Nollywood & der Aufstieg des afrikanischen Films

19.03.2012 - 08:50 UhrVor 12 Jahren aktualisiert
New Nollywood - The Figurine von Kunle Afolayan
Golden Effects/Jungle Film Works
New Nollywood - The Figurine von Kunle Afolayan
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Letzte Woche habe ich über das afrikanische Kino und seine großen Autorenfilmer geschrieben. Diese Woche soll die zweitgrößte Filmindustrie der Welt im Mittelpunkt stehen, das in Nigeria beheimatete Phänomen namens Nollywood.

Wenn einem ein Stichwort zum aktuellen afrikanischen Kino einfällt, dann ist es wohl der ominöse Begriff Nollywood. Aber was verbirgt sich dahinter und warum wird es durch den Namen in die Nähe von Hollywood und Bollywood gerückt? Im zweiten Teil meines kleinen Afrika-Specials sollen diese Fragen geklärt werden. Nachdem ich letzte Woche über die politische Agenda afrikanischer Autorenfilmer geschrieben habe, soll dieses Mal ein zutiefst populäres Kino im Mittelpunkt stehen, das sich seiner Herkunft dennoch bewusst ist.

In Nigeria drehen sie Filme
Je nach Quelle variiert die Zahl der jährlich in Nollywood produzierten Filme zwischen 1000 und 3000. Doch selbst 1500 ist schon eine ungeheuerliche Zahl für ein Land, in dem rund 150 Millionen Menschen leben. Nollywood ist nämlich die populäre Bezeichnung der nigerianischen Filmindustrie, die sei Anfang der 90er Jahre einen Boom erlebt hat. Heute gilt Nollywood als zweitgrößte Filmindustrie der Welt hinter Bollywood und als drittlukrativste mit einem jährlichen Umsatz von rund 200 Millionen Dollar. Rund 300.000 Nigerianer sind in der drittgrößten Industrie des Landes beschäftigt.

Auf 1992 wird das Schicksalsjahr der nigerianischen Filmwelt datiert. Zuvor dominierte das Fernsehen, Filmmaterial war schließlich teuer. Doch ein Überschuss an leeren VHS-Kassetten soll es gewesen sein, der die Macher von Living in Bondage dazu animierte, einen Film zu drehen und zu vertreiben. Living in Bondage, der leider nichts für SM-Afficionados ist, wurde mit seinem überraschenden Erfolg zum inhaltlichen wie produktionstechnischen Vorbild Tausender von Nachahmer. Billig auf VHS gedrehte Streifen kamen in vogue, die nie das Licht eines klassischen Kinosaals erblickten. Stattdessen entwickelte sich in Lagos ein gigantischer Markt, auf dem die frisch gedrehten Filme verschachert werden. Heute werden die 1500 Nollywood-Filme im Jahr digital gedreht und auf VideoCDs (VCD) in ganz Westafrika verkauft. 2 Dollar kostet das Stück in Nigeria, das Budget eines Films liegt zwischen 15.000 und 30.000 Dollar (guardian), so dass schon der Verkauf von 50.000 Kopien einen immensen Profit verspricht.

Von Hexen, Kobolden und dem Traum von einem besseren Leben
Die Story von Living in Bondage dreht sich um einen Mann, der einen geheimen Kult betritt und in einem Ritual seine Frau tötet. Von großem Reichtum gesegnet wird er nicht glücklich, denn der Geist seiner toten Frau verfolgt ihn. Geister, Hexen, Zauberei und nicht christliche/muslimische Kulte wurden danach immer wieder zum Thema in Nollywood-Produktionen gemacht. Dasselbe gilt für das Streben nach Reichtum, das nicht zuletzt durch westliche Vorbilder angeheizt wird. In Nollywood-Filmen, ob sie nun aus dem muslimischen Norden oder dem christlichen Süden stammen, träumen die Helden oft genug von dicken Karren und schönen Frauen. Die Kapitalismuskritik dieses frühen Beitrags scheint im Nachhinein ebenso wegweisend für die Industrie wie die übernatürlichen Elemente, die auf Vorstellungen nigerianischer Volksgruppen zurückgehen. Auf den ersten Blick können Nollywood-Filme mit ihren billigen Special Effects, dem Hang zum Overacting und der fehlenden Professionalität wie Trashfeste wirken. Es wäre jedoch ein (ziemlich herablassender) Fehler, sie einzig darauf zu reduzieren.

Die politische Agenda afrikanischer Autorenfilmer der 70er Jahre spiegelt sich zumindest teilweise auch im Nollywood-Kino des neues Jahrtausends wider. Durch die kurze Produktionszeit von rund zehn Tagen reagieren die Filme in kürzester Zeit auf aktuelle Nachrichten, sie ziehen ihre Plots aus Schlagzeilen und stehen so im ständigen Austausch mit der nigerianischen Wirklichkeit. Mit Sozialdramen haben die meisten Filme wohl wenig zu tun, doch auch populäre Erzählformen wie Genres bieten die Möglichkeit, die gesellschaftliche Wirklichkeit zu reflektieren. So erzählt die erfolgreiche Komödie Osuofia in London von einem nigerianischen Dorfbewohner, der in der britischen Hauptstadt ein Erbe antreten soll. Im Spiel mit den kulturellen Unterschieden und dem Gegensatz zwischen Stadt und Land dreht der Film den Stereotypenspieß um und nimmt Vorurteile in der ehemaligen Kolonialmacht ins Visier.

Dieses massenhafte In-die-Hand-Nehmen der eigenen Identität in filmemacherischer Form erreicht nicht nur westafrikanische Zuschauer. In der afrikanischen und karibischen Diaspora in den USA und Europa werden die VCDs gehandelt, es gibt Sender wie Nollywood Movies von Sky, der in Großbritannien jeden Monat 30 neue Nollywood-Filme zeigt. Ähnliche Angebote finden sich in den Staaten und natürlich im Internet. Aber da fangen die Probleme an…

Raubkopien und das New Nollywood
In den letzten Jahren wurde die nigerianische Filmindustrie von einer Seuche befallen, mit der Hollywood und Co. längst ringen: Raubkopien. Auf den Märkten in Lagos und Onitsha sorgen die Raubkopien aktueller Nollywood-Streifen für Umsatzeinbußen. Nun gilt es, so viele VCDs und DVDs wie möglich an den Mann zu bringen, bevor die Raupkopien in Umlauf kommen. Damit hat die nigerianische Filmindustrie mit einer Krankheit zu kämpfen, der heutzutage niemand aus dem Weg gehen kann. Doch wie wohin wird sich Nollywood nach zwanzig Jahren Boom entwickeln?

Im Kino findet eine vielversprechende Gegenbewegung statt. 2009 drehte Kunle Afolayan dank eines Kredits den Thriller The Figurine mit einem Budget von 300.000 Dollar und brachte den Film ins Kino, nicht auf VCD. Dort verdrängte er amerikanische Blockbuster, wurde ein Hit und gewann 5 African Movie Academy Awards. Der Streifen spielt ebenfalls mit übernatürlichen Elementen, doch Afolayan setzt auf eine erstklassige Crew und State of the Art-Technik. The Figurine, Mission to Nowhere und andere wurden und werden für die wachsende Anzahl von Kinos im Land produziert sowie die wachsende Zahl derjenigen, die sich den Eintritt leisten können. Sie konkurrieren direkt mit Hollywood und wenn die letzten 20 Jahre irgendwas gezeigt haben, dann dass es Nollywood nicht an Selbstbewusstsein fehlt.

Ein paar Dokumentationen über Nollywood:

Mission Nollywood
Welcome to Nollywood
This is Nollywood
Nollywood Babylon

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