Ich, Arsen und Spitzenhäubchen & die Fenstertruhe

13.07.2012 - 08:50 UhrVor 12 Jahren aktualisiert
Diese beiden Damen haben nicht nur eine Leiche im Keller
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Diese beiden Damen haben nicht nur eine Leiche im Keller
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Wenn euch der Sinn nach einer schwarzen, geradezu pechschwarzen Komödie steht, dürftet ihr heute voll auf eure Kosten kommen. Mein Herz für Klassiker geht diesmal nämlich an Frank Capras furioses Meisterwerk Arsen und Spitzenhäubchen von 1944.

Arsen und Spitzenhäubchen basiert auf dem gleichnamigen Bühnenstück von Joseph Kesselring, das 1939 geschrieben und 1941 erstmals am Broadway aufgeführt wurde. Noch heute füllt es weltweit die Theatersäle und die Zwillingsbrüder Julius J. Epstein und Philip G. Epstein adaptierten nicht ohne Grund diese Geschichte, die so absurd wie genial ist, dass sie Mein Herz für Klassiker mehr als verdient: Der Theaterkritiker Mortimer Brewster (Cary Grant) hat die hübsche Pfarrerstochter Elaine Harper (Priscilla Lane) geheiratet und bevor es in die Flitterwochen geht, statten die beiden seinen Tanten Martha (Jean Adair) und Abby Brewster (Josephine Hull) einen Besuch ab. Doch der vermeintlich harmlose Aufenthalt bei den so zuckersüß scheinenden Damen wird zu einem haarsträubenden Trip.

Besonders Mortimer wird an den Rand eines Nervenzusammenbruchs getrieben, denn ein Blick in die Fenstertruhe von Martha und Abby hat den Leichnam eines gewissen Mr. Hoskins zu Tage gefördert. Und zu Mortimers Entsetzen wissen die beiden darüber längst Bescheid. Sie selbst haben den Mann ins Jenseits befördert. Im Keller liegen bereits elf weitere tote Herren, die die Damen mit Holunderbeerwein vergifteten, der mit Arsen, Strychnin und einer klitzekleinen Prise Zyankali versetzt war. Plötzlich tauchen noch Mortimers furchteinflößender, als verschollen geglaubter Bruder Jonathan Brewster (Raymond Massey) und der Hasenfuß, Trunkenbold und Chirurgen-Scharlatan Dr. Herman Einstein (Peter Lorre) auf, die die Leiche eines Mr. Spinalzo verschwinden lassen wollen. Die Situation droht zu eskalieren…

Warum ich Arsen und Spitzenhäubchen mein Herz schenkte
Vor allem dank der grandiosen Leistung von Cary Grant, der sie allerdings als Overacting kritisierte, bringt mich die rabenschwarze Komödie immer wieder zum schmunzeln. Mortimer dabei zuzusehen, wie er sich in ein hysterisches nervliches Wrack verwandelt, während seine nach außen hin mehr als harmlos wirkenden Tanten die Ruhe selbst bleiben, ist einfach köstlich. Der Cast ist aber bis in die Nebenrollen perfekt besetzt und deswegen bleibt mir zum Beispiel auch der bei den Damen wohnende Teddy (John Alexander), ebenfalls Mortimers Bruder, besonders im Gedächtnis. Der ist tatsächlich nicht ganz richtig im Kopf und müsste dringend in eine Nervenheilanstalt eingewiesen werden, weil er sich für Präsident Theodore Roosevelt hält und regelmäßig mit einer Trompete zur Attacke bläst. Die alten Damen nutzen diese geistige Umnachtung schamlos aus, da sie Teddy im Glauben lassen, er müsse den Panama-Kanal ausheben und dort ihre Leichen verscharren, da sie elendig vom gelben Fieber dahingerafft worden seien. Von so viel Skurrilität kann ich nicht genug bekommen.

Warum auch andere Arsen und Spitzenhäubchen lieben werden
Abgesehen von Cary Grant überzeugt der Film von Frank Capra vor allem durch den Kontrast, der von dem Spiel der beiden alten Damen ausgeht. Josephine Hull und Jean Adair verbinden ihre besondere Liebenswürdigkeit gleichzeitig mit Nerven aus Stahl, durch die sie ihre Opfer ohne mit der Wimper zu zucken ins Reich der Toten befördern. Für einen hohen Gruselfaktor sorgt außerdem die an Frankenstein angelehnte Rolle des Jonathan Brewster (Boris Karloff spielte diese Figur in der Original-Bühnenfassung der Geschichte und war auch ihr Produzent und Geldgeber): Als weltweit gesuchter Serienmörder hat er sich bereits mehreren OPs unterzogen, was zur völligen Entstellung seines Gesichts führte und uns kalte Schauer über den Rücken jagt. Zusammen mit dem wie immer grandiosen Peter Lorre sorgt das Gespann also für die nötige Spannung – vor allem dann, als auch noch Sergeant Patrick O’Hara (Jack Carson) ins Haus kommt, der sich mehr für seine Theaterleidenschaft interessiert als für die dubiosen Vorfälle im Hause Brewster.

Warum Arsen und Spitzenhäubchen einzigartig ist
Der Schlusssatz des wartenden Taxifahrers (Ich bin eine Teekanne!) verdeutlicht vielleicht am besten den Irrsinn, den Arsen und Spitzenhäubchen versprüht und der einfach ansteckend ist. Der Film lässt sich irgendwo zwischen hyperaktiver Screwball-Comedy und tiefschwarzer, makaberer Komödie einordnen. Was den Film so sympathisch macht, ist dabei die Tatsache, dass der Wahnsinn nie ziellos ausufert, sondern er von Frank Capra immer bewusst und wirkungsvoll eingesetzt wird. Die immer skurriler werdenden Wendungen verleihen dem zeitlosen Klassiker seinen Charme und machen ihn damit zu etwas ganz Besonderem. Dass Mortimer am Ende herausfindet, dass er doch nicht mit den Brewsters verwandt ist, setzt dem Ganzen dabei noch das krönende I-Tüpfelchen auf.

Warum Arsen und Spitzenhäubchen die Jahrzehnte überdauerte
Der Kontrast zwischen bürgerlichem Familienidyll und blankem Horror erzeugt eine verrückt-schaurige Atmosphäre und lässt kaum Vergleiche zu anderen Filmen zu. Die Dialoge sind pointiert und das obwohl sich die Produzenten an den Hays Code (bzw. Production Code) halten mussten, der zwischen 1934 und 1967 für US-amerikanische Produktionsunternehmen verbindlich war. Einige ‘verwerfliche’ Szenen, die Joseph Kesselring in sein Stück eingebaut hatte, mussten deshalb für den Film gestrichen oder abgeändert werden. Geschadet hat es ihm allerdings nicht. Vor allem auch durch sein Licht- und Schattenspiel kann der Spielfilm glänzen, denn Capra wechselt mühelos hin und her zwischen Kameraeinstellungen, die sich besonders bei den Szenen mit Jonathan Brewster nicht hinter dem klassischen Gruselkino verstecken müssen, und jenen, die im Gegensatz dazu eine schwungvolle Leichtigkeit suggerieren. Zurecht ist Arsen und Spitzenhäubchen deshalb ein wahrer Evergreen und einer meiner persönlichen Lieblinge.

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