Eskalierender Thriller Sweetness erinnert an eine der besten Stephen King-Verfilmungen: Superfan hält Popstar im Keller gefangen

12.09.2025 - 09:37 UhrVor 20 Tagen aktualisiert
Sweetness
Elevation Pictures
Sweetness
0
1
Als buchstäblich fesselnder Thriller kommt Sweetness daher, wenn ein Superstar im Keller eingesperrt wird. Sein größter Fan will ihn reformieren und vor sich selbst retten.

Der düsteren Seite der Fankultur widmet sich beim Fantasy Filmfest 2025 aktuell der Thriller Sweetness, in dem ein Fan ihren Lieblings-Popstar im Keller einsperrt, um ihm "zu helfen". Wie in der gefeierten Stephen King-Verfilmung Misery, wo Kathy Bates als bedrohliche Verehrerin einen Schriftsteller malträtiert, treffen hier Ruhm und Idealvorstellungen düster aufeinander ... nur dass die Entführerin diesmal eine 16-jährige Schülerin ist.

Von wegen süß: Der Thriller Sweetness macht Fangirls unheimlich

Für Rylee (Kate Hallett) steht die Band Floorplan an erster Stelle in ihrem Leben. Vor allem für den norwegischen Sänger Payton Adler (Herman Tømmeraas) schwärmt die Jugendliche schon seit Jahren. Als sie ihn endlich live auf einem Konzert erleben darf, erfüllt sich ihr größter Traum. Nach dem Konzert wird sie von ihrem Musikidol mit dem Auto angefahren und Rylee muss bezeugen, dass Payton noch immer Drogen nimmt, obwohl er öffentlich etwas anderes behauptet. Durch eine Verkettung verrückter Umstände landet der Superstar bei ihr zu Hause – und da ergreift sie die Gelegenheit, ihn festzuhalten und seine Besserung selbst in die Hand zu nehmen.

Nachdem Stephen Kings Misery die Facetten toxischer Fan-Kultur aus Autorensicht beleuchtete, holt Sweetness das Thema in die Gegenwart und widmet sich dem Celebrity-Wahn aus der Sicht des musikalischen Number-One-Fans. Der angebetete Payton tritt als Harry Styles in Grunge-Optik auf und kultiviert sein Image als Bad-Boy und Mädchenschwarm mit melancholischen Piano-Balladen. Weil Paytons Musik Rylees Innersten anspricht und ihr sogar "das Leben gerettet" hat, will sie den Gefallen nun mit extremen Methoden erwidern. Und überhaupt haben sie doch so viel gemeinsam, oder?

Dabei zuzusehen, wie die Situation in Sweetness zunehmend eskaliert, macht im Spielfilmdebüt von Emma Higgins sehr viel Spaß. Von der Arbeit an Musikvideos schafft die Regisseurin den Schritt zu einem fesselnden Thriller, in dem die Heldin und die Bösewichtin ein und dieselbe Person sind.

Drohung aus Rehaugen: Sweetness zieht uns mit in den Abgrund

Die meisten von uns hatte in ihrer Jugend wohl das Poster einer angehimmelten Band oder eines Stars überm Bett. Rylees Kinderzimmer hebt ihre Bewunderung jedoch schon früh auf ein extremes Level: Die rosa Wände sind unter Stickern, Postern und ausgeschnittenen Zeitschriftbildern nur noch zu erahnen und der Raum gleicht einem Schrein. In einer zunehmend atheistischen Welt sind Celebrities die neuen Götter. Im Internet sieht die Jugendliche sich fragwürdige Tutorials dazu an, "wie man einen Mann verführt".

Newcomerin Kate Hallett (Die Aussprache) spielt diese zwischen Schüchtern- und Besessenheit schwankende Fangirl mit beeindruckender Inbrunst. In Rylees großen Augen und prallen Wangen steckt noch viel Kindliches, auch wenn sie ihrem Erwachsensein mit dunkler Schminke und abgerissener Kleidung hinterherjagt. Gerade weil die Grenzen im Teenager-Dasein aber nicht immer trennscharf verlaufen, funktioniert die wahnhafte Verfolgung ihres Ziels so gut. Naiv glaubt sie wirklich daran, dass sie den Popstar im Keller zur Not mit Gewalt auf den Weg der Tugend zurückführen kann.

Vor allem die Szenen, in denen Rylee mit der Realität konfrontiert wird, dass Payton nicht das Idol ist, das sie sich all die Jahre ausgemalt hat, beeindruckt die Jungdarstellerin: Auf ihrem Gesicht kollidiert die Enttäuschung mit dem Wunschtraum, bis sie sich die Illusion wieder zurechtbiegen kann, dass der drogenabhängige Musiker Mitte 20 nur auf ihre Rettung gewartet hat. Warum sonst hätte das Schicksal ihre Begegnung eingefädelt?

Ein einsilbiger Polizisten-Vater (Justin Chatwin) oder eine engagierte potenzielle Stiefmutter (Amanda Brugel) haben in dieser Traumwelt keinen Platz, höchstens als unwissende Lieferanten von Handschellen und Dienstwaffen. Wir dürfen derweil miterleben, wie das unschuldige Mädchen mit hehren Motiven in immer düsterere Abgründe steigt – und wissen beim Mitfiebern nicht, ob wir hoffen sollen, dass sie endlich aufwacht oder besser geschnappt wird.

Thriller über Celebrity-Wahn: Sweetness knöpft sich Idole und ihre Fans vor

An der Oberfläche ist Sweetness ein Thriller, der vor allem durch seine düsteren Wendungen bei Stange hält, wenn man sich bei jedem neuen Twist fragt, wie weit der Film noch gehen wird. Darunter schlummert aber ein mal bissiger und mal nachdenklicher Kommentar auf die Fan-Kultur.

Wenn Menschen sich durch ihre geteilte Leidenschaft für eine Sache oder Person finden, können geteilte Vorlieben Gemeinschaft erschaffen. Anfangs sind Rylee und ihre beste Freundin Sidney (Aya Furukawa) als Floorplan-Fans auf einer Wellenlänge. Aber wenn echte Beziehungen gegen solche eingetauscht werden, die nur einseitig im eigenen Kopf bestehen und reale Verbindungen dadurch leiden, wohnt darin eine Gefahr – auch wenn diese sie für die wenigsten mit einem Popstar im Keller endet.

Insofern transportiert Sweetness am Puls der Moderne eine sanfte Moral im Gewand eines drastischen Thrillers. Jede Lesart des Films liegt am Ende sowieso im Auge des Betrachters: Aus dem richtigen Blickwinkel kann schließlich selbst der flachste Songtext wahnsinnig tiefsinnig wirken und Leben verändern. Mit nicht jedem Twist des Films muss man mitgehen, aber unterhaltsam ist das Seherlebnis allemal. Nicht nur für Stephen King-Fans.

Mehr vom Fantasy Filmfest 2025:

Wir haben Sweetness in Berlin auf dem Fantasy Filmfest 2025 gesehen. In der kommenden Woche läuft er im Rahmen des Genre-Festivals auch noch in anderen Städten Deutschlands. Ein weiterer deutscher Start ist darüber hinaus noch nicht bekannt.

Das könnte dich auch interessieren

Angebote zum Thema

Kommentare

Aktuelle News