Kleine Helden, große Stars - Ken Loach im Interview

03.11.2009 - 09:20 Uhr
Ein "working class hero" und sein Idol
Delphi
Ein "working class hero" und sein Idol
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Ken Loach berichtet im Interview von den Dreharbeiten zu seinem neuen Film Looking for Eric. Es geht um die Liebe zum Fußball, Männerfreundschaften und darum, wie die Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Fußballssuperstar Eric Cantona zu Stande kam.

Der britische Regisseur Ken Loach hat sich in seinen Filmen immer mit der Tragik und der Komik im Leben des kleinen Mannes beschäftigt. Auch in seinem neuen Film, der am 5. November in die deutschen Kinos kommt, steht die Frage nach dem Scheitern und dem Neuanfang eines “working class heroe” im Mittelpunkt.

Im Interview berichtet Ken Loach u.a. davon, wie er den ehemaligen Manchster United-Stürmerstar für eine Mitarbeit gewinnen konnte:

Ken Loach: Das war vor zwei oder drei Jahren. Ohne ihn gäbe es keinen Film. Ein sehr netter französischer Produzent, Pascal Caucheteux, hatte mit Rebecca [O’Brien, Produzentin] gesprochen und vorgeschlagen, dass er und Eric sich mit uns treffen. Selbstverständlich kannte ich Eric Cantona, kannte seine öffentliche Person und ich kannte ihn als fantastischen Fußballer. Und sie wussten, dass Paul und ich Fußballfans sind. Also trafen wir uns. Eric hatte ein paar Ideen, die sehr interessant waren, insbesondere eine Geschichte über einen seiner Fans. Paul und mir gelang es zwar nicht, diese Geschichte wirklich zum Laufen zu bringen – weder narrativ noch, was die Charaktere anging – aber wir fanden es ein sehr spannendes Areal, auf dem wir uns weiter umsehen wollten. Nicht nur die Begeisterung für Fußball und welche Rolle er im Leben der Menschen spielt, sondern auch die Berühmtheit der Spieler und wie sie in den Medien präsentiert werden – als Wesen mit schier übermenschlichen Fähigkeiten. Paul begann mit einem leeren Blatt und schrieb eine Geschichte, die versuchte, all diese Aspekte zu vereinen. Wir hatten keine wirklichen Bedenken, Eric das Buch zu zeigen.

Wir hatten uns ja ein paar Mal getroffen und hatten ihn ein bisschen kennen gelernt. Er schien kein Mensch zu sein, der sich selbst zu ernst nimmt. Er hat das ganze Projekt mit einem großen Augenzwinkern betrachtet. Es war Spaß für ihn und kein strenger, ernster Stoff. Wir haben einfach gehofft, dass er es mögen würde, und er war so freundlich zu sagen, dass ihm das Buch gefällt.

Warum Cantona?

Ken Loach: Er ist ein Original. Er ist klug, scharfsinnig und aufmerksam. Er fühlt sich auch außerhalb des Felds wohl, und seine Rangeleien mit Journalisten waren immer amüsant und geistreich. Er hat ganz offensichtlich Substanz – das wussten wir schon durch seine öffentlichen Auftritte und durch sein legendäres ‚Möwen’-Zitat.

Durch unsere Gespräche – insbesondere Pauls Gespräche – mit ihm, flossen seine Ansichten über Fußball, über seine Rolle in dieser Welt, über seine Ziele und seine Herangehensweisen mit in das Projekt ein.

Wenn Eric in einen Raum kommt, dann spürt man wirklich, dass er da ist. Man kann das wirklich nur über wenige Leute sagen, aber er ist auf jeden Fall ein Mann mit einem bemerkenswerten Charisma und einer geradezu magnetischen Anziehungskraft. Bei Schauspielern nennt sich das ‚natürliche Projektion’. Das ist die Ausdruckskraft, mit der man von der Bühne aus bis zur letzten Reihe kommuniziert, ohne dass man irgendetwas Offensichtliches macht. Erics Bühne war das Fußballfeld – er hat mit bis zu 70 000 Menschen kommuniziert. Das ist eine außergewöhnliche Gabe. In Manchester wird ihm bis heute mit Ehrfurcht und Zuneigung begegnet. Ich musste ihn sogar ein bisschen unter Verschluss halten – es war das erste Mal, dass an einem meiner Sets Paparazzi herumlungerten. Und wenn man mit ihm unterwegs war, merkte man, wie der Verkehr sich um ihn herum verlangsamte, wie Menschen stehen blieben und ihn für sich beanspruchten. Ich war mit ihm bei einem Spiel in Old Trafford, und es wurden Cantona-Lieder gesungen. Einfach so, 10 Jahre nach seiner aktiven Zeit, und ohne dass es jemand mitbekommen hätte, dass er da ist. Als sie ihn dann entdeckten, gab es kein Halten mehr. Erwachsene Männer weinten! Und als wir gingen, musste er eine endlose Reihe von Händen schütteln. Nur wenige Spieler haben eine derartige Zuneigung bei ihren Fans freigesetzt.

Warum Fußball?

Ken Loach: Ich kenne es nur als Zuschauer, aber die Spiele einer Mannschaft zu besuchen, ist eine sehr spannende soziale Erfahrung. Man trifft immer wieder die gleiche, ziemlich große Gruppe von Menschen, mit denen man die Begeisterung für eine Mannschaft gemein hat. Es hat nichts mit Arbeit oder irgendwelchen anderen Dingen außerhalb des Sports und dieses Spiels zu tun, und man ist in dieser Erfahrung vereint mit einer riesigen Anzahl völlig unterschiedlicher Menschen. Das Spiel selbst ist schließlich ein Trainingsparcours für Gefühle. Man durchlebt das gesamte Spektrum: Hoffnung, Freude, Trauer, Enttäuschung, Spannung, Zorn und Ekstase, wenn der Ball ins Tor geht. All das geschieht in einem gesicherten Rahmen und ohne wirkliche Auswirkungen auf die eigene Existenz. Ich will nicht behaupten, dass es egal wäre, was auf dem Feld passiert, aber letztlich ist es nur ein Spiel, und das wahre Leben geht danach weiter. Es ist eine riesige Gruppentherapiesitzung, in der man all diese Gefühle ‚spielerisch’ ausleben
kann.

Wer ist Eric Bishop, der andere Eric?

Ken Loach: Er ist ein intelligenter Mann, der unter Panikattacken leidet, die seine Beziehungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt haben. Er hat sich seinen Ängsten aber nicht gestellt, sondern immer eher den Kopf in den Sand gesteckt. Er ist mit seinen Kumpels ausgegangen, hat ManU-Spiele besucht, sich ein paar Drinks genehmigt und ist den eigentlichen Problemen immer ausgewichen. So scheiterte seine erste Ehe. Dann heiratete er eine andere Frau, die zur Trinkerin wurde. Sie hatte zwei Söhne von zwei verschiedenen Männern, und als sie schließlich durchdrehte, übernahm er die Verantwortung für die beiden Jungs, weil er im Grund seines Herzens ein sehr großzügiger Mensch ist. Als die beiden Kinder noch jung waren, hatte er eine vernünftige Beziehung zu ihnen, doch als sie ins Teenager-Alter kamen, haben sie eben das gemacht, was Teenager oft tun: sie nutzen jede erkennbare Schwäche schamlos aus und bringen ihn an den Rande des Wahnsinns. Er hat ein großes Haus, das er nicht in Schuss halten kann und natürlich sorgt Chaos für weiteres Chaos. Irgendwann kann er kaum noch seinen Job richtig machen und, als wir ihn in den ersten Szenen des Films sehen, ist er mitten in einer Panikattacke.

Wie wurde der Film besetzt?

Ken Loach: Neben dem Drehbuch ist die Besetzung das Wichtigste bei einem Film. Ich habe wieder mit Kahleen [Crawford, Casting Director] gearbeitet, und wir haben uns unbekannte, berühmte und alle anderen Schauspieler angeschaut. Wir steckten das Feld so weit ab, wie es nur ging. Es ist aber immer wichtig, dass ein Film Wurzeln hat, das er an einen bestimmten Ort gehört – also haben wir unsere Suche auf Leute aus Manchester und Umgebung eingeschränkt. Der Eric im Film ist ein Manchester United-Fan aus einer Zeit, als die meisten Fans eben nur aus Manchester kamen, und so haben wir versucht, einen Schauspieler aus Manchester zu finden. Steve [Evets] konnten wir uns gut als Mann am Abgrund vorstellen. Er kann auch sehr witzig sein, aber er gehört nicht unbedingt in eine Komödie. Er ist einfach sehr wahrhaftig. Wir suchen immer nach möglichst wahren Empfindungen. Und wenn wir die passende Person gefunden haben, versuchen wir das in Einklang mit dem Charakter zu bringen. Es kann durchaus sein, dass man einen brillanten Darsteller findet, bei dem alles stimmt – die gleiche Schicht, die gleiche Heimat, ähnliche Verhältnisse – aber wenn er sich dann öffnet, bekommt man doch etwas völlig anderes zu sehen. Man muss einfach jemanden finden, der in jeder Hinsicht richtig ist, der ein hervorragender Schauspieler ist und eben auch die emotionale Wahrheit des Charakters trifft, den man auf der Leinwand zeigen will.

Wie wurde Cantona bei den Dreharbeiten eingeführt?

Ken Loach: Das war ein toller Moment. Und ein sehr ausgeklügelter Moment dazu. Überraschung ist das, was für einen Schauspieler am schwierigsten zu spielen ist. Also haben wir es Steve [Evets] etwas einfacher gemacht. Er hatte keine Ahnung, dass Eric Cantona mit ihm zusammen spielen würde – er wusste nur, dass er als Produzent involviert ist.

An dem Tag, an dem wir die erste Szene mit den beiden drehen wollten, haben wir ihn in das Schlafzimmer des Hauses gebracht. Wir sagten, dass wir das Licht noch etwas anders einrichten wollen und einen schwarzen Vorhang aufhängen müssten, um Reflexionen zu vermeiden. Steve ging raus, um eine Zigarette zu rauchen, Eric Cantona versteckte sich hinter dem schwarzen Vorhang, den wir um die Kamera gehängt hatten, und dann ließen wir Steve die Szene spielen. Er schaute auf das lebensgroße Poster von Cantona, und Eric kam hinter dem Vorhang hervor, stand hinter ihm und sagte seinen Satz. Dummerweise hatten wir ein paar belgische Kameraassistenten, und Steve dachte, einer von ihnen würde da sprechen. Also stand er nur da und wusste nicht so recht, was er tun soll. Der erste Take hat dann also doch nicht so funktioniert, wie von uns geplant, aber Steve war noch überrascht genug für den zweiten Take.

Wie haben sie den richtigen Tonfall für das Wechselspiel zwischen den eher komischen Szenen und den traurigen Momenten gefunden?

Ken Loach: Man kann da nur ehrlich sein. Wie es funktioniert, hängt wie gesagt davon ab, ob man die richtigen Darsteller findet, die ehrlich und gleichzeitig auf eine natürliche Art und Weise lustig sein können. Oder ehrlich und auf natürliche Weise berührend. Es würde nicht funktionieren, wenn man das Gefühl hätte: „Jetzt haben wir eine Comedy-Szene“, oder „Jetzt haben wir eine traurige Szene“. Darum ist jemand wie John [Henshaw] ein guter Schauspieler. Er ist ernst und lustig, ohne dabei seine Gangart wechseln zu müssen. Für Ricky Tomlinson gilt das auch. Er kann lustig sein und in der gleichen Szene auch wieder ernst. Entscheidend ist, dass der Gang dabei nicht gewechselt werden muss.

Was soll das Publikum aus diesem Film mitnehmen?

Ken Loach: Nur, dass es um Freundschaft geht und darum, dass man mit sich selbst Frieden schließt. Es ist ein Film gegen den Individualismus. Wir sind stärker, wenn wir uns in einer Clique verbünden. Das klingt vielleicht etwas großspurig, aber im Grunde geht es um die Solidarität unter Freunden. Auf den Inbegriff dieser Solidarität treffen wir hier in einer Gruppe von Fußballfans und in einer Kollegengemeinschaft. Es geht darum, wie wichtig diese Solidarität ist. Es hört sich vielleicht wie ein Allgemeinplatz an, aber man darf nicht vergessen, dass diese Solidarität nicht dem Geist unserer Zeit entspricht und auch in den letzten 30 Jahrzehnten nicht entsprochen hat, und dass die Menschen seit langem eher Konkurrenten als Mitstreiter oder Kameraden zu sein scheinen.

Cantona spielt im Film die Trompete. Hat er eine Zukunft als Musiker?

Ken Loach: Nachdem George Fenton die Musik aufgenommen und Erics Trompetenspiel gehört hatte, schickte ich Eric eine SMS: “Die Musiker sind beeindruckt, schlagen aber vor, dass du den Fußball noch nicht ganz aufgibst.” Seine Antwort war: “Vielleicht denken sie ja, dass ich ihnen den Job wegnehme.”

Mit Material von MFA+

Looking for Eric läuft am 5. November 2009 in den deutschen Kinos an.

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