Warum Kriegsspiele keinen Spaß machen müssen

04.09.2014 - 16:00 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
This War of Mine präsentiert eine andere Art von Kriegsspiel
11 Bit Studios
This War of Mine präsentiert eine andere Art von Kriegsspiel
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Kriegsspiele müssen nicht immer nur Shooter sein. Dass es auch anders geht, zeigt eine neue Generation von Spielen, die die verschiedenen Facetten bewaffneter Auseinandersetzungen zeigen wollen.

Videospiele und Shooter gehören zusammen wie Hollywood und Blockbuster. Größer, lauter, explosiver lautet das inoffizielle Motto, mit dem sie ihre Materialschlachten rechtfertigen und mit immer imposanteren Inszenierung um unsere Aufmerksamkeit buhlen.

Ausreden, warum die digitalen CGI-Fetzen überhaupt erst fliegen, gibt es jede Menge. Zu den Lieblingsbegründungen von Spielen gehört Krieg. Kann es schließlich einen schöneren Vorwand geben, als in die patriotischen Stiefel eines Soldaten zu schlüpfen, um im Namen der Freiheit und Gerechtigkeit den Feind dieser Werte mit Kugeln zu reduzieren?

Größer ist nicht immer besser

Call of Duty, Battlefield, Medal of Honor, Homefront, … die Liste der AAA-Spiele, die Spieler in die digitale Schlacht schicken, wächst stetig weiter. Obwohl gerade der regelmäßige Release von im Kern doch recht ähnlichen Spektakeln zu einer Mischung aus Running-Gag und Abgesang auf das Genre geworden ist, verkaufen sich die Kriegs-Shooter noch immer so gut, um locker über Spott und Kritik hinweg sehen zu können.

Schade, eigentlich. Denn der stete Erfolg mit immer gleichen Mitteln lässt es gerade bei den beiden Flaggschiffen von Activision und Electronic Arts zu, dass sie auf gewisse Weise stagnieren und sich nur minimal weiter entwickeln. Sicherlich, an der Mechanik wird konstant geschraubt. Gibt es nicht gerade Server-Probleme, dann gibt es zumindest technisch kaum etwas an den Shootern auszusetzen und sie bieten gerade im Multiplayer über Monate hinweg Unterhaltung mit ihren digitalen Schlachtfeldern. Allerdings ändert sich am Kern der Spiele recht wenig.

Der AAA-Krieg legt weiterhin den Fokus so sehr auf Optik und Mechanik, dass jede Botschaft über bewaffnete Auseinandersetzungen völlig unter hochaufgelösten Polygonen verschwindet – falls sie denn überhaupt da war. Obwohl Krieg in Spielen in den unterschiedlichsten Genres von Shooter bis Strategie zu finden ist, bleibt eines nahezu immer gleich: Er ist nicht viel mehr als ein Setting, ein oft unreflektiertes Mittel zum Zweck.

Zumindest, wenn wir lediglich einen Blick auf Blockbuster-Titel werfen, die auf reine Unterhaltung reduziert werden. Suchen wir im virtuellen Krieg mehr als nur eine Ausrede, auf digitale Feinde zu schießen, müssen wir uns einer anderen Art von Spiel zuwenden.

Wer braucht schon Spaß?

Das Text Adventure Rendition  zeigt, dass Worte manchmal eben doch mehr sagen als Bilder, wenn es versucht herauszufinden, wie weit ihr bei der Befragung eines mutmaßlichen Terroristen gehen würdet. Obwohl auch die ersten beiden Modern Warfare-Titel solche Szenen beinhalten, schaffen sie es trotz ihrer Visualität nicht, an das Grauen von Rendition heranzukommen. Die Interactive Fiction zwingt euch, genau zu beschreiben, was mit eurem Gefangenen im Krieg gegen den Terror geschehen soll. Welches Körperteil ihr zuerst verletzt oder wie ihr ihn am besten erniedrigt, um an Informationen zu gelangen ...

Maybe Make Some Change  ist ein Text Adventure, das auf den Kill-Team-Morden in Afghanistan beruht, bei denen Mitglieder der US Army Zivilisten töteten, obwohl sie keine Bedrohung darstellten. Zu Beginn des Text Adventures gibt es nur ein einziges Verb, das ihr verwenden könnt: “Shoot.” Und von da an geht es nur abwärts.

Interactive Fiction bietet den zweifelhaften Vorteil, Themen wie Folter und sinnloses Töten aufgreifen und in all seinem Horror darstellen zu können. Hier lenkt keine übermäßig blutige Grafik vom Thema ab und die Abstraktion hilft der Botschaft, die die Ausübung der Gewalt vermitteln möchte.

Weniger düster geht es im Überraschungserfolg Valiant Hearts: The Great War zu. In erstaunlich ruhigen Tönen erzählt das Spiel eine Geschichte von Verlust, Kameradschaft und Liebe im Ersten Weltkrieg, während es klammheimlich Bildung hinter malerischer Grafik und Point & Click-Gameplay versteckt. Für jeden Moment der Dunkelheit gibt es ein wenig Wärme, was für ein berührendes Erlebnis inmitten eines Krieges sorgt, der ansonsten gerne von Videospielen ignoriert wird.

Nicht jeder ist Soldat

Valiant Hearts, Rendition und Maybe Make Some Change stecken euch in die Rolle von Soldaten. Somit erhalten sie (wenn auch auf ungewöhnliche Weise) ein Klischee aufrecht, das auf die wenigsten zutrifft, die Teil eines Krieges sind. Genauso wenig wie Call of Duty noch Battlefield und Co. zeigen sie, was es heißt, inmitten des Horrors zu leben.

Eines der Spiele, die das ändern wollen, ist das durch die Auseinandersetzungen in Bosnien, Syrien und Lybien inspirierte This War of Mine. In dem Survival-Simulator ist es egal, worum eigentlich gekämpft wird. Alles, was zählt, ist den Tag zu überleben und die nötigen Ressourcen dafür zu bekommen: Medikamente, Nahrung, Wasser. Zwischen euch und eurem Überleben stehen nicht nur Scharfschützen, sondern vor allem euer eigenes Gewissen. Das Gute oder Böse gibt es nicht, nur Überleben. Den Preis dafür entscheidet ihr.

Im Stil von Dear Esther und Gone Home macht euch das erst kürzlich via Kickstarter gefundete Sunset  von Tale of Tales zu einer Putzfrau inmitten einer lateinamerikanischen Stadt, in der es gerade zu blutigen Unruhen kommt. Sunset verfolgt dabei weniger eine lineare Geschichte, sondern will euch stattdessen die Hilflosigkeit und Verwirrung der Situation erleben und eure eigenen Schlussfolgerungen ziehen lassen.

Dass Krieg und Multiplayer nicht unbedingt auf Team Deathmatch hinauslaufen müssen, will The Sun Also Rises  mit seinem passiven Multiplayer beweisen. Ihr könnt wählen, ob ihr in die Rolle eines Jungen, einer CIA-Agentin oder eines Sanitäters schlüpft. Entscheidungen, die ihr als eine dieser Figuren trefft, werden dann das Erlebnis anderer Spieler beeinflussen. Vor der erstaunlich farbenfrohen Kulisse des Krieges gegen den Terror geht es um Themen, die in Videospielen selten angesprochen werden: PTSD, die Reintegration von Soldaten, sexuelle Belästigung im Militär, die Indoktrination von Kindern durch die Taliban und vieles mehr. Im Vordergrund steht weniger der Krieg und vielmehr die Menschen, die von ihm beeinflusst werden und wie sie damit umgehen.

Evolution des Wohnzimmerkrieges

Niemand bestreitet, dass übertriebene Kriegsshooter auf den Spuren von Hollywood-Blockbustern eine Daseinsberechtigung haben, allerdings präsentieren sie ein einseitiges Bild eines komplexen Themas. Es ist schön zu sehen, dass Videospiele langsam dem Beispiel der Filme folgen und Krieg von unterschiedlichen Blickwinkeln aus betrachten. Antikriegsfilme gibt es schließlich schon lange, warum also nicht auch ein Videospiel-Äquivalent?

Abgesehen von Valiant Hearts hat keines der Spiele den Anspruch, Spaß zu machen. Stattdessen wollen sie Erfahrungen bieten, auf die wir vielleicht sogar lieber verzichten würden. Gerade das macht sie so wertvoll für die Evolution des Wohnzimmerkrieges und seine Zukunft.

Nicht jedes Kriegsspiel braucht einen Bildungsauftrag oder muss emotionale Tiefe bieten. Trotzdem ist es schön, dass etwas mehr Abwechslung auf das digitale Schlachtfeld kommt. Heldenhafte Soldaten spielen wir schließlich oft genug.

Was haltet ihr von dieser neuen Art von (Anti-)Kriegsspiel?

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