Nosferatu - Ein cineastischer Prototyp

18.01.2014 - 08:50 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Nosferatu - Ein cineastischer Prototyp
moviepilot/Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung/Transit Film
Nosferatu - Ein cineastischer Prototyp
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Auch nach über 90 Jahren hat Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens nichts von seiner Kraft eingebüßt. Im Gegenteil: In unserem Kommentar der Woche wird klar, wie toll alte Filme sein können und wie blass heutige Vampire im Vergleich dazu ausfallen.

Jede Woche errichten wir aufs Neue ein Denkmal für einen eurer zahlreichen Kommentare – die Voraussetzungen dafür kann theoretisch jeder Kommentar in der moviepilot-Welt erfüllen: sei es eine in Worte gegossene Liebe für die Ewigkeit unter einem Film oder einer News; die Beschwörung eines großen Schauspielers, der auch als Fledermaus, Wolf oder Nebel eine gute Figur machen würde; oder zu einer Serie, die euch so in den Bann geschlagen hat, daß ihr euch auch bei Sonnenaufgang noch nicht von ihr losreißen konntet. Wenn ihr zufällig über einen verführerischen oder interessanten Kommentar gestolpert seid, singt für uns, ihr Kinder der Nacht, am besten, indem ihr uns eine Nachricht schreibt.

Der Kommentar der Woche
Das von F.W. Murnau erschaffene, wunderbare Grauen von Nosferatu, eine Symphonie des Grauens verlangt die vollkommene Aufmerksamkeit des Zuschauers und erklärt zudem, warum ElMagico sich so gerne alte Filme ansieht:

Nachdem ich mir “Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens” am Donnerstagabend mal wieder angeguckt hatte, las ich anschließend ein paar Kommentare hier und auf anderen Filmseiten. Auffällig war dabei, dass relativ viele Menschen mit diesem Film so rein gar nichts anfangen können und ein Argument wurde immer wieder in den Raum geworfen: Dass Nosferatu einer dieser Filme ist, die man gut finden muss, den man sich aber heutzutage kaum noch ansehen kann. Ergo, viele mögen ihn, da sie sich aufgrund ihres Filmgeschmacks nach außen hin definieren wollen. Sowas könnte man einfach abtun, tue ich ja sonst auch. Mich beschäftigte dies aber eine Weile, gerade da ich mich persönlich immer mehr auf recht alte Filme konzentriere, mich auf einen betagten Streifen, den hier bei MP jemand ausgräbt, mehr freue, als auf das nächste große Kinoereignis. Vorankündigungen berühren mich kaum noch, ich fiebere keinem Batman mehr entgegen, keinem Iron Man und selbst neue Filme liebgewonnener Regisseure können keinen großen Enthusiasmus hervorrufen. Es fühlt sich alles wie ein großer Kreis an, bei dem man immer wieder an den altbekannten Stellen vorbeikommt.

Aber warum mag ich solche alte Filme mittlerweile mehr? (Ausnahmen bestätigen da sicherlich die Regel) Ist es wirklich so? Oder will ich mich tatsächlich mit solchen Klassikern profilieren? So wirklich konnte ich keinen Punkt ausmachen, an dem sich meine Sicht auf Filme an einem offensichtlichen Wendepunkt befand. Es kam schleichend, ohne einen faktischen Auslöser. Mehr und mehr merkte ich, wie mich all der Gossip um Neuerscheinungen nervte und ich mich wirklich auf diese kleinen, eigenartigen und speziellen Filme freute. Also muss es wohl an den Filmen liegen. Filme, die ich sonst selbst eher abgetan hätte… so wie ich mich mit 17 oder 18 nicht an Böll oder Kafka ran traute, weil ich dachte dass mir diese Kunst zu hoch ist. Aber das ist sie nicht. Sie fordert eben nur mehr ein von seinem Leser/Seher. Diese Werke (und ja, sicherlich gab es auch damals schon viele banale Streifen), fühlen sich für mich einfach wie Monumente an. Sie dulden nichts neben sich. Man merkt, dass sie aus einer Zeit sind, in der nicht alle 5 Minuten ein Film veröffentlicht wurde, in der man nicht 3 Serien simultan guckte, daneben noch ein paar Filme und außerdem noch ein paar Videospiele im Kopf herumspukten. Diese alten Schinken sagen mir immer: Ich bin das Größte, es gibt nichts neben mir! Gib mir deine totale Aufmerksamkeit oder gib mir gar nichts. Für 90 Minuten darf es nur mich geben, ansonsten werde ich dir nichts zurückgeben. Und tatsächlich, während es anscheinend heutzutage normal ist, dass jeder Film einem die Möglichkeit bietet, alle 10 Minuten wieder einzusteigen, ist ein Film wie Nosferatu weit weniger nachsichtig. Da ist kein Platz dafür, mal eben aufs Handy zu gucken, mal auf die Toilette zu gehen, mal zu schauen was der Kühlschrank hergibt. Verpasst man 2 oder 3 Szenen oder Texttafeln, dann ist man raus. Und Filme wie “Nosferatu” scheinen einen dann nur noch ungern wieder hineinzulassen. Das ist es wohl, was ich so liebgewonnen habe an all diesen Filmen. Diese euphorische und auch naive Größe. Filmemacher, die alles für den Zuschauer geben, gleichzeitig aber den größtmöglichen Respekt für ihr Werk einfordern. Respekt nicht als Lobhudelei, sondern Respekt in der Form, dass ich dem Film einfach die nötige Aufmerksamkeit schenke, mich auf diese kurze Reise einlasse. Die Reise muss niemanden gefallen…aber man sollte sie nicht als langweilig abtun, bloß weil man lieber am Abfahrtssteg stehen blieb, da einem die Anstrengungen zu groß erschienen.

Was das nun mit Nosferatu zu tun hat? Alles und nichts. Er vereint all diese Argumente und doch kann man diesen Film kaum Regeln unterwerfen. Er ist ein cineastischer Prototyp und entzieht sich doch jeglichem Vergleich. Er weiß durch seine Bilder, seine Machart zu beeindrucken, und doch kann man das, was ihn ausmacht, nicht mit Worten greifen. Zärtlich und romantisch, gruselig und bedrohlich. Nosferatu mag oft langsam erscheinen in seinem albtraumhaften Schwelgen, was aber auch dadurch bedingt ist, dass er sich 95 Minuten wichtig nimmt. Jede Minute dieses Films bedingt die andere. Es gibt keine wichtigen und unwichtigen Phasen oder Szenen. Diese erste Sekunde ist hier so bedeutend wie die letzte. Nur wenige Aspekte stechen aus dem Gesamtwerk heraus, wie z.B. der Anblick des Max Schreck. Doch sie fügen sich sehr schnell ein, bleiben immer Teil dieses einen Ganzen. Eine unheimliche Geschichte, die man auch mit mehr Möglichkeiten, Geld, Sprache und Farbe nicht eindringlicher und besser hätte verfilmen können. Ein Film, der alles hat, was man heut oft verzweifelt zu reproduzieren versucht. Wie sehr verblasst z.B. der Kitsch von Twilight gegenüber dieser tiefen Romantik eines Nosferatu. Wie grausig erscheint einem dieser Vampir gegenüber all diesen klischeehaft gezeichneten Sexy-Vampiren, welche das Luder in braven Hausfrauen wecken sollen. Max Schreck als Nosferatu ist die Figur, die, bewusst oder unbewusst, fast jede bedeutende Horrorfigur der Filmgeschichte beeinflusst hat. Er ist der, der sich von selbst ins Abseits stellt, der die Regeln der Menschen ablegt, nach seinem eigenen Moralverständnis agiert und somit der wahre Horror für die Menschen ist. Auch er sehnt sich nach Liebe, er hat sich jedoch schon lange von der Menschheit abgewandt, sich über sie gestellt. Er fragt nicht, er erklärt nicht… er macht. Und das erschreckt die Menschen mehr als ein möglichst abartiges Aussehen. Die Kontrolle über den Menschen, die den Menschen beengt, aber auch beruhigt, sie ist bei dieser Figur nicht mehr gegeben. Nosferatu spielt das Spiel nicht mit und ist deshalb eine solch furchtbare Bedrohung. Und deshalb ist er auch so ein großer Einfluss für Figuren wie Leatherface oder Michael Myers. Alles Tyrannen aus einer eigenen Entscheidung heraus, deren Terror so tief geht, weil er für die Menschen nicht erklärbar ist.

Nosferatu ist einfach ein Traum. Kein schöner, aber er vermag zu entführen wie kein anderer Vampirfilm. Und abschliessend ist da noch ein Punkt, der mir ein bisschen erklärt, warum ich diese alten Filme so mag…, auch wenn er fast ein wenig lächerlich ist: Aber manchmal ertappe ich mich dabei, dass ich das alles für wahrhaft erachte was da passiert. Es ist zeitlich so fern von mir, dass ich mit dem Gedanken spiele, es sei echt. Keine Schauspieler, keine erfundene Geschichte. Alles echt. Und manchmal ist das echt ein tolles Gefühl.

Den Kommentar findet ihr übrigens hier.

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