Rape and Revenge - Zwischen Frauenverachtung & feministischer Stärke

16.10.2018 - 10:35 UhrVor 5 Jahren aktualisiert
(Rape and) Revenge
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Als Abwandlung des Exploitationfilms polarisiert der Rape-and-Revenge-Film bis heute. Wir fragen uns anhand einzelner Beispiele, ob der Rape-and-Revenge-Film frauenverachtend ist oder feministische Stärke offenbart.

Der Rape-and-Revenge-Film ist ein Subgenre des Exploitationfilms, das vor allem in den 1970er-Jahren zu populärer Verbreitung fand. Als Ursprung gilt das Drama Die Jungfrauenquelle von Ingmar Bergman aus dem Jahr 1960. Hier zeichnete sich erstmals die typische 3-Akt-Struktur ab, der die Handlungen von Rape-and-Revenge-Filmen zumeist folgen. Dabei behandelt der 1. Akt die Vergewaltigung einer Frau, die mitunter auch gefoltert und von ihren Peinigern anschließend in dem Glauben zurückgelassen wird, tot zu sein. Im 2. Akt stellt sich schließlich heraus, dass die Frau überlebt hat und wieder zu sich kommt, um über ihr weiteres Vorgehen nachzudenken. Der 3. Akt schildert schlussendlich die Rache der Frau, die ihre Peiniger für gewöhnlich sehr explizit tötet. Eine Variation dieser 3-Akt-Struktur findet im Rape-and-Revenge-Film statt, sobald das Opfer die Tat im 1. Akt nicht überlebt und stattdessen die Familie oder andere Angehörige den Akt der Rache begehen.

Als Subgenre hat sich der Rape-and-Revenge-Film seit seinem Aufkommen über die Jahrzehnte hinweg zu einer komplexen, sehr kontrovers diskutierten Gattung von Filmen entwickelt. Im Kern kommt diesbezüglich immer wieder die Frage auf, ob Rape-and-Revenge-Filme frauenverachtender Schund sind oder das weibliche Geschlecht stattdessen sogar in deutlicher Selbstermächtigung zelebrieren und dadurch vielmehr als feministisch aufgefasst werden sollten. Anhand verschiedener Filmbeispiele soll dieses komplexe Dilemma im Rahmen unserer Horror-Monats Angst, Schrecken und Panik nachfolgend einer näheren Betrachtung unterzogen werden.

Irreversibel

I Spit on Your Grave als problematischer Höhepunkt des Rape-and-Revenge-Films

Neben bekannten Filmen wie Wer Gewalt sät, Beim Sterben ist jeder der Erste oder Das letzte Haus links, die sich der Rape-and-Revenge-Struktur teilweise oder vollständig bedienen, lässt sich I Spit on Your Grave von Regisseur Meir Zarchi aus dem Jahr 1978, der hierzulande zunächst unter dem deutschen Titel Ich spuck' auf dein Grab erschien, als ebenso schwer erträglicher wie interessanter Höhepunkt des Subgenres aufführen. In der Geschichte des Films zieht sich die aufstrebende Autorin Jennifer im Sommer in ein ruhiges Haus auf dem Land zurück, wo sie in Ruhe ihr erstes Buch schreiben will. Erschüttert wird ihr Vorhaben allerdings von vier Männern, die sie nach anfänglichem Bedrängen grauenvoll vergewaltigen. Für den Zuschauer ist Jennifers Martyrium kaum zu ertragen, da der Regisseur die Vergewaltigung gleich doppelter in Form über die quälende Dauer von fast einer halben Stunde in die Länge zieht. Die junge Frau bleibt körperlich und seelisch komplett zerstört zurück.

In der zweiten Hälfte des Films wandelt sich I Spit on Your Grave schließlich zum gnadenlosen Inferno der Vergeltung, wenn die Hauptfigur gegen ihre Peiniger zum Rückschlag ansetzt. Dabei lassen sich die expliziten Grausamkeiten, die sie den Männern schließlich zufügt und die von minutenlanger Erdrosselung bis hin zur Kastration in der Badewanne reichen, wiederum nur auf fragwürdige Weise einer emanzipatorischen Ermächtigung zuordnen. Letztendlich ködert Jennifer, die sich während ihres Racheakts überwiegend verführerisch präsentiert, die Männer mit genau den Reizen, an denen sich die Vergewaltiger zuvor in abartigster Manier vergriffen haben.

Ich spuck' auf dein Grab

I Spit on Your Grave als profeministischer Film

Im Interview mit Vice  spricht Autor David Maguire, der I Spit on Your Grave in gleichnamiger Buchform einer umfassenden analytischen Betrachtung unterzogen hat, darüber, wieso er Meir Zarchis Werk für einen profeministischen Film hält. Seiner Ansicht nach unterscheidet sich der Streifen entscheidend von anderen Werken des Subgenres, indem er das schreckliche Leid, das der Protagonistin widerfährt, in vollem Umfang auch wirklich zeigt und somit eindeutige Empathie ihr gegenüber erzeugt. Da Zarchi zudem immer wieder Nahaufnahmen der Täter anstelle des Opfers zeigt und auf den Einsatz eines Scores verzichtet, erhält der Film einen dokumentarischen Realismus, der den Betrachter in die alleinige Perspektive von Jennifer rückt und den typisch männlichen Blickwinkel umgeht, der dem Rape-and-Revenge-Film oftmals auch zu Recht vorgeworfen wird. Durch ihren Racheakt würde die Protagonistin die Männer zudem als frauenhassende, erbärmliche Feiglinge entlarven, was sich zusammen mit Jennifers Triumph am Ende als profeministische Agenda des Regisseurs betrachten ließe.

Irreversibel und Elle als Dekonstruktion des Rape-and-Revenge-Films

Zwei Filme, die den gängigen Mechanismen des Rape-and-Revenge-Films entgegenwirken und diese somit dekonstruieren, sind Irreversibel von Gaspar Noé und Elle von Paul Verhoeven. Für Irreversibel kehrt Noé die Erzählstruktur des Films um und erzählt die Rape-and-Revenge-Geschichte vom Ende beginnend bis zu ihrem Anfang zurück. Durch diesen Kniff entzieht der Regisseur seinem Werk jegliche Form von Katharsis, da Irreversibel mit einem grausamen Racheakt beginnt, bei dem der vermeintliche Vergewaltiger zu Tode kommt, während sich erst später herausstellt, dass hierbei die falsche Person umgebracht wurde und der wahre Täter lächelnd am Rand zusieht. Anstelle von Gerechtigkeit herrscht am Ende von Irreversibel lediglich die Gewissheit, dass eine unschuldige Frau auf unvorstellbare Weise vergewaltigt wurde, ein unschuldiger Mann zu Tode gekommen ist, derjenige brutal verletzt wurde, der eigentlich auf Rache aus war, und derjenige zum Mörder wurde, der eigentlich von Natur aus friedlich handelte und Konflikte vermeiden wollte.

Elle

Als ähnliche Dekonstruktion des Rape-and-Revenge-Films erweist sich auch das perverse Vergnügen Elle von Paul Verhoeven. Darin spielt Isabelle Huppert eine Frau, die als Opfer einer Vergewaltigung moralische Erwartungshaltungen vollkommen unterläuft. Anstatt gegen den Täter zurückschlagen zu wollen und sich in eine klare Opferrolle zu begeben, begegnet Elle dem Vorfall mit offensiver, irritierender Lust. Indem sie die Vergewaltigung mit dem enttarnten Täter wieder und wieder durchleben will, bricht die Protagonistin in Verhoevens Film aus der gängigen Definition eines hilflosen Opfers aus. Sie ironisiert den brutalen Akt mit geradezu bizarrem Verlangen und nimmt dem Täter somit jegliche Macht aus den Händen.

Revenge

Ein Schlussplädoyer für den Rape-and-Revenge-Film

Schlussendlich lässt sich das Subgenre des Rape-and-Revenge-Films nicht grundsätzlich als frauenverachtend oder feministisch einordnen. Vielmehr liegt es an den jeweiligen Regisseuren, inwiefern sie die gängigen Strukturen dieser Art von Film bedienen oder versuchen, sich diese anzueignen und dem Subgenre einen neuen Dreh zu verleihen. Bei einem Film wie I Spit on Your Grave, der ein Remake mitsamt mehrerer Sequels nach sich zog, die primitivsten Rape-and-Revenge-Impulsen unterliegen, gestaltet sich eine solche Positionierung bis heute als schwierig. Filme wie Irreversibel, Elle oder der kürzlich erschienene Revenge von Coralie Fargeat zeigen hingegen, dass kreative Blickwinkel oder experimentelle Handlungsstrukturen durchaus dafür sorgen können, dass dem Rape-and-Revenge-Film eine feministische Kraft innewohnen kann.

Was haltet ihr vom Subgenre des Rape-and-Revenge-Films?

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