The Fog of War - Geschichte machen mit Robert McNamara

01.11.2014 - 08:50 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
"Rationality will not save us"
moviepilot/Sony/Columbia TriStar
"Rationality will not save us"
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Nationen und Regierungen haben nie etwas aus der Geschichte gelernt, oder? Mit Errol Morris' beeindruckender Dokumentation über das Leben von Robert McNamara, US-Verteidigungsminister unter Kennedy und Johnson, beschäftigt sich heute der Kommentar der Woche.

Im Kommentar der Woche setzen wir jeden Samstag einen eurer Kommentare auf die moviepilot-Bühne. Egal ob dieser Kommentar einen Dokumentarfilm feiert, Lebenslektionen unter einer News erteilt, einem Regisseur oder Schauspieler huldigt oder sich kritisch mit einer Serie auseinandersetzt. Wenn euch ein Kommentar in den unendlichen Weiten von moviepilot begeistert, sagt uns Bescheid und vielleicht findet ihr ihn nächste Woche bereits hier.

Kommentar der Woche

Vom 2. Weltkrieg über die Kuba-Krise, Vietnam und zur Weltbank, Robert McNamara hat das 20. Jahrhundert stark geprägt. doctorgonzo setzt sich in seinem Kommentar zu The Fog of War mit der mehr als sehenswerten Dokumentation von Errol Morris auseinander und mit McNamara selbst, der darin rückblickend introspektiver wirkt, als man ihn kennt, und doch noch immer im "Nebel" gefangen zu sein scheint...

You can’t substitute emotion for reason.

Robert Strange McNamara: Vorstandsvorsitzender von Ford, US-Verteidigungsminister und Präsident der Weltbank. Allein dieser Lebenslauf schreit danach, einen solchen Mann mal auf den heißen Stuhl zu holen und ihn die Kamera quatschen zu lassen. Heraus kam allerdings weit mehr als nur das Gefasel eines ehemaligen antikommunistischen Hardliners am Rande der Grube. Vielmehr stellte sich der Mann aus San Francisco als eloquenter und auch im hohen Alter von 87 Jahren (zur Filmentstehung) hochgradig wacher Zeitgenosse heraus, den man, wäre es nicht so moralisch abwertend, als Vollblutpolitiker bezeichnen könnte.

Regisseur Errol Morris setzt dem alten Herrn auch nicht allzu sehr zu, wenn es um Fragen eigener moralischer Rückblicke geht. Dennoch machen McNamaras Aussagen deutlich, dass er viel über sein eigenes Tun reflektiert hat, wie man es seinen Statements zur Bombardierung Japans 1945 oder dem nuklearen Wettrüsten anmerkt, besonders, wenn er über Meinungsverschiedenheiten mit dem SAC-Chef Curtis LeMay berichtet. Leider ist LeMay bereits 1990 verstorben und man kann dementsprechend kaum eine Version aus dessen Sicht erwarten.

McNamara hingegen, dessen Vorschlag, den Krieg in Vietnam, den er vorher entschieden vorangetrieben hatte, 1967 aus US-Sicht zu beenden bei Präsident Johnson höchste Ablehnung hervorrief, gibt sich während des Interviews stets integer, handelt aber oft auch nach seinem Grundsatz "beantworte nicht die Fragen der Journalisten, beantworte die Fragen, von denen Du wünschst, sie hätten sie gestellt."

Trotzdem zeigt er auch zutiefst menschliche Seiten, wie seine emotionale Reaktion auf die Erinnerung an das Kennedy-Attentat, das zum Zeitpunkt dieses Interviews bereits etwa 40 Jahre zurücklag. Die elf Lehren des Robert McNamara  zeugen von einer Vernunft, der man aufgrund ihrer nüchternen Aussagekraft angesichts des Themas Krieg fast Zynismus unterstellen könnte, wäre man nicht selbst vernünftig genug, deren objektive Richtigkeit nachzuvollziehen und sind ein weiteres Indiz für

a) sein hohes Maß an Sachverstand
b) seinen damals (also in seiner Amtszeit als Verteidigungsminister) berechtigten Ruf als "Falke"
c) mitunter die (fast schon klischeehaft typsich) amerikanische Schwäche, in alle vernünftigen Argumente eine göttliche Existenz als Randbemerkung einzuflechten.

Ein hochinteressanter Mann, der in seinem Leben viel erreicht und bewegt hat (nicht nur zum Positiven) und bei dem man, bei Lektüre seiner Biographie (guckt doch einfach mal bei Wikipedia  rein) durchaus etwas wie Altersweisheit und Selbsterkenntnis feststellen kann.

Um große moralische Schuld einzugestehen, ist er natürlich zu intelligent und so liegen Teile seiner Aussagen sicher durchaus im Selbstschutz begründet, aber es ist schwer, einen 87-jährigen, der deutlich mehr eingesteht, als es viele vergleichbare Zeitgenossen am Ende ihres Lebens tun würden (man vergleiche nur die Aussagen zahlreicher hochrangiger DDR-Politiker), einen Strick daraus zu drehen, er sei bemüht, sein Gewissen reinzuhalten, selbst wenn eine solche Unterstellung eine gewisse Berechtigung hätte.

Es kann nicht schaden, sich einen solchen Film anzusehen, zumal der heutige Geschichtsunterricht meist mit dem Zweiten Weltkrieg endet. Ebenso kann es nicht schaden, den Vorgängen, die das Leben im 20.Jahrhundert (und somit das unsere) entscheidend geprägt haben, mit Allgemeininteresse zu begegnen.

Einen zusätzlichen Reiz erhält Errol Morris' Werk durch die gekonnt stimmungsvolle Musik von Philip Glass, was für eine Doku durchaus erwähnenswert ist. Im Falle dieses Films wäre es zudem angebracht, nicht ganz unvorbereitet (was den Kalten Krieg anbelangt) in dieses Interview einzusteigen, denn sonst drohen aufgrund der Komplexität bei Personen und Geschehnissen schnell Verständnisprobleme und dann auch Langeweile und das hätte ein solches Werk nicht verdient. Also nix für die DVD-Stunde im Geschichtsunterricht kurz vor Ende der 10./12./13. Klasse.

Ich entlasse Euch mit dem vielleicht entscheidenden Zitat des Films, zu dem McNamara sich dann doch hinreißen ließ, um Sinn und Berechtigung des Irakkrieges unter George W. Bush zu kommentieren:

If we can’t persuade nations with comparable values of the merit of our cause, we better examine our reasoning.

Den Original-Kommentar findet ihr übrigens hier.

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