Schaltet man dieser Tage gegen 0 Uhr am Freitagabend (die beste Sendezeit um wahrgenommen zu werden) das Zweite Deutsche Fernsehen ein, trifft man auf ein fast verloren geglaubtes TV-Relikt: Late Night. Das Konzept der späten Abendunterhaltung ist allgemein bekannt, hat in den vergangenen Jahren in Deutschland allerdings zunehmend an Gewicht verloren, denn Vertreter wie z.B. TV total beeindrucken nur noch durch die Inkompetenz und Lustlosigkeit des Protagonisten und eintönige, scheinbar für die Ewigkeit verankerte Rubriken, welche teilweise den Unterhaltungsgrad eines Baumes haben (nichts gegen Bäume, aber in Sachen Unterhaltung überzeugen sie mich einfach nicht). Hier im ZDF findet sich nun also ein Format ein, welches unabhängig von vielen nationalen TV-Konventionen agiert und dadurch vor allem eine polarisierende Wirkung hat.
Das Neo Magazin existiert schon seit Ende des Jahres 2013, damals noch auf dem Spartensender ZDFneo, allerdings genau so frech und frisch wie heute. Schwarzer Humor, politisch brisante Scherze und Seitenhiebe gegen Medienkollegen, insbesondere auch gegen die YouTube-Fraktion, welche von der restlichen Medienwelt wenig ernst genommen wird, stehen seit jeher auf der Tagesordnung. Da wird zum Beispiel die Standfestigkeit von Oscar Pistorius‘ Verteidigungsstrategie vor Gericht hinterfragt, wie hier bei ca. 20 Sekunden zu sehen ist, ein „Show-Krieg“ mit Circus HalliGalli geführt, hier , die Pegida-Aktivisten musikalisch unterstützt, hier , oder die unfassbar guten Recherchefähigkeiten von Stefan Raabs Redakteuren getestet, hier zu sehen. Dabei führt Jan Böhmermann mal musikalisch, mal interviewend, aber vor allem immer mit Hilfe des geschätzten Begleiters Sarkasmus durch die 30-minütigen Sendungen. Diese orientieren sich an den großen amerikanischen Vorbildern wie der Tonight Show mit Jimmy Fallon oder der Late Show mit David Letterman und zeigen auch viele Einflüsse deutlich. Zum Beispiel wurde mit dem Ritterschlag, dem Ausstrahlungsbeginn im Main-ZDF und dem Anfügen des Zusatzes "royale", ein neues Studio inklusive shiny-floor und Vorhang errichtet, aber auch eine Showband wurde engagiert, in diesem Fall Dendemann und die freie Radikale. Inhaltlich wurde wenig verändert, die kreativen Ideen, Spiele und zahlreichen Rubriken sind weiter vorhanden, die Gäste werden aus Zeitmangel kurz aber einfallsreich in die Show eingebunden und die Themen bleiben beim Alten. Man erkennt, dass der Host sich noch etwas in seine neue Rolle, in der er oft stehend agiert und die Sendung noch mehr auf seinen Schultern lastet, hineinarbeiten muss, allerdings ist die Hektik der ersten Ausgaben, nach nunmehr 4 Folgen etwas verflogen und der deutsche Steve Higgins mit "Vergewaltiger-Hornbrille" und "Omi-Pullover", genannt William Cohn, steht dem dünnen, blassen Jungen sowieso immer lachend und grinsend zur Seite.
Der Humor der Show orientiert sich an keinerlei vorher dagewesenen Sendungen, denn wer political correctness und den seichten Witz bevorzugt, ist hier falsch. Egal ob Ausländer, Musilime, Christen, Juden, Nazis, Behinderte, Deutsche, Politiker, Frauen, Männer, Kinder, deutsche Politiker, behinderte Deutsche, jüdische Nazis, weibliche Muslime oder weibliche, ausländische Nazis, hier wird jeder gleich behandelt, und zwar jeder gleich schlecht. Wer eine Angriffsfläche bietet, wird von Böhmermann parodiert oder kritisiert, allerdings nicht auf plumpe Art und Weise, sondern oft so, dass sich dem Zuschauer neue Perspektiven eröffnen und dieser das entsprechende Thema oftmals aus anderen Blickwinkeln, einem, der oft abseits der öffentlich propagierten Meinung stattfindet, betrachtet. Kernobjekt der letzten zwei Sendungen war z.B. der griechische Finanzminister, wie heißt der noch gleich?
In einem Interview mit "aspekte" erklärt Jan Böhmermann sein Verständnis von Humor, welches essentiell ist, um von der Show unterhalten zu werden. Es geht nicht darum, die betroffene Person oder Bevölkerungsgruppe geringzuschätzen oder eine verharmlosende Wirkung auf Ereignisse wie den Zweiten Weltkrieg oder die Anschläge in Paris auszuüben, sondern darum, die Wirkung der Provokation auf das Gemüt der Zuschauer und deren Hemmschwelle in Bezug auf Zynismus und schwarzen Humor auszutesten. Gerade in Deutschland ist der Großteil der Bevölkerung in dieser Hinsicht eher verklemmt und konservativ eingestellt, was man anhand der Reaktionen, welche vor und nach jeder Sendung von Sidekick William Cohn in einem lyrisch einwandfreiem Monolog zum besten gegeben werden, erkennen kann. Wer also keine Angst vor einer halben Stunde Böhmermann-Humor hat, sollte der Sendung ein oder zwei Chancen geben und wird eventuell mit einem etwas anarchistischen, aber dennoch unterhaltsamen und auf jeden Fall innovativen, kreativen Late Night-Format belohnt.
Schlussendlich darf man über alles und jeden Witze machen, außer den Islam, denn der IS schaut zu.
(frei nach Jan "Jesus" Böhmermann zitiert)
Hier möchte ich noch auf meinen Blog movieeffect hinweisen, den ihr sowohl auf meinem moviepilot Profil, als auch hier findet. In The Ovation würdigen ich und andere Blogger die Highlights des vergangenen Monats, dabei wird unter anderem auch das Neo Magazin Royale erwähnt, während allgemeine Artikel über, meiner Meinung nach, erwähnenswerte Filme/Serien und Projekte informieren. Zudem wäre es nett, wenn die Redaktion von moviepilot die Sendung zu ihrer Datenbank hinzufügen könnte.
Euer Mr.English
P.S.: Wir sind neo, NEO, neo, NEO, frei und radikal, wir sind das NEO MAGAZIN ROYALE.