Die Bürgersöhne von der RAF

09.03.2011 - 08:50 Uhr
Die dritte Generation
Kinowelt Arthaus
Die dritte Generation
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Die RAF bleibt auch weiterhin Stichwortgeber fürs deutsche Kino: Morgen startet Andres Veiels Wer wenn nicht wir – Thomas Groh empfiehlt euch aus diesem Anlass die DVD von R.W. Fassbinders böser RAF-Terror-Groteske Die Dritte Generation.

Morgen startet Wer wenn nicht wir im Kino, der erste Spielfilm von Andres Veiel, der bislang nur Dokumentarfilme gedreht hat. Wie in Black Box BRD thematisiert er auch hier die Geschichte der RAF. Im handelsüblichen Format eines Biopics erzählt er darin von den Urszenen der RAF und skizziert den Ursprung des Terrorismus in der BRD aus der Beziehungskrise von Bernward Vesper und Gudrun Ensslin. Schon handwerklich gut gemacht, aber, wie ich finde (hier meine Berlinalekritik), insgesamt eher etwas uninteressant.

Ein Land versinkt im Wahnsinn

Natürlich gibt’s in der deutschen Filmgeschichte weitaus spannendere und interessantere Filme zum Thema RAF – sehr zeitnah etwa entstand 1979 Die dritte Generation von Rainer Werner Fassbinder. Der doch arg verkopft schwerfälligen Essayistik des kurz zuvor entstandenen Omnibusfilm Deutschland im Herbst, zu dem er selbst einen der besten Beiträge beisteuerte, setzt er hier ein wahnwitzig paranoisches Panoramabild entgegen: Der Titel bezieht sich auf die (damals noch zukünftige) dritte Generation der RAF-Terroristen, bei Fassbinder ein Haufen gelangweilter Bürgersöhne, die sich sinnlos in Revolte üben und dabei zusehends dem blühenden Blödsinn verfallen.

Weite Teile des Films sind unterlegt mit Medienrauschen: Nachrichtenfetzen aus dem Radio, überall laufen die Fernsehgeräte, sogar die ersten Videorekorder gibt es schon und im Büro steht der Heimcomputer bereit. Ein Land unter Dauerberieselung, unkonzentriert und hysterisch. Während in den Chefetagen darüber sinniert wird, wie man sich einen neuen Terrorismus heranzüchten kann, um mehr Sicherheitstechnik zu verkaufen, entwickelt sich unter der Schopenhauer-Chiffre “Welt als Wille und Vorstellung” im Herzen des saturierten Bürgertums eine ziellose Rebellion.

Banküberfall im Clownskostüm

Die Rebellion mündet alsbald in den totalen Surrealismus. Höhepunkt ist ein grotesker Banküberfall während der Karnevalszeit – durchgeführt in kompletter Faschingsmontur. Der Terrorist als Clown in einem Land, das im Wahnsinn zu versinken droht. Fassbinder selbst nennt seinen gallig-bösen Film im Vorspann eine “Gesellschaftskomödie in 6 Teilen” – jedem dieser Teile stehen authentische Klowandzitate wie Mahnsprüche voran: Auf den Klowänden flüstert der deutsche Untergrund fröhlich vor sich hin.

Eine bloße Abrechnung mit einem aus der Realität gefallenen RAF-Terrorismus ist Die dritte Generation indessen nicht: Jedes Land bekommt den Terrorismus, den es sich verdient – so jedenfalls scheint hier Fassbinders zynisches Motto zu lauten. Gegen eher etwas biedere RAF-Biopics ist dieser Zynismus das beste, zumindest aber von mir wärmstens empfohlene Antidot!

Eine solide Edition

Kinowelt bringt den Film in einer sehr soliden DVD. Schön ist zum Beispiel eine (allerdings etwas schnell durchlaufende) Slideshow mit zahlreichen Impressionen von den Dreharbeiten. Sehr sehenswert geraten ist ein über 20-minütiges Feature mit Juliane Lorenz, Fassbinders damalige Lebenspartnerin und Cutterin. Die erzählt darin von den relativ haarsträubenden Produktionsbedingungen – mit verhältnismäßig wenig Budget entstanden, war die Produktion von Die dritte Generation entbehrungsreich, aber lohnenswert. Bis heute ist der Film, wie Juliane Lorenz sagt, kaum im Fernsehen gezeigt – er war zu dicht am Geschehen dran. Auch wegen solcher Statements und Einblicke ist das Gespräch ein wertvoller Splitter Zeitgeschichte.

Und hier der Trailer

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Die dritte Generation ist bei Amazon für 12,99 Euro erhältlich.

Thomas Groh lebt in Berlin, arbeitet für die Programmvideothek Filmkunst im Roderich und schreibt über Filme, zum Beispiel für die Filmzeitschrift Splatting Image, die taz und das Onlinekulturmagazin Perlentaucher. Wenn er nicht gerade sein Blog aktualisiert, verfasst er wöchentliche DVD-Kolumnen für den moviepilot, in denen er Filme von etwas jenseits des Radars empfiehlt, zuletzt etwa den Experimental-Giallo Amer, David Lynchs Elefantenmensch und zweimal ein Best-of-Berlinale (hier und hier).

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