Hollywoods Oscar-Geschmack bleibt überraschend

28.09.2010 - 08:50 Uhr
In ihren Augen
Camino Filmverleih
In ihren Augen
Diese Woche startet In ihren Augen in den deutschen Kinos. Das argentinische Melodram setzte sich bei der diesjährigen Oscarverleihung gegen Das weisse Band und Ein Prophet durch und konnte den Preis für den Besten fremdsprachigen Film gewinnen. Zurecht?

Der Oscar gilt nach wie vor als das Nonplusultra der weltweiten Filmpreisverleihungen. Die wichtigste Auszeichnung bildet bei der stets im glamourösen Rahmen ausgetragenen Oscar-Zeremonie der Preis für den Besten Film des Jahres – oder wie es eher heißen müsste: der beste amerikanische Film des Jahres. Den Gewinner dieses Preises automatisch als weltweit besten Film zu bezeichnen, wäre doch mehr als vermessen. Schließlich produzieren andere Länder auch sehr gute und oftmals sogar noch bessere Filme als die Amerikaner. Deshalb müsste der Preis für den Besten fremdsprachigen Film eigentlich auf mindestens der gleichen Stufe wie sein amerikanisches Pendant stehen, wenn nicht sogar höher bewertet werden, denn beim einen werden nur die Filme aus einem einzigen Land geehrt – beim anderen aus der ganzen restlichen Welt.

Vorherige Preise und Favoritenrollen zählen nicht
Dass sich die Academy an diesem Punkt nicht stört, ist klar – schließlich ist die Oscarverleihung noch immer eine amerikanische Preisverleihung, auch wenn ihr weltweit die größte Aufmerksamkeit zukommt. Deshalb ist es für die Filmemacher aus der ganzen Welt nach wie vor eine Ehre, für den begehrten Oscar nominiert zu werden. Allerdings müssen auch die fünf glücklichen Auserwählten jedes Jahr feststellen, dass die Academy – wie auch der DFB-Pokal – ihre eigenen Gesetze hat und die ganze Sache etwas problematisch ist. Vorher errungere Preise und Favoritenstellungen zählen im entscheidenden Moment gar nichts, wie wiederholt im Jahr 2008 deutlich wurde: Damals galten Die Klasse und der israelische Animationsfilm Waltz with Bashir als große Favoriten. Hollywood jedoch ignorierte die internationalen Lobeshymnen auf die beiden Cannes-Gewinner und zeichnete das unscheinbare japanische Drama Nokan – Die Kunst des Ausklangs aus.

Argentinisches Melodram schlägt die namhafte Konkurrenz
Auch im Oscar-Jahr 2010 sorgte die Auszeichnung für den Besten fremdsprachigen Film für überraschte Gesichter im Kodak Theatre in Los Angeles. Im Vorfeld wurden die beiden jeweils in Cannes ausgezeichneten Siegerfilme Das weiße Band – Eine deutsche Kindergeschichte und Ein Prophet als große Favoriten auf den Award gehandelt. Gewonnen hat mit dem argentinischen Melodram In ihren Augen allerdings ein Film, der vorher nur in seiner Heimat für Furore gesorgt hatte. Damit hat sich die Academy sicher den zugänglichsten Film aus der Reihe der Nominierten ausgesucht. Das Melodram von Juan José Campanella erzählt unter dem Deckmantel einer Kriminalgeschichte von einer romantischen, aber unvollendeten Liebe, die erst Jahre später wieder neu zu blühen beginnt. Ein pensionierter Gerichtsbeamter kommt nicht über einen eigentlich geklärten Mordfall aus der Vergangenheit hinweg und verarbeitet seine Erinnerungen in einem Roman. Dabei kommt auch wieder die unerfüllte Liebe zu seiner ehemaligen Vorgesetzten in ihm hoch, der er nach all den Jahren noch immer nachtrauert.

Konservative Geschichte nach Hollywoods Geschmack
In ihren Augen ist ein clever gestricktes Drama, das teils in Rückblenden eine ergreifende Liebesgeschichte erzählt – garniert mit zahlreichen Facetten aus den unterschiedlichsten Genres, vom Kriminalfilm über Film noir bis hin zur Komödie. Die Darsteller agieren in herausragender Manier, die Kamera liefert teilweise brillante Bilder, die Inszenierung ist grandios: Humor, Spannung und Dramatik wechseln sich bis zum unerwarteten Finale in wohldosierten Mengen ab. Dabei durchbrechen die Bilder niemals eine Tabuzone – sie bleiben stets gefällig. Sogar eine grausam zugerichtete Frauenleiche wirkt wie ein passendes Accessoire in einem gesamtheitlich eindrucksvollen Bilderrausch. Diese Attribute machen In ihren Augen zu einem Film, der den gängigen Maßstaben in Hollywood gerecht wird.

Die Konkurrenz bleibt auf der Strecke
Das weiße Band – Eine deutsche Kindergeschichte mit seinen schwarz-weißen Bildern und ruhigen Erzählweise fiel dagegen wohl etwas zu intellektuell aus, um von der Academy für den Gewinn der Trophäe in Betracht gezogen zu werden. Auch der französische Thriller Ein Prophet aus Frankreich mit seiner schonungslosen Schilderung vom Knastalltag will nicht so richtig in das Gewinnerschema der Academy passen. Von Gewalt geprägt ist auch das Leben in einem Viertel von Tel Aviv, wo sich Muslime, christliche Araber und Juden tagtäglich bekriegen. Das israelische Drama Ajami schildert diese trostlose Situation ebenfalls auf radikale Weise, ohne die Aussicht auf Hoffnung zu versprühen – sicherlich nicht nach dem Geschmack Hollywoods. Das peruanische Drama Eine Perle Ewigkeit wiederum konnte zwar einige Preise in der lateinamerikanischen Filmwelt sowie den Goldenen Bären bei der Berlinale gewinnen, aber für Hollywoods Augen präsentierte sich der Film von Claudia Llosa schlicht und einfach zu exotisch und unangepasst.

Die Krux zum Schluss
Als kleine Randnotiz dürfte noch hinzuzufügen sein, dass Juan José Campanella, der Regisseur von In ihren Augen, bereits seit 20 Jahren in Los Angeles wohnt und dort unter anderem TV-Serien wie Law & Order und Dr. House inszeniert. Demnach ging der Oscar zwar noch Argentinien, blieb aber dennoch in Hollywood. Diese Begebenheit könnte allerdings auch nur ein großer Zufall sein, der nicht die Qualität des Gewinnerfilms schmälern sollte. In ihren Augen ist ein großartiger Film, der einen Kinobesuch auf jeden Fall wert ist. Wo ihr den Film sehen könnt, erfahrt ihr in unserem Kinoprogramm. Im Trailer könnt ihr euch außerdem ein erstes Bild machen:

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