Neu bei Amazon Prime: Verstörender Nazi-Schocker aus Deutschland

18.04.2020 - 17:00 UhrVor 4 Jahren aktualisiert
WintermärchenLighthouse Home Entertainment
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Gegen Wintermärchen wirkt selbst Der goldene Handschuh wie ein Sonntagsspaziergang. Der schockierende Nazi-Albtraum steht nun auf Amazon Prime zur Verfügung.

Das deutsche Kino ist derzeit besonders spannend. Nicht nur wurde durch Der goldene Handschuh der Bezug zum Genre-Kino populär deutlich gemacht. Auch der dramatische Sektor glänzt durch Einträge wie Systemsprenger oder Lara. Mit Wintermärchen, der nun auf Amazon Prime verfügbar ist, entfesselt die hiesige Filmlandschaft jedoch eine neue Dimension an verstörender Durchschlagskraft.

Jan Bonny bedient sich bei Wintermärchen nicht an filmgeschichtlichen Vorbildern, sondern orientiert sich an der Mord- und Überfallserie des NSU, ohne dabei als akkurate Adaption der Vorfälle rund um die neonazistische Vereinigung funktionieren zu wollen. Die losgelöste, nur selten klassischen Erzählprinzipien folgende Dramaturgie nistet sich vielmehr in die Erfahrungswelt der hiesigen Protagonisten ein und zerrt den Zuschauer in einen endlosen Albtraum aus Sex und Gewalt.

Ein (Haken-)Kreuzzug gegen sich selbst: In Wintermärchen regiert die Perspektivlosigkeit

Die Geschichte dreht sich um Becky (Ricarda Seifried), Maik (Jean-Luc Bubert) und Tommy (Thomas Schubert). Zusammen bilden sie eine rechtsradikale Terrorzelle, die im Untergrund darauf lauert, in Deutschland durch Anschläge endlich das nötige Aufsehen auf sich zu ziehen. Um diesen Traum verwirklichen zu können, lassen sie der Gewalt immer mehr freien Lauf.

Wintermärchen

Von Sachbeschädigung bis Mord schreckt das desorientierte Trio im Mittelpunkt vor nichts zurück, um bundesweite Aufmerksamkeit zu erreichen. Doch ihre Ideale, die angeblich Ehre, Loyalität und Vaterlandsstolz heißen, verwischen immer weiter. Becky, Maik und Tommy geraten in einen ausweglosen Abwärtssog der Hilf- und Orientierungslosigkeit.

Mit dem Finger in die (deutsche) Wunde: Wintermärchen ist purer Terror

Wintermärchen gehört zu den Filmen, die den Zuschauer zwangsläufig kalt erwischen, egal, wie gut er sich auch in dem Glauben wähnt, vorbereitet zu sein. Der Grund dafür ist, dass Jan Bonny sein Unterschichtsgrauen mit einer ungeschönten, fast schon sozialdokumentarischen Ästhetik einfängt, die die Trennung zwischen Fiktion und Realität immer stärker verweigert.

Der tagesaktuelle Bezug ist klar, doch wird er niemals benannt, weil Wintermärchen kein Polit-Kino sein möchte, sondern sich als extrem unangenehmer Befindlichkeitsfilm definiert, der den Zuschauer zusammen mit den Akteuren in einen (selbst-)zerstörerischen Kreislauf aus Sex, Gewalt und Suff zieht. Man möchte sich vor Ekel winden.

Jan Bonny aber bietet niemandem einen Ausweg. Derart kompromisslos wurde der nationalen Perspektivlosigkeit (wenn überhaupt) nur selten auf den erbärmlichen Zahn gefühlt. Das ist widerwärtig, grausam und nicht zuletzt hochgradig angsteinflößend. Man sträubt sich gegen das Geschehen; gegen die greifbare Möglichkeit, dass derartige Zustände der Wahrheit entsprechen.

Neu bei Amazon Prime: Wintermärchen weigert sich, wegzuschauen - und das ist gut so

Das Beeindruckende an Wintermärchen ist dabei, dass diese rastlose Innenansicht der sozialen Verwahrlosung im rechten Milieu nicht dazu dient, um sich an Schocksequenzen zu weiden, sondern auch betroffen macht. Man hat Mitleid mit dem begnadet agierenden Ensemble, wenn es sich aufopferungsvoll die geschundene Seele aus dem Leib spielt. Ein hässlicher Film über Menschen, die irgendwann, irgendwo, den falschen Weg eingeschlagen haben.

Sicherlich liegt hier auch die Relevanz des nahezu ausschließlich körperlichen Filmes begraben: In der Verweigerung, wegzuschauen. Das Ergebnis ist eine unvergessliche, frustrierend-archaische Seherfahrung, die in ihrem ätzend-elendigen Wechsel aus Selbsterniedrigung und brutaler Niedertracht durch Mark und Bein geht und Schächte in die Eingeweide des Zuschauers gräbt. Purer Terror.

Wintermärchen steht auf Amazon Prime zur Verfügung.

Habt ihr den Film bereits gesehen?

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