Kaisers Narrenkappe geht diese Woche an Harry Potter alias Daniel Radcliffe. Nicht, dass er es wirklich verdient hätte. Zu mir sind keinerlei Neuigkeiten durchgedrungen, die die Verleihung dieses mit Schande behafteten Preises an einen jungen, unschuldigen Teenie-Star rechtfertigen würden.
Ich gebe es zu: Das hier ist eine persönliche Sache. Ich nutze hier meine Stellung als Instrument öffentlicher Meinungsbildung schamlos aus, um persönlichen Abneigungen freien Lauf zu lassen und endlich mal laut und deutlich sagen zu können, was ich von Harry Potter halte. Und um es gleich auf den Punkt zu bringen: Ich halte gar nichts von Harry Potter. Ich HASSE Harry Potter!
Und diese Abneigung kommt nicht von ungefähr. Nicht, dass ich jetzt hier blind mit unbegründeten Geschmacksurteilen um mich werfen würde. Ich habe aus einem ganz bestimmten Grund was gegen Harry Potter. Ich sollte vielleicht vorweg etwas über mich selbst erzählen, um genau zu sein, über mein Aussehen: Ich habe blaue Augen, schwarze Haare und eine genetische Disposition zu Kurzsichtigkeit, die mich seit fast zwanzig Jahren dazu zwingt, eine Brille zu tragen. Erratet Ihr das Problem?
Richtig: Harry Potter hat mein Aussehen geklaut! Der blöde Kerl sieht einfach verdammt noch mal genau so aus wie ich! Und während das ja noch vollkommen in Ordnung wäre – wird der Kerl dann auch noch weltberühmt und macht aus mir Original, der ich lange vor Harry Potter da war, eine billige Kopie.
Seit ich denken kann heißt es, hi-hi-hi, du siehst ja aus wie Harry Potter, hä-hä-hä, kann ich ein Autogramm haben, chr-chr-chr, wo hast du denn Ron und Hermine gelassen. Und ich bin es leid. Nicht ich sehe aus wie Harry Potter, wenn dann sieht Harry Potter aus wie ich! Ich war vorher da!
Ich erinnere mich mit Schaudern an ein Besäufnis, das meine Freunde und ich mit fünfzehn zarten Jahren am letzten Schultag im Anschluss an die Zeugnisvergabe abhielten. Bei gestiegenem Alkoholpegel kam das Gespräch auf Harry Potter. Es dauerte nicht lange, bis mir die ersten Lachsalven entgegenschlugen und ausnahmslose Einigkeit darüber herrschte, dass ich kein Mensch aus Fleisch und Blut, sondern Romanreihe von Joanne K. Rowling entsprungen sei. Ich war fünfzehn Jahre alt, in der Blüte meiner Pubertät, und bis in die letzte Faser meines Seins von einer Mischung aus Eitelkeit und Minderwertigkeitskomplexen durchdrungen – und meine Freunde verglichen mich tatsächlich mit einem Elfjährigen! Welch Scham, welch Schande!
Aber nicht nur, dass ich das Gespött meiner Freunde über mich ergehen lassen musste; es kam noch schlimmer: Da der Eine oder Andere in der Runde mit Alkohol keine allzu großen Erfahrungen und dementsprechend schon jede Art von Hemmschwelle hinter sich gelassen hatte – breitete sich in der Runde schnell die Meinung aus, dass mir eine Kleinigkeit noch fehlte, um ganz und gar auszusehen wie mein dreister Doppelgänger: die Narbe auf der Stirn. Kurzerhand beschloss ein Teil der Gruppe, dass ich jetzt unbedingt diese doofe Blitznarbe auf der Stirn tragen sollte.
Schwarze, fette Eddings wurden gezückt – und ein Pulk von betrunkenen Teenagern stürzte sich auf mich, um mich endgültig zum Harry Potter zu stigmatisieren. Nur unter Anwendung brutalster Gewalt konnte ich mich gegen die Wüstlinge zur Wehr setzen – letztendlich aber mit Erfolg. Trotz minutenlangem Gerangel hatten sie es nicht geschafft, mir eine Blitznarbe auf die Stirn zu kritzeln. Stattdessen prangten auf meiner Stirn breit und leuchtend die schwarzen Spuren des Kampfes, und ich fragte mich ernsthaft, ob eine sauber gezeichnete Blitznarbe da nicht vielleicht doch besser gewesen wäre.
Das war nur eines von vielen Ereignissen, die den ewigen Vergleich mit Harry Potter in mir als Kindheits-Trauma zurückgelassen haben. Lange genug habe ich gewartet, ein trauriges Schattendasein als billiges Harry-Potter-Imitat geführt – und endlich ist die Zeit der Rache gekommen. Ich sitze an der Quelle der Macht über die Meinungsbildung und hämmere meine Rache in die Tastatur und in die Welt hinaus: Harry Potter bekommt die Narrenkappe der Woche! Oh süße Genugtuung, oh süßer Friede nach gewonnenem Krieg!