The Negotiator-Regisseur David Mackenzie verrät, wie er seinen neuen Thriller am geschäftigsten Ort der Welt gedreht hat

26.09.2025 - 08:00 Uhr
The Negotiator
Leonine
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Mit The Negotiator läuft aktuell ein starker Whistleblower-Thriller im Kino. Wir haben uns mit Regisseur David Mackenzie zum Interview zusammengesetzt und über seinen neuen Film gesprochen.

Den typischen David Mackenzie-Film gibt es nicht.

Seinen Durchbruch feierte der schottische Regisseur mit dem erotisch aufgeladenen Neo-Noir Young Adam, der 2003 bei den Filmfestspielen von Cannes seine Premiere feierte. Danach bewegte er sich durch die verschiedene Genres, ohne je die offensichtlichsten Elemente dieser zu bedienen, von einer frechen Sex-Komödie (Spread) über endzeitliche Science-Fiction (Perfect Sense) bis Thriller (Hell or High Water).

Zuletzt war Mackenzie mit dem Historienepos Outlaw King bei Netflix vertreten, ehe er für mehrere Jahre von der Bildfläche verschwand. Nun meldet er sich mit einem neuen Werk auf der großen Leinwand zurück und das wartet mit einer spannenden Prämisse auf: The Negotiator erzählt die Geschichte der Whistleblowerin Sarah (Lily James), die sich an den Fixer Ash (Riz Ahmed) wendet, weil sie um ihr Leben fürchtet.

Darüber und mehr haben wir mit David Mackenzie im Interview gesprochen.

Moviepilot: Das Drehbuch zu The Negotiator wurde von Justin Piasecki geschrieben und landete 2019 unter dem Titel The Broker auf der Black List, die die besten unverfilmten Drehbücher Hollywoods sammelt. Wie genau funktioniert das mit der Black List? Suchst du da als Regisseur gezielt nach neuem Material?

David Mackenzie: Nein, ich wusste gar nicht, dass es auf der Black List war. Es wurde mir als Drehbuch geschickt, ich habe es gelesen und mochte es. Die Fassung von 2019 war allerdings sehr anders als das, was es heute ist. Aber es gab einige tolle Elemente darin, die mir gefallen haben und bei denen ich dachte: Da kann ich ansetzen.

Was hat dir beim ersten Lesen am meisten gefallen?

Die Beziehung zwischen der Whistleblowerin und Ash, der sie beschützt. Überhaupt das ganze Konzept einer solchen Person – jemand, der Menschen auf eine eher zwielichtige, fast schon geheimdienstliche Art hilft. Das hatte einfach was Cooles. Ich mochte auch, wie sich die Handlung entfaltet, und dieses Spiel zwischen digital und analog.

Kannst du etwas zu den Änderungen sagen, die du im Lauf der Jahre am Drehbuch vorgenommen hast?

Theoretisch könntest du das ursprüngliche Black-List-Drehbuch lesen und sehen, wie anders es war – sofern es noch verfügbar ist. Das ist allerdings ein wunder Punkt für mich, weil ich im Grunde die Hälfte dieses Skripts neu geschrieben und dafür keinen Credit erhalten habe.

Der Film dreht sich stark um Kommunikation – um Anrufe, Stimmen, all diese auditiven Elemente. Wie bist du als Regisseur damit umgegangen, das alles visuell umzusetzen?

Das war eine echte Herausforderung, denn vieles in dem Film ist sehr losgelöst, räumlich getrennt voneinander. Wir haben bewusst in New York gedreht – das war von Anfang an geplant –, weil wir ein ganz bestimmtes Stadtgefühl einfangen wollten: Dieses Gefühl, in aller Öffentlichkeit unsichtbar zu sein. Das ist faszinierend an New York. Und auch diese Isolation, die besonders Ashs Figur durchlebt. Einsamkeit ist überhaupt ein starkes Thema im Film und verbindet die beiden Hauptfiguren auf eine interessante Weise.

Was die Visualisierung angeht: Ich arbeite seit, ich glaube, neun Filmen mit demselben Kameramann [Giles Nuttgens]. Wir funktionieren sehr instinktiv zusammen. Wir wollten etwas sehr Bewegliches, manchmal aber auch ganz bewusst die Kamera ruhen lassen – gerade in den ruhigeren Gesprächen. Eine der frühesten Ideen war, alle Telefonisten als richtige Figuren zu zeigen. Wir wollten, dass dieser Raum lebt, dass er etwas Eigenes wird. Wenn diese Menschen Texte lesen, die andere geschrieben haben, entsteht eine gewisse emotionale Distanz, aber manchmal spürt man auch ihre Anteilnahme, ihre Dringlichkeit. Und manchmal essen sie einfach nur Chips dabei.

Ich mochte das Gefühl von Einsamkeit in dem Film wirklich sehr. Ausgehend vom Trailer hatte ich zuerst etwas Actionreicheres erwartet, aber dann hat mich die Beziehung der Figuren sehr berührt.

Es gab tatsächlich eine recht große Action-Szene in der U-Bahn, die ich unbedingt drehen wollte. Aber das Budget hat einfach nicht gereicht. Wir mussten sie streichen. Mit der Szene hätte der Film vielleicht eine etwas andere Balance bekommen – mehr Action, weniger Emotion. Aber im Kern war der Film für mich immer ein emotionaler Slow-Burn, der gegen Ende kinetischer wird. So hatte ich ihn jedenfalls konzipiert.

Wo du Action und Budgets sagst: Ich war total begeistert von dieser hektischen Szene am Times Square, die sich von Sekunde zu Sekunde in ihrer Anspannung steigert. Konntet ihr das wirklich vor Ort drehen?

Das war unser erster Drehtag!

Wirklich?

Ja, eine achtminütige Szene, mitten am Times Square. Wir hatten nur ein winziges Areal, das wir mit unserer Crew abstecken konnten – beim Zeitungsstand. Auf den Rest hatten wir keinen Einfluss. Ich wollte unbedingt auf die Straße, aber mein Team war skeptisch. Alle meinten: Wie willst du das kontrollieren? Und ich sagte: Ich will es gar nicht kontrollieren. Und es hat funktioniert. Es war ein verrückter erster Drehtag. Aber es hat alle direkt in den Film geworfen. Für mich ist diese Sequenz großartig – die Energie, die Atmosphäre, dieser Spionage-Vibe. Ein guter Einstieg in den Dreh.

Musstet ihr euch dafür eine Drehgenehmigung einholen oder kann man einfach so am Times Square filmen? Wie läuft das logistisch ab?

Wenn man nichts kontrolliert und nur Hinweisschilder aufstellt, die sagen: "Achtung, hier wird gefilmt", darf man es grundsätzlich. Allerdings gibt es gewisse Vorschriften von der Screen Actors Guild, was den Einsatz von Statisten und Darstellern in solchen offenen Umgebungen angeht. Wir haben das anfangs nicht gewusst und sind einfach wild drauflosgezogen – an einem der geschäftigsten Orte der Welt.

Das klingt nach einem richtigen Guerilla-Dreh.

Wir haben auch viele andere Szenen auf diese Art gemacht, zum Beispiel einfach aus Vans heraus gefilmt, ganz spontan. So haben wir das echte New York eingefangen. Ein Grund dafür war auch der super straffe Drehplan – nur 27 Drehtage mit der Hauptcrew. Das war eines der anstrengendsten Projekte, die ich je gemacht habe.

Was war die schwierigste Szene beim Dreh?

Times Square war natürlich krass, aber die Szene mit den Telefonisten war mindestens genauso knifflig. 25 Seiten Dialog an einem Tag – ich konnte die Nacht davor nicht schlafen. Aber wir haben es geschafft. Nachtschicht und Tagschicht wurden ein richtiges Team und ich habe sie einfach machen lassen. Es hat wunderbar funktioniert.

Wir war der Dreh in der Grand Central Station? Da geht es auch nicht wirklich ruhiger zu als am Times Square und ihr seid nicht einmal im Freien.

Der war auch anstrengend, aber nicht so schlimm. Ich wusste genau, was ich dort wollte. Wir hatten den Zug und die Gleise für unseren Dreh unter Kontrolle, aber nicht die Haupthalle. Schlussendlich ist jedoch genau das das Spannende an dieser Art von Filmemachen: Dass man sich nicht um Kontinuität kümmern muss – was ich sowieso nie gerne tue. Es geht einfach darum, die Energie vor Ort einzufangen und sich davon mitreißen und inspirieren zu lassen.

Wenn also Leute vorbeilaufen, die nicht zum Filmteam gehören, und direkt in die Kamera schauen – das stört dich dann nicht?

Doch, manchmal schon. In meinem neuesten Film [Fuze] gab es am Ende eine Szene auf einem Markt in Istanbul, wo viele Leute in die Kamera geguckt haben. Da mussten wir mit VFX ein bisschen tricksen – die Blickrichtung verändern oder so. Aber ganz ehrlich: Wenn man alles kontrolliert, verliert man den Geist des Ortes. Lieber ein paar Leute, die in die Kamera schauen, als ein lebloser, künstlicher Hintergrund.

Der US-Verleih Bleeker Street hatte vor dem Kinostart einen 70er-Retro-Trailer zu The Negotiator veröffentlicht. Hast du je darüber nachgedacht, die Geschichte in der Vergangenheit spielen zu lassen? Immerhin tauchen viele analoge Elemente auf, die genauso gut in einer anderen Dekade funktioniert hätten.

Das Sachen ist: In meinem Film werden die analogen Elemente eingesetzt, um gegen das Digitale zu kämpfen. Wenn die ganze Welt, in der sich die Geschichte abspielt, noch analog wäre, würde das nicht funktionieren. Der ganze Punkt ist, dass man als Mensch in der digitalen Welt komplett nachvollziehbar ist. Man hat eine Spur, ob man will oder nicht. Nur wenn man diese digitale Spur nicht hat, kann man wirklich untertauchen. Wir haben mit ein paar ehemaligen Geheimdienstlern gesprochen – und das Reduzieren des digitalen Fußabdrucks war ein zentraler Punkt dabei.

Ein Teil der Paranoia-Stimmung aus den 70ern steckt trotzdem in dem Film.

Ja, dieses Gefühl, dass man den Institutionen nicht mehr trauen kann, dass man in einem Spiegelkabinett lebt – das ist leider nach wie vor aktuell. Der Film ist zeitgenössisch. Er zitiert zwar das Damals, aber es geht um das Jetzt. Wie schwer es ist, heutzutage Whistleblower zu sein. Fast alle, die wir getroffen haben, waren tieftraurige Menschen. Viele haben bereut, was sie getan haben, weil es niemanden interessiert hat. Man geht ein unglaubliches Risiko ein, setzt alles aufs Spiel – und dann wird es am nächsten Tag schon wieder vergessen. Die Mächtigen sorgen dafür, dass es keiner mitbekommt. Du verlierst deine Freunde, musst untertauchen. Was für ein Scheißleben. Ich habe höchsten Respekt vor diesen Leuten. Der Film steht ganz klar auf ihrer Seite.

Wie sieht es mit filmischen Inspirationen aus? Der Dialog von Francis Ford Coppola oder The Insider von Michael Mann kamen mir sofort in den Sinn.

Das sind natürlich die Klassiker, aber auch New York-Filme wie Die drei Tage des Condor, Klute oder French Connection hatte ich im Kopf. Diese Filme, bei denen die Stadt eine echte Kraft ist, die man in jeder Einstellung spürt.

Bei den vielen Fragen zum Digitalen und Analogen, die The Negotiator in seiner Geschichte stellt – hast du je überlegt, den Film auf 35mm zu drehen?

Ja, habe ich. Aber es war schlicht nicht möglich – zu teuer, zu aufwändig, gerade in New York. Wir haben alles digital gedreht. Mein Kameramann Giles hat schon einige Filme auf 35mm gedreht – auch mit mir. Aber bei diesem Projekt und dem engen Zeitplan hätte es einfach nicht funktioniert. Das war eine schnelle Entscheidung.

Ein letztes Element, das ich bemerkenswert finde, ist die musikalische Gestaltung. Wie ist diese Mischung aus Filmmusik und populären Songs entstanden?

Die Hauptfigur ist ja offensichtlich ein Plattensammler – das sieht man immer wieder im Film. Ich selbst bin das auch ein bisschen. Viele der Songs landen als Needle Drops im Film, aber man merkt es gar nicht, weil sie mit der Score verschmelzen. Ich habe vor dem Dreh eine Liste mit etwa 300 Tracks zusammengestellt. Am Ende haben wir 14 verwendet und sind nie wieder von der Liste abgewichen. Bei Hallam Foe, der auf der Berlinale für die Beste Filmmusik ausgezeichnet wurde, habe ich das ähnlich gemacht.

Für The Negotiator habe ich außerdem wieder mit Tony Doogan gearbeitet – mein vierter Film mit ihm. Er produziert Bands wie Mogwai und Belle & Sebastian. Ich mag seine Herangehensweise. Er versteht, dass ich oft keine klassische Musik will, sondern eher Klangstrukturen, Texturen. Ein bisschen Retro-Synth ist auch dabei – das passt zum 70er-Vibe. Und die Needle Drops haben richtig Spaß gemacht.

The Negotiator läuft seit dem 25. September 2025 in den deutschen Kinos.

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