Die Berlinale im Heimkino (1)

09.02.2011 - 08:50 UhrVor 12 Jahren aktualisiert
My Winnipeg und Wir waren niemals hier
mystorm/absolut Medien GmbH
My Winnipeg und Wir waren niemals hier
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Ab morgen richten sich die Blicke aller Filmbegeisterten wieder auf den Potsdamer Platz! Doch für viele ist die Berlinale ein Event in weiter Ferne – Thomas Groh stellt Euch deshalb einige Highlights der vergangenen Jahrgänge für das Heimkino vor.

Morgen geht’s wieder los: 10 Tage Berlinale, 10 Tage Filmeschauen am laufenden Meter und akkreditiertenfalls 10 Tage Über-Filme-Schreiben im Akkord. Auch in diesem Jahr bin ich wieder unter den glücklichen Badges-Trägern, zum immerhin schon 9. Mal: Viel habe ich da gesehen, viel auch wieder vergessen, über einiges habe ich mich geärgert, aber auch nicht wenig für mich entdeckt. Ein paar meiner schönsten Entdeckungen will ich Euch dabei gerne ans Herz legen – sofern sie denn auf DVD vorliegen (von den rund 350 jährlich gezeigten Filmen schaffen es längst nicht alle auf die silberne Scheibe). Dass ich dabei nicht gerade meine “5 schönsten Goldenen Bären” (siehe auch hier) der letzten paar Jahre vorstelle, versteht sich von selbst: Die Filme kennen wohl alle, noch ’nen Tipp braucht da kein Mensch. Viel lieber will ich diese und kommende Woche ein paar Berlinalefilme kurz vorstellen, die etwas abseits vom Blitzlichtgewitter standen.

Von Berlin nach Winnipeg

Schön, dass sich beim ersten Film gleich ein Bezug zum aktuellen Jahrgang herstellen lässt: Guy Maddin ist nicht nur Regisseur des großartigen My Winnipeg, der 2008 im Internationalen Forum (meistens die spannendste, aber auch anspruchsvollste Sektion des Festivals) lief, Guy Maddin ist dieses Jahr auch Jurymitglied unter Jurypräsidentin Isabella Rossellini. Seit den Achtziger Jahren feilt Guy Maddin an seinem Stil, indem er sich an die Ästhetik von Stumm- und Experimentalfilm anlehnt, ohne diese dabei zu simulieren. Vielmehr schafft er durch zahlreiche Verfremdungstechniken und eine exzessive Inszenierungsweise einen höchst assoziationsreichen “stream of consciousness”, in dem der neurotische Kanadier seine eigenen Traum- und Gedankenwelt in einen pulsierenden, treibenden Bilderstrom übersetzt. In My Winnipeg, laut Untertitel eine “Docu Fantasia”, setzt Guy Maddin seiner meist eingeschneiten Heimatstadt ein traumartiges Filmdenkmal: Im melancholischen, dreckig-schwarzweißen Bildertaumel erscheint die kanadische Stadt fast wie ein mythischer Ort oder wie eine mentale Landkarte, in der sich Maddins Biografie und Neurosenwelt ineinander verschränken – dazu passend: Maddins selbst eingesprochener Voice-Over zwischen Traumprotokoll und gedanklicher Abschweifung. Großartig ist auch der Auftritt der alten, mittlerweile verstorbenen Ann Savage, einer fast in Vergessenheit geratenen B-Movie-Darstellerin, ohne die Detour von Edgar G. Ulmer nur ein halb so schöner deliranter Film Noir wäre. Hier spielt sie in fiktiven Dreharbeiten zu einem Film über Guy Maddins Kindheit dessen übermächtige Mutter.

Eine sehr schöne und mittlerweile auch recht günstige DVD ist in Großbritannien bei Soda Pictures erschienen. Diese kommt mit prallen Bonusfeatures, für die allein der Kauf sich schon lohnt: Rund eine Stunde dauert das mitgefilmte Gespräch im BFI Southbank (gewissermaßen die britische Kinemathek, deren Besuch jedem filminteressierten Londonreisenden unbedingt empfohlen wird!), in dem Guy Maddin ausführlich über sein mittlerweile sehr umfangreiches Werk spricht. Dazu gibt es einen animierten Kurzfilm über Winnipeg (von Andy Smetanko) sowie mit dem Kurzfilm In Case I Disappear von Simon Aeppli den ebenfalls sehr experimentell gestalteten Gewinner des “Your Winnipeg”-Filmwettbewerbs.

Tribut an ein Berliner Subkultur-Urgestein

Wechseln wir vom verschneiten Kanada zurück ins regennasse Berlin: Seit Jahr und Tag erfreut dort die Band Mutter mit ihren Alben und Konzerten eine zwar überschaubare, aber treue Fangemeinde. Mit Wir waren niemals hier lief 2005 im Panorama ein intimes Dokuportrait über diese einzigartige und kompromisslose Undergroundband (am Schlagzeug übrigens Florian Koerner von Gustorf, Produzent von Christian Petzold und irrer Serienkiller in Schramm von Jörg Buttgereit). Das übliche Schema von Musikdokus – wie ein paar Freunde mit Gitarren und Schlagzeug auszogen, um als Kumpel vom Dienst die Bühnen dieser Welt zu erobern – wird hier schon deshalb unterlaufen, weil Mutter nun weiß Gott keine zwanghaft auf Erfolg gebürstete Combo ist. Im Gegenteil, einmal steigt ein Mitglied aus der Band aus, immer wieder rücken die Schwierigkeiten, künstlerische Integrität und eigenen Lebenslauf unter einen Hut zu bringen, in den Blick – ein faszinierender Film darüber, was es heißt, sich selbst treu zu bleiben und stetig an der eigenen künstlerischen Vision zu feilen.

Wir waren niemals hier ist bei absolutMedien in einer vorbildlichen Edition erschienen. Mit zwei Videos der Band und zahlreichen Super8-Filmen von Max Müller (Gesang) und Florian Koerner von Gustorf bewahrt die DVD auch ein Stück flüchtiger Berliner Subkulturgeschichte. Dasselbe gilt für die in einer Slideshow gesammelten Zeichnungen von Max Müller.

Mehr Berlinale-DVD-Tipps dann in einer Woche im zweiten Teil! Allen Berlinern wünsche ich ein schönes Festival!

Abschließend die Trailer

My Winnipeg ist bei play.com für 7,49 Euro erhältlich, Wir waren niemals hier bei Amazon für 15,99 Euro.

Thomas Groh lebt in Berlin, arbeitet für die Programmvideothek Filmkunst im Roderich und schreibt über Filme, zum Beispiel für die Filmzeitschrift Splatting Image, die taz und das Onlinekulturmagazin Perlentaucher. Wenn er nicht gerade sein Blog aktualisiert, verfasst er wöchentliche DVD-Kolumnen für den moviepilot, in denen er Filme von etwas jenseits des Radars empfiehlt, zuletzt beispielweise die Luxus-Buch/DVD-Edition von Billy Wilders Manche Mögen’s Heiß, die Retro-Robot-Science-Fiction Electroma von Daft Punk und Todd Solondz’ neuen Film “Life During Wartime”.

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