Wie bereits in den Kommentaren eines anders Textes versprochen, liefere ich hier den Erfahrungsbericht von meinem ersten Besuch des Berliner Pornfilmfestivals. Bevor ich anlässlich dieses Ereignisses das Movimiento Kino in Kreuzberg betrat, hatte ich keine besonders hohe Meinung von expliziten erotischen Darstellungen. Mein Erfahrungshorizont beschränkte sich allerdings auf ein paar unfreiwillige Aufeinandertreffen mit Gina Wild (neuerdings bekannt als Michaela Schaffrath), deren Filme in meiner Jugend im männlichen Teil meines Freundeskreises kursierten. Dass Porno viel mehr sein kann als nur gnadenlos ausgeleuchtete Genitalien, künstlich aufgeblasene Brüste und überdimensionierte Penisse, war mir gänzlich unbekannt. Und so rechnete ich beim Pornfilmfestival vor allem auch mit unangenehmen Gestalten im Publikum und einer anrüchigen Atmosphäre, die mich unter Umständen noch vor Festivalende das Weite suchen lassen würden. Aber es kam alles anders.
Statt lüsterner Männer 50 plus, denen während des Films der Sabber aus dem Mundwinkel läuft, traf ich auf Menschen in meinem Alter, zu etwa gleichen Teilen männlich und weiblich (mit einem kleinen Anteil nicht klar einzuordnender Zuschauer), eher alternativ und intellektuell ausschauend und vor allem eins: freundlich. Im Gegensatz zum allgemeinen Berlinale-Besucher, der sich auf Grund seiner Filmauswahl für ein höheres Wesen hält, hatte das Publikum des Pornfilmfestivals erstaunlich viel Bodenhaftung. Entgegen aller Befürchtungen fühlte ich mich daher weder fremd noch angestarrt. Lediglich die Unisex-Toilette irritierte mich zunächst. Dann aber dachte ich mir: Wenn ich mir mit all diesen Leuten Hardcore-Pornos in Leinwandgröße ansehe, können wir doch auch zusammen pinkeln gehen!
Mein Festival-Highlight: Erika Lust und das Cabaret Desire
Nachdem schon meine Vorurteile dem Festivalpublikum gegenüber umgehend wiederlegt worden waren, stellte gleich mein erster Film eine Horizonterweiterung da. Cabaret Desire von Porno-Regisseurin Erika Lust beginnt mit der Pole-Dance Darbietung eines leicht bekleideten Mannes. Auch im weiteren Verlauf des Films sind es eher die Männer, die zum Objekt sexueller Begierde werden, während sich die Handlung stets um die sexuelle Erfüllung der weiblichen Protagonisten dreht. Die Rahmenhandlung dieses episodischen Konzepts spielt in einem Etablissement, das an das real existierende Poetry Brothel angelehnt ist, ein Nachtclub, in dem Dichter und Dichterinnen dem zahlenden Publikum erotische Geschichten vorlesen. Es sind natürlich diese erotischen Geschichten, die Erika Lust in filmische Sequenzen übersetzt. Dabei geht es ihr aber nicht nur um Handlung und Inszenierung, welche im Vergleich zum Mainstream-Porno deutlich elaborierter daher kommen, sondern selbstverständlich auch um die explizite Darstellung sexueller Aktivitäten. Statt eines voyeuristischen Blicks auf weibliche Sexobjekte und deren primäre Geschlechtsorgane, fängt die Kamera jedoch vor allem Blicke ein. Statt wildem Gerammel zeichnet Erika Lust ein Bild von Intimität und Leidenschaft, in dem sogar postkoitales Schmusen seinen Platz findet.
Cabaret Desire widerlegt meine Vorurteile gegenüber pornographischen Filmen zu großen Teilen. Bei der sexuellen Choreographie muss ich dennoch an die mir bekannten Gina Wild Filme denken, auch wenn diese schon aus rein ästhetischer Sicht mit Cabaret Desire kaum vergleichbar sind. Wie Erika Lust dem Publikum nach dem Filme erklärte, sei es gar nicht so einfach „realistischen Sex“ mit der Kamera einzufangen, erst recht nicht, wenn professionelle Darsteller beteiligt seien. Jeder von uns – und an dieser Stelle schaute sie sehr auffordernd ins Publikum – habe eine genaue Vorstellung davon, wie Sex im Porno auszusehen habe. Sich von diesen Vorstellungen zu lösen und zu einer natürlichen Inszenierung zu kommen, sei eine schwierige Aufgabe, der sie sich jedoch immer wieder aufs Neue stellen würde. Dabei wirkt Erika Lust übrigens nicht wie eine Puffmutter oder pensionierte Straßennutte, sondern eher wie das Mädchen von nebenan. Quirlig, fröhlich und sympathisch gab sie bereitwillig auf alle Fragen eine Antwort. Mich hat sie sowohl mit ihrem Film als auch mit ihrer Persönlichkeit schwer beeindruckt. Wer sich einen Eindruck von ihrem Stil verschaffen will, findet hier übrigens eine jugendfreie Version ihres Kurzfilms Handcuffs.