Wie Spike Lees Nola Darling das afroamerikanische Kino veränderte

28.11.2017 - 15:00 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Nola DarlingNetflix
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1986 revolutionierte der junge Spike Lee mit seiner Komödie Nola Darling das afroamerikanische Kino. Jetzt legt Netflix die Geschichte in Form einer Serie neu auf.

Es war das Jahr 1986, als ein junger Regisseur aus Brooklyn, New York mit seinem Erstlingswerk das Kino für immer auf den Kopf stellen sollte. Sein Name war Spike Lee und besagter Film war Nola Darling (im Original: She's Gotta Have It). Drei Dekaden später kehrt der seitdem zum Star-Regisseur herangewachsene Basketball-Fan zurück nach Fort Greene, um die Geschichte in Form der gleichnamigen Netflix-Serie erneut zu erzählen. Viel ist heutzutage vom alten Charme der Nachbarschaft allerdings nicht mehr übrig, denn wie in großen Teilen Brooklyns hat auch hier die Gentrifizierung zugeschlagen. Wo sich 1986 noch junge Afroamerikaner mit Breakdance und Graffiti ausdrückten, leben heute weiße Wohlstands-Familien und Hipster. Im Zentrum der Serie stehen Neuauflagen von Nola Darling (DeWanda Wise) und ihrer drei Liebhaber. Da hätten wir den Kindskopf Mars Blackmon (Anthony Ramos), den seriösen Poeten Jamie Overstreet (Lyriq Bent) und das eingebildete Model Greer Childs (Cleo Anthony), die die hübsche Nola alle für sich alleine haben wollen. Das waren im Film im Jahr 1986 allesamt scharf geschriebene Charaktere, die ohne Klischees und Überzeichnungen auskamen, in der Filmlandschaft der USA vor Spike Lees She's Gotta Have It keine Selbstverständlichkeit.

She's Gotta Have It 2017 (Links) und 1986

Das schwarze Hollywood vor Spike Lee

Nachdem People of Color im Film jahrelang durch geschminkte Weiße porträtiert wurden, zum Beispiel im kontroversen Geburt einer Nation, standen in den 1930er Jahren erstmals schwarze Schauspieler in tragenden Rollen vor der Kamera. Eines dieser früheren Werke ist Vom Winde verweht, der von der schwarzen Community als rassistisch und beleidigend aufgefasst wird, da er die Sklaverei verharmlost. Der große Bürgerrechtler Malcolm X sagte einst über die Darstellerin Butterfly McQueen, dass er sich nach ihrem unterwürfigen Auftritt im Film vor Scham am liebsten unter dem Teppich versteckt hätte (BBC).

Butterfly McQueen als unterworfene Sklavin in Vom Winde Verweht

Mit der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung der 1950er und 1960er Jahre entstanden mehr Filme, die weniger klischeehaft mit Afroamerikanern umgingen. Sidney Poitier war der erste schwarze Schauspieler, der regelmäßig Hauptrollen in Hollywood spielte und sogar mit einem Oscar ausgezeichnet wurde. Im Klassiker In der Hitze der Nacht spielte er einen Detective, der an der Seite eines mit Vorurteilen belasteten weißen Polizisten einen Mordfall lösen muss.

In den 1960er Jahren bildete sich darauf die grelle, weniger anspruchsvolle Blaxploitation-Bewegung, die geprägt ist von Low Budget-Filmen mit potenten Super-Zuhältern als Protagonisten. Afroamerikaner hatten dank ihrer Helden Martin Luther King und Malcolm X ein neues Selbstbewusstsein gewonnen, dass es nun auf die Leinwand zu bringen galt. Blaxploitation-Filme wie Shaft, Superfly und Foxy Brown spielten meist im Drogen- oder Rotlichtmilieu. Beliebt wahren auch Adaptionen von Hollywood-Filmen, die auf afroamerikanische Zuschauer angepasst wurden. Einer davon wäre Dr. Black, Mr. Hyde - Das Monster von London, der auf Dr. Jekyll und Mr. Hyde basiert. Mit fulminanten Soundtracks von Isaac Hayes oder Curtis Mayfield sprachen Blaxploitation-Filme zwar eine große Masse an, strotzten aber nur so vor Stereotypen, bei denen das Testosteron überschwappte, dass man sie im Vergleich zu den Filmen Sidney Poitiers als Schritt zurück verstehen kann. Die von Sidney Poitier gespielten Figuren waren realistische, aus dem Leben gegriffene Charaktere, während die Blaxploitation-Filme wieder mit Klischees arbeiteten.

Überzeichnete Pimps wie in Superfly sind typisch für die Blaxploitation-Ära

Das New Black Cinema

Mit seinem Regie-Debüt She's Gotta Have It gelang Spike Lee 1986 kurz nach seinem Abgang von der Uni schließlich das Werk, das den Stein ins Rollen brachte und die Ära des New Black Cinema einläutete. Bei den Filmen des New Black Cinema handelt es sich um kleinere, erfolgreiche Produktionen schwarzer Regisseure, die in den 1980er und 1990er Jahren gegen Hollywoods stereotypisches Bild vom Afroamerikaner kämpften. Die Filme überzeugen durch ein realistisches Abbild der Lebensumstände, authentische Darsteller und sozialkritische Themen wie Polizei-Gewalt und Gang-Rivalitäten. Nach den Erfolgen von Spike Lees She's Gotta Have It und Do the Right Thing fühlten sich immer mehr dunkelhäutige Regisseure wie John Singleton oder die Brüder Albert Hughes und Allen Hughes berufen, ihre eigene Sicht der Dinge auf die Leinwand zu übertragen. Wichtige Werke der Epoche sind Singletons Boyz'n the Hood - Jungs im Viertel, Menace II Society der Gebrüder Hughes oder etwa New Jack City von Mario Van Peebles.

John Singleton sagte gegenüber dem Hollywood Reporter einst, dass es Boyz'n the Hood ohne Spike Lee vielleicht nie gegeben hätte:

Der elektrisierende Moment war für mich, als ich Do the Right Thing gesehen habe. Ich sah, was Spike mit diesem Film gemacht hat. Ich sagte, ich muss das für Los Angeles machen. Ich muss mit einem harten Film über Los Angeles kommen. [...] Das war Boyz'n the Hood.

Die New Black Cinema-Epoche hielt allerdings nur relativ kurz an, da ihre Regisseure und Stars wie Samuel L. Jackson, Denzel Washington oder Cuba Gooding Jr. nach den Erfolgen schnell von großen Hollywood-Studios entdeckt wurden. Spike Lees Jungle Fever gilt als der Film, der 1991 zu Samuel L. Jacksons Durchbruch führte. Er spielte in dem Film einen drogensüchtigen Mann. Die Dreharbeiten starteten nur zwei Wochen, nachdem er wegen seiner eigenen Sucht auf Entzug war (via Telegraph ): "Es war der erste Film, den ich ohne irgendwelche Substanzen in meinem Körper drehte", erzählt Jackson in der Rückschau.

In Cannes wurde Jackson zum besten Nebendarsteller gekürt und die Rollen-Angebote flatterten rein. Quentin Tarantino gab ihm 1994 eine maßgeschneiderte Rolle in Pulp Fiction, Jackson gehört seither zu den gefragtesten und charismatischsten Darstellern Hollywoods.

Gang-Streitigkeiten wie in Menace II Society sind ein beliebtes Thema im New Black Cinema

Die Renaissance des Black Hollywood

In den letzten Jahren erlebten wir eine kleine Wiedergeburt des Black Hollywood. Während die größten Stars des New Black Cinema nie wirklich weg waren, gibt es heute eine Vielzahl neuer talentierter People of Color in Hollywood, die in Spike Lees Fußstapfen treten. Ein wichtiger Vertreter der aktuellen Ära, die noch ohne Namen auskommen muss, ist zum Beispiel der Regisseur F. Gary Gray. Mit dem oscarnominierten Milieu-Porträt Straight Outta Compton machte er sich einen Namen. In einem Interview mit Complex über Straight Outta Compton nannte Gray Spike Lee als eines seiner Idole:

Straight Outta Compton ist mein erstes Biopic. Mein erstes Historiendrama und ich habe die Chance da draußen etwas zu erreichen wie meine Vorbilder [Martin] Scorsese, [Steven] Spielberg, Spike Lee. Weißt du, die Leute die vor mir da waren.

Auch Spike Lees Serien-Remake von Nola Darling ist Teil dieser neuen Bewegung und nach Dear White People die zweite Netflix-Serie des Jahres, die afroamerikanische Figuren in den Fokus stellt. Im Gegensatz zur dezidiert politischen Serie Dear White People, verfolgt Spike Lee mit Nola Darling jedoch wieder den von Spike etablierten zurückhaltenden und realistischen Ansatz des New Black Cinema der 1980er.

Die Serie Darling fühlt sich an wie ein frühes Spike Lee-Werk. Soziale Themen wie Gentrifizierung, Feminismus und das Leben als jungen Mensch in der Großstadt ziehen sich wie ein roter Faden durch die Serie. Es bleibt abzuwarten, ob das Nola Darling des Jahres 2017 in der aktuellen Bewegung des afroamerikanischen Films eine ähnliche Rolle einnehmen kann wie das Nola Darling des Jahres 1986. Die Serie bildet gerade eine von vielen schwarzen Stimmen im zeitgenössischen Film und das ist ein gutes Zeichen. Die ersten Folgen schlagen schon einen interessanten Weg ein, bringen neue Ansätze mit und lassen die Geschichte dennoch wirken, als wäre sie von Anfang an für die heutige Zeit geschrieben worden. Durch Anspielungen auf Pop-Kultur, die Präsidentschaftswahlen und den Verlust großer Musiker gelingt es Spike Lee, mit seinem Serien-Debüt sein Kino-Debüt glaubhaft in die heutige Zeit zu adaptieren, ohne dabei die Moral aus den Augen zu verlieren.

Nola Darling könnt ihr ab sofort auf Netflix sehen.

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