Keiner hat mehr Bock aufs Kino

16.01.2012 - 08:50 Uhr
Inglourious Basterds - Ein Hohelied auf die sprichwörtliche Macht des Kinos
Universal
Inglourious Basterds - Ein Hohelied auf die sprichwörtliche Macht des Kinos
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Wie sieht die Zukunft für das Kino als Institution aus? Werden immer mehr Zuschauer die Lichtspielhäuser meiden, bis die Kinos verschwinden? Der erste Teil eines kleinen Specials zum Thema befasst sich mit den aktuellen Besucherzahlen.

Zwei ganz unterschiedliche Nachrichten machten in den letzten Wochen die Runde. Zum einen verzeichneten die Kinokassen in den USA 2011 die niedrigste Besucherzahl seit 16 Jahren. Andererseits kam aus Frankreich die Meldung, dass dort ein kleiner heimischer Film namens Ziemlich beste Freunde Rekorde bricht. Steckt das Kino mitten in der Krise oder haben wir es mit einem spezifisch amerikanischen Problem zu tun? Während vielerorten den eintönigen Blockbustern oder der Filmpiraterie die Schuld an den sinkenden Besuchszahlen gegeben wird, sorgt eine genauere Untersuchung für mehr Verwirrung und weniger Antworten. Im ersten Teil meines kleinen Specials zur Zukunft der Kinos selbst geraten die Besucherzahlen ins Blickfeld.

1,28 Milliarden
1,28 Milliarden ist eine eindrucksvolle Zahl, doch in den Büros in Los Angeles sorgte sie Ende letzten Jahres wohl trotzdem für Schweißausbrüche. 1,28 Milliarden Zuschauer gingen im Jahr 2011 in Nordamerika ins Kino, um sich berieseln, ergreifen oder enttäuschen zu lassen. 4,4 Prozent weniger als im Vorjahr waren das und so wenige wie seit 1995 nicht mehr. Der Höhepunkt der Besucherzahlen wurde übrigens 2002 erreicht mit 1,57 Milliarden, die sich damals unter anderem auf Der Herr der Ringe: Die zwei Türme und Harry Potter und die Kammer des Schreckens verteilten. Seitdem ist die Zahl am Abflauen, Ausnahmen wie das Avatar-Jahr 2009 bestätigen die Regel. Schon im Sommer 2011 gab es die ersten Anzeichen. Der vierte Sommer in Folge mit zurückgehenden Zuschauerzahlen war das, der schlechteste seit 1997 und das obwohl Harry Potter und die Heiligtümer des Todes 2 startete.

Die Einnahmen selbst mögen dank der 3D-Aufschläge nicht so drastisch sinken, doch fest steht: In den USA sitzt der Kinobesuch als soziale Institution und Freizeitbeschäftigung auf dem absteigenden Ast. Sollte der 3D-Trend weiter stagnieren, müssen die Studios sich ernsthaft Sorgen um ihr Geschäft machen. Langfristig gesehen werden die ebenfalls sinkenden DVD-Verkäufe als Puffer schwinden, denn wir befinden uns in einer Phase des Übergangs. DVDs und auch Blu-rays sind kein Modell der Zukunft. Die liegt im Streaming- und Video-on-Demand-Bereich. So gehen die Kinobesuche und DVD-Verkäufe in den USA zurück, doch die Verwertung der Filme übers Internet steckt in den Kinderschuhen.

216 Millionen
216 Millionen sehen neben den 1,28 Milliarden ziemlich klein aus. Doch nicht, wenn es um ein Land der Größe Frankreichs geht. Dort wurden 2011 ganze 216 Millionen Kinotickets verkauft, die höchste Zahl seit 1966. Auf den vorderen Plätzen der Kinocharts unserer Nachbarn stehen Ziemlich Beste Freunde und Nichts zu verzollen. Erst dann folgen die üblichen Verdächtigen wie Harry Potter 7.2 und der frankophile Die Abenteuer von Tim und Struppi – Das Geheimnis der ‘Einhorn’. Die sinkenden Besucherzahlen sind demnach kein Problem aller Industrienationen, das beweisen auch die Einnahmen der Hollywood-Filme auf dem weltweiten Markt, die letztes Jahre weiter gestiegen sind. In Ländern wie China stecken noch immer enorme Wachstumspotenziale in den Zuschauerzahlen, da es zu wenig Kinos gibt. Selbiges gilt für die aufstrebenden Nationen in Lateinamerika.

In Frankreich wird seit jeher fleißiger ins Kino gegangen als beispielsweise in Deutschland. Hierzulande wurden 2010 126,6 Millionen Zuschauer_ gezählt, das ist eine Zahl am unteren Ende des Spektrums, vergleichen wir sie etwa mit 2001 (177,9 Mio.), und weit entfernt von den französischen Ergebnissen. Stiegen die Besucherzahlen in Deutschland nach der Wende kontinuierlich, ist dieser Trend im neuen Jahrtausend wieder rückläufig. Auch Deutschland ist also vor wegbleibenden Zuschauern nicht gefeit. Doch wie sind diese Rückgänge zu erklären.

7,89 Dollar
7,89 Dollar sind amerikanische Kinotickets im Durchschnitt teuer, das sind umgerechnet 6,22 Euro. Das mag verträglich klingen, doch in Großstädten gehen für 3D-Tickets gern mal 19 Dollar (15 Euro) drauf, Popcorn, Getränke, Anfahrt und Babysitter nicht mit eingerechnet. In Deutschland dürfte das Problem der ansteigenden Ticketpreise nur allzu gut nachvollziehbar sein. Und so überrascht es nicht, dass eine Studie ergeben hat, dass sich Zuschauer in den USA und Europa niedrigere Preise wünschen. Was die Studie allerdings auch aufdeckt: Die von vielen gescholtene Sequelmania und uninspirierte Blockbuster im Allgemeinen scheinen nicht das Problem zu sein. In mehreren Großstädten auf beiden Seiten des Atlantiks wurden um die 2000 Kinobesucher befragt, wie ihre Zufriedenheit mit der Kino-Erfahrung im Detail aussieht. Geschmackssichere Cineasten und Beobachter dürfte die folgende Zahl ernüchtern: Ganze 83 Prozent der Befragten zeigten sich zufrieden mit der Qualität und den Inhalten der Kinofilme.

Sind also nicht die einfallslosen Blockbuster Schuld, sondern die Filmpiraten? Für die Studios mag das die befriedigendste aller Antworten sein, doch einen Boom wie den in Frankreich mindert die Aussagekraft des Arguments. Die Faktoren sind wohl vielfältig. Steigende Ticketpreise, Konkurrenzangebote im Internet und die wirtschaftliche Krise gehören dazu, aber auch das Problem der Sequels. Das ist nicht nur qualitativer Natur. Denn langfristig gesehen spielen Fortsetzungen weniger ein, als die Originale, was bei einem von Fortsetzungen überfüllten Markt zum Problem wird. Hinzu kamen im letzten Jahr zurückgehende Besuche im ungeheuer wichtigen Bereich der Unter-24-Jährigen, für die so gut wie alle großen Filme maßgeschneidert werden. Die hohen Preise dürften dafür mit verantwortlich sein. Doch für wen dreht Hollywood Filme, wenn die Zielgruppe weniger ins Kino geht? Jedenfalls nicht für Erwachsenen, die als Zuschauersegment seit Jahrzehnten ins Hintertreffen geraten.

76 Dollar
76 Dollar (knapp 60 Euro) würde eine vierköpfige Familie in den USA für einen Film mit Getränken und Snacks bezahlen. Um die 30 Dollar würde derselbe Spaß mit Hilfe itunes daheim kosten. Eine der wichtigsten Lehren aus der oben erwähnten Studie ist die fehlende Attraktivität des Kinobesuchs. Deswegen werde ich mich im “Sequel” dieses Artikels nächste Woche mit dem Kinosterben befassen, den Gegenmaßnahmen der Betreiber und den Potenzialen, die in der Institution Kino noch stecken.

Was sind eurer Meinung nach die Gründe für die zurückgehenden Zuschauerzahlen?

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