Verliebte Nonnen und andere extreme Frauen

13.02.2012 - 08:50 UhrVor 12 Jahren aktualisiert
Extreme Frauen auf der Berlinale
Berlinale/moviepilot
Extreme Frauen auf der Berlinale
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Heute gab es auf der Berlinale vor allem Frauen in Extremsituationen. Ich war eine davon. Zumindest dann, wenn sich der verstellte Blick auf unbedingt notwendige Untertitel als Extremsituation einordnen lässt.

Nachdem ich gestern Einblick in menschliche Abgründe gewonnen hatte, ging es heute bei der Berlinale mit Frauen in unerfreulichen Lebenslagen weiter. Auch meine eigene Lage war vorübergehend unerfreulich, doch darüber wird wohl niemand einen Film drehen. Wenn doch, sollte er den Titel tragen Der Mann, der zu viel verdeckte.

Sitz! Platz! – Die Kunst der richtigen Platzwahl im Kosslick-Palast
Am vierten Tag der Berlinale fing ich an, meine Sitzplatz-Strategie zu verfeinern. Wie von Kollegen empfohlen, suche ich im Berlinale-Palast, auch Kosslick-Palast genannt, stets den obersten Rang auf. Weil es dort wenig Beinfreiheit gibt, wähle ich nicht die erste Reihe. Auch die zweite ist nicht zu empfehlen, weil sich die Leute in der ersten Reihe gerne auf das Geländer lehnen, wodurch ihre Köpfe sich meist in der Mitte der Untertitel positionieren. Wie mich gestern eine harte Lektion lehrte, eignet sich aber auch die dritte Reihe nicht, denn je nach Körpergröße kann mir selbst dort das Geländer-Lehnen anderer zum Verhängnis werden. Den Kollegen, der mir heute die Untertitel des Films in Tagalog (!) versperrte, hätte ich am liebsten mit meinem Notizbuch beworfen, aber ich bin leider nicht treffsicher. Erst kam er zu spät, dann zog er sich in aller Runde mehrere Schichten Kleidung aus, wobei er seine Extremitäten immer mitten in mein Sichtfeld streckte. Als er damit fertig war, fing er an, sich seine Haare zu frisieren, die sein Hut platt gedrückt hatte. Als sie endlich in Form waren, standen sie wie der Rasen eines Schattenspiels vor den Buchstaben. Morgen setze ich mich wieder in die zweite Reihe. Dann kann ich nämlich in solchen Fällen mit meinem Notizbuch einfach ganz kräftig ausholen…

Frauen in Extremsituationen 1: Die verliebte Nonne und ihr Mönch
Die erste Frau, die ich heute in einer Extremsituation erlebte, war die Nonne Urania (Tamila Koulieva) in dem Film Metéora. Urania lebt in einem Kloster, das an der Spitze eines hohen Berges gelegen ist. Auf dem Berg gegenüber lebt Theodoros (Theo Alexander), der attraktivste Mönch, den ich je im Film gesehen habe. Das geht offensichtlich auch Urania so, denn ihre innige Liebe zu diesem Mann bringt ihre moralischen Grundsätze so durcheinander, dass sie der Verzweiflung nahe ist. Dass mir der Film von Spiros Stathoulopoulos trotz arg reduzierter Handlung nicht langweilig wurde, kann ich mir nur mit der offenbar gelungenen Dramaturgie erklären. Mit seinen eindrucksvollen Naturaufnahmen und der atmosphärischen Musikuntermalung nahm er mich mitten hinein in den inneren Konflikt seiner Figuren. Kurze Animationssequenzen, deren Ästhetik an Kirchengemälde oder Fresken erinnerten, stellten das Dilemma der Protagonisten und ihre Gefühle von Scham und Schuld auf symbolischer Ebene dar. Das ist kein „easy-viewing“, aber künstlerisch anspruchsvoll und in meinen Augen auch ziemlich gelungen.

Frauen in Extremsituationen 2: Die entführte Französin und der Dschungel
Verzweiflung herrscht auch in Captive von Brillante Mendoza. Isabelle Huppert wird hier als Sozialarbeiterin und Missionarin Opfer einer Entführung durch die muslimische Abu-Sayyaf Gruppe. Auf der einen Seite gelingt es Brillante Mendoza, die entstehende Gruppendynamik zwischen Tätern und Opfern eindrücklich zu inszenieren. Gleichzeitig aber konnte er mich zu keinem Zeitpunkt wirklich in die Geschichte hineinziehen und mein Interesse für seine Figuren wecken. Das ist vor allem der wackligen Kamera geschuldet, die zwar einen interessanten dokumentarischen Effekt erzielt, meine Sehnerven bei einer Laufzeit von zwei Stunden jedoch zu sehr strapazierte. Auch fehlten mir Informationen über den realen Hintergrund der Geschichte. Die Folge dieser Schwachstellen war, dass sich Captive unheimlich in die Länge zog und ich die Rettung der Geiseln irgendwann nur deshalb nicht mehr abwarten konnte, weil ich endlich das Kino verlassen wollte. Brillante Mendoza hat sich Mühe gegeben, so realistisch wie möglich zu arbeiten. Die Drehzeit muss für die Schauspieler starke Ähnlichkeit mit Ich bin ein Star – Holt mich hier raus gehabt haben. Für meinen Geschmack ist leider trotzdem – oder vielleicht deshalb – keine Geschichte entstanden, die mich über 120 Minuten lang bei der Stange hält.

Frauen in Extremsituationen 3: Die unfreiwillige Terroristin und ihre Brut
Auch in Shadow Dancer gerät eine Frau in eine extreme Situation. Die Nordirin Collette (Andrea Riseborough) ist durch ihre Brüder in terroristische Aktivitäten verwickelt worden. Im Gegensatz zu ihnen steht sie nicht konsequent hinter ihren Taten und bangt vor allem um das Wohl ihres Sohnes. So nimmt sie das Angebot des britischen Geheimdienstes an, Informationen über zukünftige Anschläge weiterzugeben. Der Offizier Mac (Clive Owen) sichert ihr und ihrer Familie seinen persönlichen Schutz zu. Doch Mac hat die Rechnung ohne seine Kollegen gemacht. Als die Situation eskaliert, muss sich Collette endgültig entscheiden, wem ihre Loyalität gehört. Das Drehbuch von Tom Bradby weiß die Geschichte spannend zu erzählen und Regisseur James Marsh setzt sie gekonnt in Bilder um. Leider ist Collette die einzige Figur mit Tiefgang. So können Schauspieler wie Clive Owen und Gillian Anderson schon allein auf Grund ihrer etwas zu eindimensional geratenen Charaktere nicht richtig glänzen. Positiv überrascht hat mich übrigens Domhnall Gleeson, alias Bill Weasley. Von seiner Harry Potter-Vergangenheit ist in seiner Rolle des Terroristen mit Herz nichts mehr zu sehen. Insgesamt ist Shadow Dancer für mich zwar ein gelungener Thriller, hat aber einen Wiedererkennungswert der gegen Null geht.

Sophies Geheimtipp: This Ain’t California
Da mein Artikel sonst zu lang wird, verweise ich zu einer genaueren Betrachtung dieses Films aus der Sektion Perspektive Deutsches Kino auf meinen Blog. Nur so viel sei gesagt: Wer die DDR mal von einer ganz andere Seite erleben will, der sollte sich diesen Dokumentarfilm über Skateboarding im Osten nicht entgehen lassen!

Welcher der heute präsentierten Filme schafft es denn auf eure Vormerkliste?

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