Unsane - Steven Soderberghs iPhone-Thriller ist ein dunkler Genuss

30.03.2018 - 11:50 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Claire Foy in Unsane
20th Century Fox
Claire Foy in Unsane
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Per iPhone hat Steven Soderbergh seinen Psychothriller Unsane gedreht, in dem Claire Foy dem medizinisch-industriellen Komplex in die Fänge geht. Es ist ein dunkler Genuss auf der in dieser Hinsicht eher enthaltsamen Berlinale.

Dieser Artikel erschien zur Premiere von Unsane auf der Berlinale am 21.02.2018. Seit Donnerstag läuft Unsane in den deutschen Kinos.

Steven Soderberghs Psychothriller Unsane - Ausgeliefert spielt im Wettbewerb der Berlinale 2018 außer Konkurrenz und auf einer anderen Ebene als viele der Filme, die im Programm zu sehen sind. Nicht weil er per se besser oder schlechter wäre. Unsane fällt durch seine zackige, entschlackte Erzählung auf. Methodisch wird das Leben von Sawyer Valentini in drei Szenen skizziert, die sie wiederum in die Pflege der Highland Creek-Anstalt führen, die wiederum in Sawyers Widerstand mündet, der wiederum ihre Hintergrundgeschichte ankratzt, die wiederum zu einer Erweiterung der Perspektiven des Films führt. Aus dem Einzel wird ein Doppel, als Sawyer ihren Stalker in einem Pfleger wiederzuerkennen glaubt. Um einen klar getakteten Plot wie diesen beim Festival zu sehen, muss der Weg schon in die Retro führen. Oder eben geradewegs zu Steven Soderbergh, der Unsane mit einem iPhone gedreht hat. Weil er es kann. Oder besser: Weil er es will.

Der Wille zum Scheitern

Dieses "Wollen" gehört zu den Kerneigenschaften von Soderbergh als Filme- und Serienmacher. Der Wille zum Experiment und damit zum Scheitern führte ihn nach seinem Durchbruch mit Sex, Lügen und Video in den 90er Jahren durch eine Reihe von Flops, bevor er mit Out of Sight den Weg in Hollywoods erste Liga antrat. Er führte ihn nach Oscar-Material wie Erin Brokovich und Traffic zum Fehlschlag Voll Frontal, er führte von The Knick zur App-Serie Mosaic, vom Flop Logan Lucky, dessen Finanzierung er selbst organisierte, zu Unsane und dem ultimativen Signum unabhängigen Filmemachens für die Millennial-Generation: Er wurde auf dem Handy gedreht. Und wenn als Nächstes eine Soderbergh-Serie kommt, die aus Instagram-Stories besteht, dann wäre das auch keine Überraschung. Nicht jedes dieser Projekte gelang, keines revolutionierte die amerikanische Filmindustrie  so, wie es damals bei seinem Erstling geschehen war. Ihnen allen aber liegt dieser Wille zur Veränderung zugrunde, der Soderbergh manchmal so schwer greifbar macht als Regisseur, so enttäuschend, unerwartet, überwältigend. Und so unersetzlich.

Jetzt feiert also der "iPhone-Film" bei der Berlinale Premiere. Bei anderen Filmmachern würde die Furcht vor einem Marketing-Gimmick mitschwingen. Bei Soderbergh, der wie immer auch Kamera und Schnitt übernimmt, sind wir in experimentierfreudigen Händen. Nach Contagion, Side Effects und The Knick spielt sich Unsane wieder im medizinisch-industriellen Komplex der Vereinigten Staaten ab. Was passiert, so die Fragestellung, wenn man den ungezügelten Kapitalismus auf das Gesundheitssystem einer Nation anwendet? Waren es in Side Effects noch Pharma-Konzerne, wird sich dieses Mal einem Typus Klinik und dessen parasitärem Verhältnis zum Patienten gewidmet. Sawyer (Claire Foy) leidet unter Erfahrungen mit einem Stalker, googlet eine Selbsthilfegruppe und landet in Highland Creek. Im Kleingedruckten des ersten Therapiegesprächs übersieht sie allerdings die optionale Zwangseinweisung zur Beobachtung. Je mehr Betten gefüllt werden bei minimalen Investitionen, so das Geschäftskonzept, desto mehr bezahlen die Versicherungen. Haben diese ihr Limit erreicht, ist der Patient gesund.

Eine Firma wie jede andere in Amerika

Sawyer ist widerspenstig. Sie tritt einem Patienten in die Genitalien und schlägt einem Pfleger ins Gesicht. Wenn sie dumm angemacht wird, beißt sie zurück. Sie hat sich abgemüht für ihren Job und lässt sich das auf keinen Fall nehmen. In der Anstalt wirkt diese Mentalität als Brandbeschleuniger. Im Geschäft mit der Gesundung trifft die Klinik ausgerechnet auf die eine Patientin, die alles tun würde, um bloß nicht als Ware, als Objekt missbraucht zu werden. Nicht schon wieder. Aus 24 Stunden werden 7 Tage. Beim täglichem Pillencocktail zur Ruhigstellung wähnt sie sich schließlich jenem Täter gegenüber (Joshua Leonard, Zeuge des Blair Witch Projects), wegen dem sie Familie und Freunde zurückließ und in 400 Meilen Entfernung ein neues Leben angefangen hatte. Doch das alte holt sie ein.

Im Busch ist schon viel früher etwas in Unsane, dessen Kamera Sawyer zunächst verstohlen beim Weg zur Arbeit oder in die Mittagspause folgt. Das Smartphone-Bild hat dabei eine eigenwillige, leicht unsaubere Textur. Die wird herausgekitzelt, wenn Sawyer einem Arzt gegenübersitzt und verzweifelt klarstellt, dass sie hier nicht hingehöre, alldieweil Claire Foys Gesicht sich in die Unschärfe, Richtung Zuschauer drängt. Überhaupt, als Großaufnahmen-Darstellerin scheint mir Foy noch zu wenig gewürdigt. In der Netflix-Serie The Crown verkam ihr Blick zwischen Aufquellen und stählerner Härte schnell zum Allzweckmittel, hielt das Herz der Serie neben dem gestelzten Schauspiel der Kollegen aber am Pumpen. Tangerine L.A., ein anderes erfolgreiches iPhone-Experiment, machte sich das Smartphone für die Beweglichkeit zunutze. Als Zuschauer laufen wir mit durch die Spätsonne von Los Angeles. In Unsane wird eine Gehetzte, die sich nach eigener Aussage ständig in Gefahr fühlt, auf engstem Raum mit ihrem Peiniger eingesperrt. Es ist eine etwas andere Face Time, die wir hier von Claire Foy geboten bekommen.

Paranoia in Großaufnahme

Ein weiteres Mitbringsel des Smartphones: Die zeitgemäße Paranoia allgegenwärtiger Aufnahme, wie sie längst nicht nur durch Überwachungskameras geschürt wird. Soziale Medien sind ein Einfalltor für Stalker, wird Sawyer in einem Flashback samt Cameo geraten. Mit einer beklommenen Bildsprache der ins Bild wuchernden Gesichter und verloren wirkenden Patientenkörper im Hintergrund ähnelt Unsane manchmal 12 Monkeys. Oder einem besonders düsteren Philip DeFranco-Vlog.

Highland Creek sei wie jede andere Firma in Amerika, wird einmal festgehalten, kurz bevor in der Nähe Leichen gefunden werden. So viel analytisches Interesse das Drehbuch von Jonathan Bernstein und James Greer für die perverse Wertschöpfung im amerikanischen Gesundheitssystem aufbringt - Unsane ist letztlich ein einfacher, aber nicht simpler Psychothriller; eben Alan J. Pakula in De Palma-Laune, der sich im Schock-Korridor mal so richtig austobt. Für die komplexe Systemkritik sind im Berlinale-Programm andere zuständig. Unsane interessiert zunächst einmal nur eines: Was, wenn eine Anstalt wie Highland Creek auf Menschen trifft, die tatsächlich behandelt werden sollten?

Mehr: Alle Artikel zur Berlinale 2018 auf einen Blick

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