Es ist ein sommerlicher Tag im August 2023. Ein Eichhörnchen sitzt auf einem Felsen im Wald und bewegt sich keinen Zentimeter von der Stelle. Was vielleicht daran liegt, dass es sich bei dem roten Fellknäuel um ein ausgestopftes Kuscheltier handelt. Sogar ein Preisschild baumelt noch von seinem Schweif. "Eichhörnchen sind schwer zu dressieren", erklärt eine Tier-Trainerin neben mir, "wenn man sie hier im Wald filmen würde, wären sie in fünf Minuten weggelaufen."
"Hier im Wald" ist ein idyllisches Stück Natur im Harz, nördlich von Blankenburg, wo vor wenigen Tagen die Dreharbeiten zum ersten Film der Woodwalkers-Reihe nach den Büchern von Katja Brandis gestartet sind. Im sonst eher Genre-scheuen Filmland Deutschland ist das endlich mal wieder ein großes deutsches Fantasy-Projekt. Und Moviepilot ist ganz nah dabei.
Harry Potter mit Tieren? Woodwalkers basiert auf einer riesigen Fantasy-Buchreihe
In der Buchreihe Woodwalkers von Katja Brandis geht es um Gestaltwandler: Personen, die sowohl eine Menschen- als auch eine Tiergestalt haben und zwischen beiden wechseln können. Damit der Junge Carag (Emile Chérif) endlich andere Gestaltwandler trifft, kommt auf ein Internat für "Wandler" – die Clearwater High. Dort soll er unter anderem lernen, seine Tierform besser beherrschen: einen Puma. Neben dem Unterricht stehen aber auch jede Menge Abenteuer mit Freund:innen wie Eichhörnchen-Wandlerin Holly (Lilli Falk) und Bison-Wandler Brandon (Johan von Ehrlich) auf dem Programm.
Was schon bei Harry Potter Erfolg hatte, funktioniert auch hier: Das Woodwalkers-Universum mit all seinen Ablegern umfasst mittlerweile über 20 Bücher, die insgesamt über 2,5 Millionen Mal verkauft wurden. Eine zweite und dritte Verfilmung sind bereits fest eingeplant.
Das Eichhörnchen ist an diesem Tag im Wald nicht echt. Der Puma, der Carags Tierform spielt, aber schon. Und um die Geburtsstunde eines neuen Kino-Franchisese mit dieser echten Raubkatze im Harz live mitzuerleben, wurde Moviepilot für einen Tag zum Dreh eingeladen.
Im Dreh der Tierverwandlungs-Szenen steckt jede Menge Film-Magie
Wenn man die Basis des Woodwalkers-Filmsets mit all den LKWs, Star-Wohnwagen und Autos voll Equipment hinter sich gelassen hat, führt ein Wanderweg schnurstracks in die deutsche Wildnis. Doch wer dem Pfad über Wurzel-Stolperfallen in einen Talkessel folgt, könnte ebenso gut glauben, tatsächlich im einsamen Nirgendwo der USA gelandet zu sein. Solche Kiefernwälder finden sich auch im Yellowstone-Nationalpark, wo die Geschichte von Woodwalkers spielt.
Die natürliche Kulisse der Harzer Sandsteinhöhlen mit ihrer Dünen-Landschaft steht in der Fantasy-Adaption für die Rocky Mountains ein. Genauer gesagt: für den Verwandlungsplatz der Schule Clearwater High, wo die Schüler:innen üben, zwischen ihren Tier- und Menschengestalten zu wechseln. Nur ein paar falsche, aber täuschend echt wirkende Felsen wurden im Zentrum dieser natürlichen Arena noch dazugestellt.
Das falsche Eichhörnchen wird im fertigen Film nicht zu sehen sein. Es ist nur ein Platzhalter, damit die Kamera weiß, wo sie hinschwenken soll. Später soll diese Verwandlungsszene mit Holly-Darstellerin Lilli Falk und einem anderswo gefilmten echten Rothörnchen zusammengeschnitten werden. An die Schauspielerin erinnert heute nur ein lila T-Shirt, das im Sand abgefilmt wird. In der fertigen Szene wird sie es erst tragen, um es nach ihrer Verwandlung zurückzulassen. Eichhörnchen brauchen schließlich keine T-Shirts.
Das Kamera-Team überbrückt mit solchen kleinen Drehs die Zeit. Schauspieler:innen sind an diesem Tag generell nicht am Set. Stattdessen hat der Puma heute als allererster seinen großen Auftritt. Denn wenn mit ihm nicht alles wie geplant läuft, müsste auch mit dem Cast vieles noch einmal umgeplant werden.
Keine lauten Geräusche: So läuft der Woodwalkers-Dreh mit einem echten Puma
Mit einem kilometerlangen elektrischen Zaun wurde das Gebiet des Woodwalker-Sets weiträumig abgesperrt. Der Herstellungsleiter, der mich mit durch die bewachte Barriere nimmt, erzählt, dass der Puma aus Spanien stammt und schon vor mehreren Tagen hierher gebracht wurde. So konnte er sich an die ungewohnte Umgebung gewöhnen und sein neues Revier markieren.
Der Zaun soll nicht nur schaulustige Wanderer fernhalten, sondern auch verhindern, dass der Pumas wegläuft. Im Prinzip betrete ich ein riesiges Tiergehege: die Höhle des (Berg-)Löwen. Im Vorfeld wurde allem Anwesenden eingebläut: Keine schnellen Bewegungen, keine Geräusche und ja nichts Essbares, was das Tier riechen könnte.
Wegen technischer Schwierigkeiten mit den Kameras und schwieriger Datenübertragung im WLAN-losen Wald verzögert sich der Drehstart. Wer vorher schon einmal an einem Filmset war, weiß, dass stundenlanges Warten keine Seltenheit ist. Viel Geduld, viel Chaos und viel Reagieren-auf-Unerwartetes gehören beim Filmdreh dazu. "Es gibt immer irgendein Problem", hat das Schauspieler Dimitrij Schaad gegenüber Moviepilot mal treffen zusammengefasst. Der eigentlich Dreh einer konkreten Szene nimmt dabei die wenigste Zeit in Anspruch.
Heute sind zirka 20 Leute vor Ort, die vom Kamera-Mann, zahllosen Assistenten, Set-Koordinatoren, dem VFX-Mann für spätere visuelle Effekte und dem Herstellungsleiter bis zu den unterschiedlichsten Tier-Trainern reichen. Auch Autorin Katja Brandis ist an diesem Tag als Besucherin dabei und gibt mir zwischendurch in der Sandsteinhöle ein Interview. Aber eigentlich warten alle auf den Puma.
Der Woodwalkers-Puma beißt in den Sicherheitszaun – und ich stehe direkt dahinter
Am Nachmittag ist es dann endlich so weit: Der Puma kommt an einer Leine in die sandige Senke. Jetzt müssen alle ruhig sein. Anders als Woodwalkers-Hauptfigur Carag, ist das Tier eigentlich eine sie. Ihr spanischen Namen ("Jama") wird landestypisch mit einem kratzigen Fauchen am Wortanfang ausgesprochen.
Die Raubkatze ist aus der Ferne überraschend klein. Wir reglosen Beobachter:innen wurden zu unserer Sicherheit trotzdem hinter einem ein-Meter-hohen Netzzaun (für Schafe!) in den Sandsteinhöhlen "versteckt". Man hat uns vorgewarnt, dass Jama neugierig ist. Und tatsächlich: Trotz Ablenkungsmanöver ihrer zwei Trainer kommt die Berglöwin als Erstes zu uns herübergeschlendert, um probeweise in die Maschen des Absperrzauns zu beißen. Bis jetzt dachte ich noch, das improvisierte Hindernis wäre elektrisiert. Was offenbar nicht der Fall ist. Plötzlich kommt mir das elegante, goldfarbene Tier gar nicht mehr so klein vor.
Für Jama steht heute eine Kampfszene auf dem Plan. Der verwandelte Carag besucht in seiner Schule den Kampfunterricht und legt sich in Puma-Gestalt mit seiner Mitschülerin Berta an, die eine Bärin ist. Für diesen Kampf sollen Sprünge und Schläge mit den Tatzen gefilmt werden. Zunächst sieht es aber nicht so aus, als hätte die Pumadame große Lust, Kunststückchen zu vollführen. Sie rennt sie lieber einem Vogel hinterher, der den Fehler macht, in ihrer Nähe zu landen. Schließlich kann ihr Betreuer sie mit einem weißen Sack an einem Seil und einer Plastikflasche an einer Angel aber doch zum Spielen überreden.
Danach kommen die Nahaufnahmen dran. Im Film soll man auch Schnurrbart-Haare und spitzen Zähne der prächtigen Großkatze sehen können. Carag mag eine sympathische Hauptfigur sein, aber als Puma steht er ziemlich weit oben in der Nahrungskette und keiner soll vergessen, dass ein Berglöwe ein gefährliches Raubtier ist.
Woodwalkers zeigt echte Tiere in echter Kulisse – die Fantasy kommt erst später
Einer der Puma-Trainer trägt einen silbergrauen Anzug, den man später am Computer leichter entfernen kann. Als er am Boden mit der Raubkatze ringt, halten wir Zaungäste zu den bedrohlichen Fauch-Geräuschen den Atem an. Doch der Trainer ist unbesorgt. Er kennt die Pumadame, seit sie ein Baby ist.
Vom Dreh bis zur fertigen Filmszene ist es noch ein weiter Weg. Später muss am Computer alles zusammengesetzt werden. Vermutlich wird das heute gefilmte Material im fertigen Fantasy-Film nur wenige Sekunden zu sehen sein. Selbst beim Dreh mit Menschen rechnet man mit kaum mehr als drei bis acht Minuten, die an einem Tag am Set entstehen – häufig sogar weniger.
Aber dafür gibt es in Woodwalkers (anders als in Filme wie Die Schule der magischen Tiere) eben auch echte Tiere zu sehen. Schließlich machen die unterschiedlichen Tiere, in welche die Kinder sich verwandeln, auch in der Buchreihe einen Großteil der Faszination aus. Die Auseinandersetzungen zwischen Fleisch- und Pflanzenfresser:innen nehmen im Internat ähnlich viel Raum ein wie die Konkurrenz unter den Hogwarts-Häusern bei Harry Potter.
Natürlich arbeitet auch Woodwalkers mit Computereffekten, doch das Herz der Reihe soll authentisch wirken. Das lässt sich mit künstlichen Kreaturen nur bedingt herstellen. CGI-Pumas könnten außerdem niemals so zufrieden wirken wie Jama über ihre Belohnung. Denn als die Berglöwin am Ende zurück in ihren Käfig geht, gibt sie der Plastikflasche von vorhin mit den Zähnen genüsslich den Rest.
Der Set-Besuch von Moviepilot fand am 29. Juli 2023 zu Beginn der Dreharbeiten von Woodwalkers nahe der Harz-Stadt Blankenburg statt.