Warum Terrence Malicks Filme ein einzigartiges Seherlebnis sind

31.05.2017 - 10:00 UhrVor 3 Jahren aktualisiert
Die Verbildlichung von Platos Höhlengleichnis in Knight of Cups
Studiocanal
Die Verbildlichung von Platos Höhlengleichnis in Knight of Cups
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Mit seinem neuen Kinofilm Song to Song ist Terrence Malick endgültig bei einem Kino angelangt, das bildgewaltige Montagen, verbunden mit der Erzähltechnik des Bewusstseinsstroms, prägen.

Als Terrence Malick 1973 seinen ersten Spielfilm Badlands - Zerschossene Träume veröffentlichte, verfolgte der Regisseur noch klar einen narrativen Ansatz. Sein darauffolgender Film In der Glut des Südens wurde bereits mit folgender Tagline  beworben: "Deine Augen … Deine Ohren … Deine Sinne … werden überwältigt werden." Diesem Mantra folgend leitete der Film eine Entwicklung ein, die Malick mit seinen weiteren Werken fortsetzte. Im Verlauf seines Filmschaffens entfernte er sich immer weiter von einer klassischen Erzählweise und verschmolz stattdessen das Voice-over mit den Bildern zu einem Bewusstseinsstrom. So wurden seine Filme zu einem einzigartigen Erlebnis.

Die Wanderung auf dem schmalen Grat

Die Befreiung der rastlosen Kamera durch das Voice-over

Terrence Malick verwendet im Voice-over seiner Filme die Erzähltechnik des Bewusstseinsstroms und legt damit dem Zuschauer die Gedanken, die gerade in seinen Figuren aufkommen, dar. Das Voice-over als treibende narrative Kraft befreit die Kamera regelrecht aus den filmischen Konventionen. Von dieser konventionellen Erzählung losgelöst, erkundet die rastlose Kamera die Welt, anstatt sie nur abzubilden.

Sie bewegt sich mit den Figuren, schwebt zwischen ihnen oder lauert dahinter, was dem Betrachter in einer Art filmischer Hypnose das Gefühl vermittelt, selbst dabei zu sein – und nicht nur etwas aus zweiter Hand erzählt zu bekommen. Wie die Figuren verharrt die Kamera niemals im Stillstand, sondern erkundet vielmehr in einer fließenden Bewegung die Welt. Sie kreiert einen Sog, in den der Zuschauer hineingezogen wird.

Durch die Bewegung der entfesselten Kamera löst sich die Handlung auf und Terrence Malick benutzt motion, um emotion zu vermitteln. Denn die rastlosen Bilder bringen – insbesondere seit seiner Zusammenarbeit mit dem Kameramann Emmanuel Lubezki (ab The New World), einem wahrhaften Meister seines Faches – Schwung in die meist nur fragmentarische Handlung. Die gemeinsamen Filme der beiden ziehen das Erleben dem Erzählen vor: So verwandeln sie die Filme in einen Bilderrausch mit durchgehend atemberaubenden Einstellungen.

Brad Pitt in The Tree of Life

Das einzigartige Erlebnis eines Malick-Films

Terrence Malick erzählt seine Geschichte überwiegend nicht durch Worte, auch wenn er Voice-over und Dialog verwendet. Er will den Zuschauer, ausgehend von einer Beschäftigung mit philosophischen Fragestellungen, dazu anregen, sich mit diesen auseinanderzusetzen. Er schafft es, den Zuschauer in die Welt seiner Figuren zu ziehen, indem die Kamera den Figuren in einem dauerhaften Schwebezustand folgt und deren Gedanken währenddessen über das Voice-over dargelegt werden. Der dadurch entstehende Bewusstseinsstrom in Malicks Filmen öffnet einen persönlichen Erlebnisraum, in dem die Zuschauer sich durch allusive Bilder inmitten von Assoziationen und Metaphern wiederfinden.

Eine Lebensweisheit aus Malicks neustem Werk Song to Song sollte zur daraus abgeleiteten Devise für die Rezeption seiner Filme werden: "Jede Erfahrung ist besser als keine Erfahrung." Wenn wir uns erst mal darauf einlassen, eine neue Erfahrung zu machen, dann bieten Terrence Malicks Filme dafür eine Fülle an Möglichkeiten. Denn man muss sich aktiv mit einem Malick-Film auseinandersetzten, um dessen Reiz zu verstehen. Es ist wie mit Malerei in einem Museum. Um von dem ersten Eindruck, dass es nur "schöne" Bilder sind, die an der Wand einer Gemäldegalerie hängen, wegzukommen, müssen wir uns intensiver mit dem Gesehenen beschäftigen.

Wie der griechische Philosoph Sokrates will Terrence Malick dem Zuschauer keine Erkenntnisse vermitteln, sondern mit dessen mäeutischer Vorgehensweise dazu verhelfen, mit geeigneten Fragen eigene Antworten zu finden. Der Schriftsteller Tom Robbins brachte den Grundgedanken hinter diesem Verfahren in seinem Roman Pan Aroma passend auf den Punkt:

Lehrer, die dir die letzten Antworten anbieten, sind nicht im Besitz der letzten Antworten, denn wenn sie es wären, wüßten sie, dass die letzten Antworten nicht gegeben, sondern lediglich empfangen werden können.
Reflexionen über das Leben

Der Einfluss seines Philosophie-Studiums

Bevor Terrence Malick Filme drehte, studierte er in Harvard Philosophie und erhielt nach seinem Abschluss mit Bestnote ein Stipendium für die University of Oxford, wo er eine Doktorarbeit über Martin Heidegger, Søren Kierkegaard und Ludwig Wittgenstein begann. Die Schriften dieser Philosophen scheinen ihn persönlich stark beeinflusst zu haben: Malicks Filme erwecken den Eindruck, als hätte er einige Denkansätze der Philosophen in seine Arbeit als Filmemacher miteinbezogen.

Ludwig Wittgenstein wollte unter anderem Wahrheiten über die Welt finden, indem er zwischen wissenschaftlich sinnvollen und sinnlosen Sätzen unterschied, musste sich aber am Ende eingestehen, dass es keine absoluten Wahrheiten gibt. Diese Lehre scheint sich Terrence Malick zu eigen gemacht zu haben. Malick versucht im Gegensatz zu vielen anderen Filmemachern nie, eine moralische Geschichte zu erzählen, sondern stellt ein gewisses Thema zur Debatte. Seine Filme übermitteln keine Erklärung der Welt, sondern stellen ihr außergewöhnliches Dasein in den Mittelpunkt, so wie Wittgenstein das Mystische nicht in der Beschaffenheit der Welt, sondern in der Existenz der Welt sah.

Ebenfalls sehr prägend scheint Wittgensteins These, dass Gefühle im Gegensatz zu Worten jeder nachvollziehen kann. Dass Terrence Malick dies verinnerlicht hat, zeigt sich daran, dass er eben nicht versucht eine klassische Geschichte zu erzählen, sondern in seinen bewusstseinsströmenden Filmen die Gefühle seiner Figuren durch fließendes Assoziationskino vermitteln will. Die Tagline zu In der Glut des Südens hatte nicht zu viel versprochen, als sie ankündigte, der Film werde die Sinne des Zuschauers "überwältigen". Sie stellte vielmehr erst den Beginn einer Entwicklung des Filmemachers dar, die mit Song to Song nun formvollendet abgeschlossen scheint.

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