Popkulturelle Krisenbewältigung auf japanisch

22.03.2011 - 08:50 Uhr
Godzilla als manifestierter Umgang mit der Gefahr
Toho Studios
Godzilla als manifestierter Umgang mit der Gefahr
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Die Japaner leben seit jeher im Antlitz von Naturkatstrophen und erlebten einst atomare Schicksalsereignisse. Wer einen genaueren Blick auf die japanische Popkultur wirft, kann erahnen, woher die Bewohner ihre Stärke in Zeiten der Zerstörung nehmen.

Japan steht aufgrund des verheerenden Erdbebens mit Folge des Tsunamis und des zerstörten Atomkraftwerks in Fukushima im Zentrum des Weltinteresses. Dabei staunen wir Europäer über die Ruhe und innere Stärke, mit denen der Großteil des japanischen Volks die apokalyptischen Zustände durchlebt. In diesen Zeiten wird das Land des Lächelns auf eine harte Probe gestellt, schlägt sich allerdings äußerst tapfer. Natürlich nicht gänzlich, allerdings auch aufgrund des Jahrzehnte langen, popkulturellen Umgangs mit der immerwährenden Gefahr von Naturkatastrophen sowie den Ereignissen in Hiroshima und Nagasaki, lässt sich der Blickwinkel der japanischen Bevölkerung erahnen.

Godzilla als Manifest gegen Atomwaffen
Die Bewältigungstherapie schlechthin tritt in Form einer verseuchten Riesenechse namens Godzilla auf. Nur 9 Jahre nachdem die auf Hiroshima und Nagasaki geworfenen Atombomben Leid und Elend verbreiteten, wurde der erste von mittlerweile circa. 80 Filmen über das übermächtige Monster produziert. Durch Atombomben geweckt, zerstörte das inoffizielle Maskottchen Japans Tokio. Die Szene aus Godzilla – Die Rückkehr des Monsters aus dem Jahr 1984 verursacht in den heutigen Tagen Unwohlsein, wenn das Ungetüm aus dem Meer erscheint und einen Atomreaktor zertrampelt. Die Atomenergie schadet Godzilla und verleiht ihm gleichzeitig unglaubliche Kräfte. Besonders interessant dabei ist der Umgang der Menschen im Film mit dem Riesen. Dies gilt nicht für alle der etlichen Filme, doch oftmals streben die Menschen eine friedliche Koexistenz an – so wie es sich die Japaner mit dem Verhältnis zur übermächtigen Natur wünschten, die keinerlei Probleme damit hat, das Land gnadenlos zu verwüsten. In dieser Hinsicht könnten viele den Filme gar als soziopolitische Metapher betrachten. Anstatt in Selbstmitleid zu schwelgen und der Melancholie, gar Depression zu verfallen, lachten und kreischten die Japaner im Kino, wenn mehr oder weniger authenthische Monsterfiguren Modelstädte zertrampelten.

Der Nachfolger des Godzilla-Schöpfers Tsuburaya, Teruyoshi Nakano, äußerte sich einst gegenüber der Zeit: “Japan ist das einzige Land, in dem Atombomben abgeworfen wurden. Godzilla war ein Kino-Manifest gegen den Einsatz von Nuklearwaffen, das Japan damals an die gesamte Welt richtete. Das Monster ist ein Kind der Atombombe.”

Popkulturelle Verwertung
Vor allem das Thema der Atomenergie wird von den Japanern trivialisiert, wie im Spiegel nachzulesen ist. So auch im äußerst popluären Manga Astro Boy (im japanischen weitaus treffender “Eisenarm Atom”) von 1952 bis 1968, in dem ein junger Roboter dank Atomenergie über gewaltige Kräfte herrscht und für das Gute kämpft. Hierzulande ist der Manga Akira bzw. das Anime vielen ein Begriff. Innerhalb der epischen Erzählung wird Tokio drei Mal von Atombombenexplosionen zerstört. Anstatt sich mit Angst und Furcht zu behaften, avancierte die Geschichte trotz – oder eben gerade auch wegen – dieser Komponente der Erzählung zum Kult. Ganz konkret von der Atombombe auf Hiroshima handelt der als Anime verfilmte Manga Barfuß durch Hiroshima. Anstatt die Erfahrungen aus der Vergangenheit mit Verdrängung zu behandeln, wird das Thema popkulturell verwertet, immer mit dem Unterhaltungsfaktor im Vordergrund, und dennoch mit Respekt behandelt.

Gänsehaut aufgrund der gegenwärtigen Ereignisse verursacht das Szenario in der Anime-Serie Space Battleship Yamato, im Original von 1974. Hier versuchen die mutigen Helden mithilfe eines umfunktionierten Schlachtschiffs in einer entfernten Galaxie ein Gegenmittel gegen die Atomverseuchung zu finden, die sich auf dem gesamten Erdball ausgebreitet hat. Das Anime Ponyo – Das große Abenteuer am Meer von 2008 hingegen richtet sich vor allem ans jüngere Publikum und thematisiert den Umgang mit der ständigen Gefahr durch die Natur. Als die titelgebende Meerjungfrau sich in einen Menschen verwandelt, um dort bei einem Jungen sein zu können, in den sie sich verliebt hat, nimmt das Drama seinen Lauf. Die Erde gerät durch das Verlassen der Welt, zu der Ponyo gehört, aus dem Gleichgewicht, Naturkatastrophen nehmen ihren Lauf.

Weitermachen nach der Katastrophe
Dies sind bei Weitem nicht alle Filme, die sich auf ihre ganz eigene Weise mit immerwährend möglichen, tödlichen Gefahren auseinandersetzen. Das kommerzielle B-Movie Sinking of Japan von 2006 macht seinem Titel alle Ehre und insziniert ein Untergangsszenario für das gesamte Land. Und auch hier hat der Zuschauer das Gefühl als würde der Lust am Untergang der eigenen Zivilisation Vorrang gewährt vor bierernstem Kino. Das Voranschreiten nach Schickalsschlägen scheint eine besondere Tugend der Asiaten zu sein. Die japanischen Filme The Mourning Forest und der kürzlich auf der Berlinale äußerst positiv aufgenommene Film Heaven’s Story befassen sich mit dieser Aufgabe, mit dem Weitermachen, auch wenn es im ersten Moment keinen Sinn mehr zu machen scheint.

Kultur bedeutet auch kreative Verarbeitung von Vergangenem. Mit dieser Form von Kultur wird gleichzeitig die Gegenwart und Zukunft geprägt. Die Japaner nutzen ihre Kultur neben der effektiven Verarbeitung vergangener Ereignisse zur Vorbereitung auf schwierige, gnadenlose Zeiten. Diese Zeit ist mal wieder gekommen.

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