hinter der steckt ganz schön viel.

Tommy Lee Jones in No Country for Old Men

Eine Leinwand für die Vielfalt

Wenn wir genauer hinsehen, ist die böse Miene wirklich nur der erste Eindruck. Ganz schnell wird einem klar: Das ist keine schlechte Laune. Schließlich kann der Mann auch ganz wunderbar strahlen und lachen. Nein, dieses Mürrischsein ist viel mehr als das. Es ist die Überdrüssigkeit der Hektik der Welt. Es ist die Last von Jahren, die vergehen mussten, um das wirklich Wichtige im Leben zu erkennen. Es ist das Wissen um das Gute und Böse im Menschen und darum, wozu jeder einzelne fähig ist. All dies gräbt seine Furchen in das Gesicht eines Mannes und bietet die perfekte Leinwand für die verschiedensten Charaktere. Tommy Lee Jones hat so ein Gesicht und nutzt es genau dazu auf beeindruckende Weise: Je nach Film lässt er eine andere Geschichte hinter dem Gesicht durchscheinen.

Das kann die tief verwurzelte Einsamkeit von Agent K in Men in Black sein, der Frau und Familie aufgegeben hat, um die Welt zu beschützen. Dann wäre da Ed Bell in No Country for Old Men, der in seiner Zeit als Sheriff irgendwann fast gänzlich aufgehört hat, sich über die Grausamkeit der Menschen zu wundern (siehe Bild oben). Hinter dessen ruppiger Fassade steht ein erfahrener Beschützer, wie wir in den kurzen Szenen mit seiner Frau zu sehen bekommen. Und schon können wir richtig mitfiebern. Oder aber wir sehen die ersten Risse der Fassade, unter der latenter Wahnsinn schlummert, wie bei seiner Rolle in Alarmstufe: Rot. Gut, manchmal brodelt der Irrsinn dann auch etwas dichter unter der Oberfläche, was Gefängniswärter Dwight McClusky in Natural Born Killers zeigt.

Nie zu viel, nie zu wenig

Das akzentuierte Mienenspiel ist aber nicht das einzige, was Tommy Lee Jones' Rollen so rund und nachvollziehbar macht. Schließlich hat nicht unbedingt jeder Charakter eine tiefsinnige Hintergrundgeschichte. Wer Stormy Monday kennt, weiß, dass er dort als wahres Klischee eines texanischen Geschäftsmannes auftritt. Auch sein Charakter des knallharten Gouverneurs und Anwalts in Der Klient ist nicht gerade eine Neuerfindung des Typus Erfolgsmensch.

Das macht aber nichts. Denn selbst in unerheblichen oder eindimensional anmutenden Rollen profitieren die Charaktere von Tommy Lee Jones' Art zu reden und seinem Respekt vor seinen Rollen. Seine Worte sitzen immer ganz genau. Er verleiht jedem Satz Gewicht, sodass wir nie das Gefühl haben, auch nur ein Wort zu viel gehört zu haben. Selbst bei schrägen Aussagen oder dämlichen Kommentaren scheint es, als wäre gerade kein Satz passender gewesen als genau dieser. Durch diese Präzision wurde mir zum Beispiel Marshall Samuel Gerard in Auf der Flucht nie unsympathisch. Er mochte zwar hart und unbarmherzig auftreten. Aber in seiner Art lag so viel Autorität und seine Aussagen erschienen so sinnig, dass ich seinen moralischen Kompass nie in Frage stellen musste. Wie sich rausstellte, war das auch nicht nötig... Abgesehen davon ist es beeindruckend, wie er in dieser Pudelmütze derart souverän herumlaufen kann und dabei immer noch der Boss bleibt.

Tommy Lee Jones in Auf der Flucht

Ein überspringender Funke

Ich bin mir nach allem, was ich von Tommy Lee Jones bislang gesehen habe, in einer Sache sehr sicher: Tommy Lee Jones ist ein intensiver Mensch. Ein Schauspieler, in dem so viel Intelligenz, Erfahrung, Witz und Gefühl schlummert, dass das wettergegerbte Gesicht es kaum verbergen kann. Und bei all dem, was einen da erwartet, findet er trotzdem immer die richtige Dosierung. Er ist nicht aufdringlich intensiv, wie es einen bei anderen Schauspielern stören könnte. Nein, er lässt gerade den Funken überspringen, den wir brauchen, um Feuer zu fangen. Die Konzentration ist einfach perfekt. In Tommy Lee Jones sehen wir einen in sich ruhenden Gentleman (und das, obwohl er Texaner ist), der nie müde wird, einen zu überraschen.

Darum kann ich mir nach all den Jahrzehnten Schauspielerei und sieben Jahrzehnten Menschsein nur wünschen, dass er genau so weitermacht. Ach, und bitte lächeln, Tommy, du hast Geburtstag.

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