Nicht nur Gott vergibt...

03.09.2013 - 08:50 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
It's a little more complicated than that, mother.
Tiberius Film / moviepilot
It's a little more complicated than that, mother.
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Während Refn mit seinem Film ungeschriebene Prinzipien entlarvt, öffnet uns Communitymitglied Jenny von T die Augen und erklärt, warum Only God Forgives mehr ist, als nur ein brutaler Männerfilm ohne Antworten.

Die ersten Stürme der Entrüstung haben sich nunmehr entladen und Nicolas Winding Refn wird sich die Hände reiben angesichts der weltweiten, größtenteils negativen Reaktionen auf seinen neuesten Film Only God Forgives. Erst vor kurzem betonte der dänische Regisseur, es mache ihn glücklich, durch seine Filme eine wie auch immer geartete Reaktion hervorzurufen – am liebsten in beide Extremrichtungen und, noch besser, möglichst heftig. Kunst als dynamische Interaktion zwischen Schaffendem und Publikum – entmutigend allein die Gleichgültigkeit. Allen Vorwürfen zum Trotz muss dieser Tage wohl selbst der größte Skeptiker eingestehen, dass Refn dieses Ziel eindeutiger denn je erreicht hat.

An diesem Punkt endet allerdings auch schon die Objektivität, denn Only God Forgives lädt wie kaum ein zweiter Film aus jüngerer Vergangenheit dazu ein, geliebt und gehasst zu werden – gleichermaßen. Der Zuschauer wird hier vor eine Frage gestellt, die er letztendlich schlechthin nicht rational, sondern, wenn überhaupt, nur aus dem Bauch heraus beantworten kann: Lasse ich dieses surreale, überstilisierte Gewaltballett in mein eigenes Unterbewusstsein vordringen oder folge ich meinem Reflex und brandmarke das alles als verachtenswerte Phantasie eines gestörten Filmemachers? Selbst nach der ersten Verwirrung jedoch ist dieser Film womöglich noch nicht fertig mit seinem Rezipienten, denn es fällt auf, dass, wo immer er gezeigt wird, ein immenser Diskussionsdrang (oder zumindest Mitteilungsbedarf) auf beiden Seiten vorherrscht. Kurzum: Only God Forgives lässt praktisch niemanden kalt; er beschäftigt die Gemüter auf die eine oder andere Weise.

Refns neues Werk nicht zu mögen ist selbstverständlich legitim, und doch – so sehr es der Film wahrscheinlich seinerseits provoziert – ärgere ich mich bisweilen über die beharrliche Selbstverständlichkeit, mit welcher enttäuschte Fans, aber auch so manche Kritiker ihm jeglichen Subtext absprechen.
Angebracht ist hier sicherlich der Verweis auf unerfüllte Erwartungshaltungen: Kein Radio-Synthie-Pop, stattdessen ein treibendes, akustisches Hölleninferno von Komponist Cliff Martinez, das einem nur so um die Ohren fegt. Keine Melancholie-Sehnsüchte bedienende Liebesgeschichte für die MTV-Generation, stattdessen null Identifikationspotenzial, sinnlose Gewaltorgien, keine Antworten, kein Zurechtfinden. Allein die Neon-Lichter strahlen weiter.
Nach dem Ultraerfolg Drive wäre es wahrscheinlich ein Kinderspiel für Refn gewesen, die Tür nach Hollywood weit aufzustoßen. Er aber entschied sich dagegen, realisierte ein eigentlich schon vor Drive angedachtes Projekt – und stößt seiner mittlerweile stattlichen Fanbase jetzt gewaltig vor den Kopf. Ein Schritt, der erst einmal Verwunderung hervorruft, doch offenbart ein weiterführender Blick auf seinen bisherigen Werdegang (u.a. Bronson, Walhalla Rising): Refn bedient sich zwar postmoderner Bausteine, war aber dennoch nie ein Regisseur für die breite Masse. Vielmehr schildert Only God Forgives eine kompromisslose und vor allem formvollendete Rückkehr zu den eigenen Wurzeln.

Doch was genau macht diesen Film zu dem Monster, das er ist? Betrachtet man lediglich seine Oberfläche, stößt man kaum auf Bahnbrechendes: Es ist offenbar die alte Geschichte über dunkle Milieus und Rache-Selbstläufer, die Refn uns hier serviert – diverse Unterwelt-Klischees inklusive, getränkt in bedeutungsschwangerer Symbolik und David Lynch-Optik. Sogar Sigmund Freud wird in diesem Flickenteppich der Männerromantik eingewoben.
Was aber, wenn jeder einzelnen Geste mindestens zwei Bedeutungen zufallen? Wenn das Ballen der Hand zur Faust plötzlich die (Sehn-)Suche nach etwas und nicht mehr die testosterongeladene Entschlossenheit aus hunderten Actionstreifen verkörpert? Wenn die Farbe Rot warnt und verführt? Wenn keiner der Charaktere das ist, was er zu sein glaubt oder vorgibt? Wenn Only God Forgives mindestens eine Groteske, vielleicht sogar ein Horrorfilm ist? Haben wir es überhaupt mit echten Menschen zu tun?

Zumindest hinter der wahren Identität des Polizisten Chang sowie Julians Mutter Crystal stehen Fragezeichen. Sicher scheint nur: Seitens Julian besteht in beiden Fällen eine Abhängigkeit. Die zu seiner Mutter ist emotionaler Natur, und insoweit hat er diese – theoretisch – selbst „in der Hand“. Chang hingegen verkörpert das unabänderliche Schicksal. Ihn herauszufordern („Wanna fight?“), kann nur in einer Niederlage enden. Dennoch bleibt am Ende das Gefühl, dass Julian einen (wenn auch verlustreichen) Reifeprozess durchschritten haben könnte – nicht umsonst wendet sich schlussendlich gewissermaßen das Blatt und Julian fällt wiederum die Macht zu, über das Leben von Changs Tochter zu richten.

Dass Superstar Ryan Gosling von der unglaublichen Leinwandpräsenz seiner beiden Antagonisten Kristin Scott Thomas und Vithaya Pansringarm schier überstrahlt wird, bedeutet nicht, dass er ein eindimensionaler Schauspieler ist, sondern die Art seiner Darstellung ist sogar teil des Plans, denn Julian ist ein sehr ungefestigter Charakter, der auf Primärebene im krassen Gegensatz zu seinen personifizierten Herausforderungen steht – die Umkehr des Drivers. Wer nicht mehr als einen gelangweilten Blick in seinem Gesicht ausmacht, sollte noch einmal genau hinschauen – vielleicht lodert dort auch eine unterdrückte Angst.

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