Inspektor Barnaby & die Abgründe ländlicher Idylle

29.01.2013 - 08:50 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
John Nettles ist Inspektor Barnaby
edel motion
John Nettles ist Inspektor Barnaby
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Inspektor Barnaby ist das Fish & Chips des britischen Fernsehens. Keine Krimiserie verkörpert das Englischsein oder zumindest die kontinentale Vorstellung davon so gut wie die Midsomer Murders, denen ich heute mein Herz für Serie widme.

Wenn ich eine Serie auswählen müsste, die klassisches Fernsehen in Perfektion verkörpert, dann wäre es Inspector Barnaby. Natürlich freuen sich die modernen Serienfans ganz doll über Season Arcs, Cliffhanger und eine an Dostojewski gemahnende Erzähldichte. Bügelserien sollten allerdings auch im 21. Jahrhundert nicht verachtet werden und genau das sind die Midsomer Murders (so der Originaltitel): Wir können bei den mittlerweile 94 Episoden an jeder Stelle einschalten und wissen in kürzester Zeit, wer, wann, warum, vielleicht gemeuchelt wurde. Mein Herz für Serie geht deswegen heute an den unvergleichlichen Inspektor Barnaby.

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Schon das Inspektor Barnaby-Theme! Was könnte ich alles über die einprägsame Melodie schreiben, die nach dem ersten Mord stets die gemütlichen Landschaftsaufnahmen der fiktiven Grafschaft Midsomer untermalt. Als ich das Main Theme von Jim Parker zum ersten Mal gehört habe, dachte ich, dass das ZDF seinen Sonntag mit einem Akte X-Verschnitt verziert. Irgendwie unheimlich und morbide klingen die auf einem Theremin gespielten Töne, die uns in die oberflächlich so beschauliche Welt von Badger’s Drift, Upper Warden und natürlich Lower Warden entführen sollen. Der Charme der Serie entsteht aus genau dieser Spannung. Während das Privatleben des Kommissars Tom Barnaby (John Nettles) so kleinbürgerlich putzig gerät, wie nur denkbar, verstecken sich in den Häusern seiner Nachbarn psychopathische Sonderlinge, die manchmal zur Waffe (oder Sense) greifen.

Ausgerechnet der Pantoffelheld Barnaby durchschaut die Pervertierungen der Verdächtigen sofort. Er ist kein von Selbstzweifeln oder persönlichen Katastrophen geprägter Ermittler und nicht im geringsten verhaltensauffällig. Selbst seine Assistenten bleiben darin verschont und fallen schlimmstenfalls durch die Missachtung von Verkehrsregeln auf. Während viele Konkurrenten von der Insel (ob Sherlock, Heisser Verdacht oder Hautnah – Die Methode Hill) mehr Zeit beim Psychiater als am Tatort verbringen (sollten), ist Tom Barnaby ein rundum angenehmer Geselle. Sein Privatleben gerät allerhöchstens durch den neuen Freund seiner Tochter Cully (Laura Howard), ein fragwürdiges Menü seiner Frau Joyce (Jane Wymark) oder ein kleines Kätzchen in Turbulenzen. Am Ende des Tages oder des Falles kehrt wieder Ruhe ein im Hause Barnaby, als wären die verstümmelten Leichen und menschlichen Abgründe der vorangegangenen Minuten nie gewesen.

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Inspektor Barnaby ist auf eine sympathische Art bieder. Die einzelnen Episoden tauchen im Laufe ihrer schematischen Whodunnits tief ein in die Fäulnis unter der dörflichen Idylle und wühlen sich mit einem Augenzwinkern wieder aus dem Dreck. Angesichts der grässlichen Dinge, die sich die Menschen hier antun, und die in der Inszenierung sehr gern am Rande des Horrorgenres vorbeischrammen, scheint die Rückkehr in das heile Heim der Barnabys die einzig ertragbare Lösung. Wir wollen schließlich in einer Woche wieder zuschauen, wie sich die Landbewohner aus Gier, Neid, Verblendung oder plumper Geisteskrankheit gegenseitig unter die Erde bringen.

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