Was, wenn eine ganze Schulklasse über Nacht verschwindet? Oder: Fast eine ganze Schulklasse. In Weapons - Die Stunde des Verschwindens, dem neuen Film von Barbarian-Regisseur Zach Cregger, wird dieser Albtraum in einer beschaulichen Vorstadt Realität. Überwachungskameras zeigen, wie die Kinder mit gespreizten Armen in die Dunkelheit laufen. Von da an fehlt von ihnen jede Spur. Nur ihre Lehrerin und einer der Schüler sind zurückgeblieben. Eine Erklärung für den Verlust haben sie nicht.
Cregger entwickelt aus dieser Grundidee einen hypnotischen Horror-Thriller, der durch seinen Genre-Mix herausfordert, belustigt und bis ins Mark gruselt. Nebenbei wird in Weapons mit dem Wahn einer Gesellschaft abgerechnet, für die Schreckensnachrichten aus Schulen zum festen Bestandteil des Alltags geworden sind.
In dem Horror-Thriller Weapons wird eine Vorstadt vom Grauen zersetzt
Statt Paketboten fangen die Kameras den letzten Blick auf 17 Kinder ein, die alle um 2:17 Uhr in der Nacht verschwinden. Beinahe könnte man bei ihrer Pose an Engel denken, die zum Flug ansetzen, nur wirken die vom Körper abstehenden Arme zu starr. Aus dem chaotischen Gerangel von Kindern, die im Vorgarten spielen, ist eine uniforme Choreografie des Grauens geworden.
Zurück bleiben 17 zerrissene Familien und noch mehr Fragen. Julia Garner, zuletzt als traurige Silver Surferin in The Fantastic Four: First Steps im Kino, spielt Justine, die junge Lehrerin in der Klasse der verlorenen Kinder. Sie hat keine Erklärung für das Geschehen, wird vom Schulleiter (Benedict Wong) abgeschirmt und ergänzt ihre regelmäßigen Besuche im Spirituosengeschäft bald durch eigene Untersuchungen über das Verschwinden.
Währenddessen wird Vorstadt-Dad Archer (Josh Brolin) vom Verlust seines Kindes zu Verzweiflung und Weißglut getrieben. Verzweiflung ob der fehlenden Erklärung. Weißglut, weil diese seltsame junge Lehrerin doch irgendwas verbergen muss. Und dann ist da noch Alex (Cary Christopher), das einzige Kind aus Justines Klasse, das zurückgeblieben ist, aber dem Städtchen mit Schweigen begegnet.
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Ensembledrama trifft Horror und das Ergebnis begeistert
Mit diesen und anderen Figuren (unter anderem Alden Ehrenreich als Cop) wird in Weapons das Porträt einer Gemeinschaft am Rande des Nervenzusammenbruchs gezeichnet. Doch obwohl so viele Menschen in dem Städtchen dasselbe Schicksal teilen und nach einer Antwort suchen könnten, ist es das Porträt des Zerfalls, des Misstrauens und der Isolation. Die Erzählweise von Weapons multipliziert diesen Eindruck.
Wie schon in seinem Überraschungshit Barbarian arbeitet Autor und Regisseur Cregger mit verschiedenen Perspektiven, die in einem Horror-Crescendo aufeinander prallen. Die Geschichten von Archer, Alex, Justine und Co. werden nacheinander aufgerollt, sodass dieselben Ereignisse wiederholt aus neuen Blickwinkeln gezeigt werden. Dieselben Wendungen erhalten plötzlich eine neue Bedeutungsebene. Magnolia trifft ES, aber mit einer gehörigen Prise schwarzem Humor.
Zunächst gerät der Grusel durch den Episodenfilm-Unterbau ein wenig ins Stocken. Denn just als Justines Geschichte ihren vermeintlichen Höhepunkt erreicht hat, blendet der Film ab und springt zur nächsten Figur. Bedenken darüber lösen sich in Luft auf, weil jede Episode den Schrecken vorantreibt, ohne ihn überzustrapazieren.
Mit Weapons – Die Stunde des Verschwindens bestätigt sich Zach Cregger als eines der aufregendsten Horror-Talente unserer Zeit. Sein Drehbuch vereint Ensembledrama, Thriller und Horrorkomödie und bereitet mit beeindruckender Geduld ein Finale vor, das einen gebannt zurücklässt.
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Weapons lässt dem Publikum reichlich Interpretationsspielraum
Im selben Zug werden Anschlusspunkte an aktuelle US-amerikanische Diskurse im Städtchen verstreut, darunter Massenschießereien in Schulen und die Drogenepidemie – wie Brotkrumen in einem schauerlichen Märchenwald. Weapons bettet uns in eine Gemeinschaft ein, die dem Schrecken in ihrem Zentrum mit Schweigen, Frontenbildung und schlussendlich einer Art schlafwandelnder Akzeptanz begegnet.
In gewisser Weise gilt das auch fürs Publikum. Das wird eingelullt in dem zunächst ruhigen Charakterdrama, bis man sich plötzlich in der Nacht in einem Kleinwagen vorfindet, hinaus ins Dunkel blickt. In der Ferne öffnet sich eine unscheinbare Haustür. Eine noch unscheinbarere Person tritt heraus und ––. Jede weitere Beschreibung würde einen der perfidesten Horror-Momente des Kinojahres vermiesen. Diese Ohnmacht und Verzweiflung muss man schon selbst durchstehen.
Weapons – Die Stunde des Verschwindens startet am 7. August in den deutschen Kinos.