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Schockierende Realitäten

01.05.2016 - 05:34 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
"Dämonen und Wunder - Dheepan"
UGC Distribution
"Dämonen und Wunder - Dheepan"
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Für sehr viele Filmfreunde ist das Kino ein Ort der Unterhaltung. Filme müssen Spaß machen, spannend sein oder künstlerisch faszinieren. Doch es gibt noch das politische Kino, das Entwicklungen der Gegenwart kritisch aufgreift und als Spielfilm oder in dokumentarischer Form einem interessierten Publikum näher bringt. Diese Filme sind dann nicht zwingend unterhaltsam, aber auch so etwas hat durchaus seine Notwendigkeit. Denn unsere neue Welt ist im Angesicht von Kriegen, Klimawandel, Hunger und Flucht alles andere als schön...

Oftmals wird bemängelt, die großen Filmfestivals vergeben zu häufig ihre Preise an sogenannte politische Filme. Diese "Problemfilme" seien aus rein filmischer Sicht weniger spannend, unterhaltsam oder künstlerisch wertvoll als andere Beiträge und würden nur aufgrund ihrer politischen Aussage ausgezeichnet. Nun, niemand kann in die Köpfe der Jurymitglieder schauen und nicht jede Goldene Palme oder jeder Goldene Bär ist auch tatsächlich hochverdient. Doch einen Film schon fast zu verurteilen, weil es ihm nicht in erster Linie um die Unterhaltung eines größtmöglichen Publikums geht, erscheint mir etwas zynisch. Politische Filme hat es immer gegeben und in Zeiten, die geprägt sind von Krieg, Not und Elend, sind sie wichtig und zwingend notwendig.

Ob nun Filme wie Seefeuer oder Taxi Teheran, die Sieger der letzten zwei Berlinale-Jahrgänge, oder der Cannes-Sieger Dämonen und Wunder - Dheepan wirklich die wichtigsten Vertreter des politischen Filmes sind, kann angezweifelt werden. Doch sie zeigen uns eines: Die Welt, in der wir leben, hat ihre furchtbaren und schrecklichen Seiten. Eine simple Aussage, die jedem klar sein dürfte. Doch tatsächlich möchte eine nicht unerheblich Zahl an Kinogängern dies nicht "ständig" in Filmen zu Gesicht bekommen. Solche Filme sind unbequem, weil sie den Finger in Wunden legen. Unsere Welt ist ungerecht und schockierend brutal. Die Industrienationen haben an der Situation einen nicht zu vernachlässigenden Anteil, da sie nicht auf gewisse Vorteile verzichten wollen. Daran sind nicht in erster Linie die Politiker schuld, vielmehr sind die Wirtschaft - und wenn wir mal ganz ehrlich sind auch wir als Konsumenten - die Hauptverantwortlichen. Komplexe Zusammenhänge, die der Einzelne kaum noch durchschauen kann, machen ein umfassendes Verständnis für die Prozesse unserer Welt mit all den verschiedenen Facetten kaum noch möglich. Ein simples Schwarz-Weiß-Denken muss schon längst der Vergangenheit zugerechnet werden.

Filme können da auch nur wenig helfen, um das "Große Ganze" begreifbar zu machen. Sie müssen sich zumeist darauf beschränken, lediglich Begleiterscheinungen oder Detailprobleme diskutieren zu können. Jedem von uns ist beispielsweise die Flüchtlingsproblematik bewußt, doch erst ein realistischer Einblick in die Gefühlswelt der Flüchtenden kann den Menschen von der Richtigkeit und der Notwendigkeit politischer Maßnahmen überzeugen und uns die Probleme vor Augen führen, die mit den daraus resultierenden Entscheidungen zusammenhängen, denn jede Entwicklung hat seine Konsequenzen und die wenigsten lösen sich in einem Hollywood-Happy-Ending auf.

Klimawandel? Überwachungsproblematik? Armut? Menschenrechte? Es gibt noch Tausende solcher Beispiele, die meisten bekommen nur leider nicht die Aufmerksamkeit, die sie tatsächlich verdienen. Viele Probleme sind der breiten Öffentlichkeit auch kaum bewußt. Wer weiß schon um die Nöte der Jademinenarbeiter in Myanmar, wie sie uns der Dokumentarfilm City of Jade näher bringt? Oder wie ist es um die Situation afrikanischer oder arabischer Flüchtlinge in Israel bestellt? Between Fences liefert erschreckende Antworten. Die Veränderungen innerhalb der chinesischen Gesellschaft bringen uns beispielsweise die Filme von Jia Zhangke näher. Um die Geschichte und das Leid des griechischen Volkes besser verstehen zu können, sollte man sich mit den Filmen eines Theodoros Angelopoulos befassen. Die Lebenssituation schwul-lesbischer Paare oder Transgender mag in Teilen der Welt inzwischen erheblich verbessert erscheinen, aber das ist selbst in Deutschland nicht überall tatsächlich zufriedenstellende Realität. Wie sieht es jedoch beispielsweise in Südamerika, Russland oder auf den Philippinen aus? Der Fokus von LGBT-Filmen hat sich in einigen Ländern inzwischen stark verschoben, doch obsolet sind sie noch längst nicht geworden. Kann uns ein Dokumentarfilm wie Dear Pyongyang die Weltanschauung kommunistischer Exilkoreaner in Japan verständlich machen? Natürlich; doch vielmehr zeigt dieser äußerst persönliche Film von Yang Yong-hi, wie die eigene Familie darunter zu leiden hat. Auch ihr späterer Spielfilm Our Homeland offenbart uns die Problematik übertrieben ausgelebter Ideologie sehr anschaulich. Diese Auflistung könnte noch ewig weitergeführt werden. Das Spektrum politischer Filme ist schier unerschöpflich...

All das ist natürlich eher selten leichte Kost, dem Zuschauer wird einiges abverlangt und natürlich ist auch nicht jeder Film wirklich großartig, aber es lohnt sich bisweilen und der Zuschauer lernt hinzu. Es geht letzten endes nicht um die Bestätigung von Weltanschauungen, sondern um das Öffentlichmachen von Problemen. Unsere Welt kann so schön sein. Doch wer die Augen vor Problemen verschließt, trägt eher zu einer Verschlimmerung bei. Natürlich hilft ein Film einem notleidendem Menschen überhaupt nicht und das Schauen solcher Beiträge macht uns nicht zu "besseren Menschen". Aber diese Filme können das Verständnis für viele Situationen und Umstände besser begreifbar machen. Sie helfen uns dabei, uns nicht aufgrund unserer scheinbar erträglichen gegenwärtigen Situation befriedigt zurückzulehnen und weit weg erscheinende Probleme zu ignorieren. Unsere Welt ist alles andere als perfekt. Schaut hin!

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Alle weiteren Texte zum Thema "Schöne neue Welt" findet ihr hier:

chita91: Rick and Morty und der Preis für unsere Wünsche

HannaLotta: Von Dystopien, Menschlichkeit und Zeit

Amarawish: Die Perfektion einer wortvollen Nacht


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