Eine Mauer ohne Steine in Der geteilte Himmel von Konrad Wolf

06.11.2009 - 14:01 Uhr
Der geteilte Himmel
Suhrkamp
Der geteilte Himmel
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Der DEFA-Klassiker zeigt uns eine große Liebesgeschichte. Doch die Liebe zerbricht schließlich an den unterschiedlichen Lebenskonzepten in Ost und West. Ein Meisterwerk zwischen Idealismus und Kritik.

Schon bevor die Mauer errichtet wurde, war Deutschland in zwei Hälften. Es war eine Teilung der Lebenskonzepte, der Ideale, der persönlichen Erfahrungen. Ein Film, der diese innere Zerissenheit wie kein anderer ohne Pathos und ideologischer Einseitigkeit in wunderbare Bilder fassen kann, kommt ausgerechnet aus der DDR. Wir werfen einen genaueren Blick auf den DEFA-Klassiker Der geteilte Himmel von Konrad Wolf. Darin wird der Mauberbau nicht als politischer Akt, sondern als gesellschaftliche Teilung dargestellt.

Der geteilte Himmel profitierte in seinem Entstehungsjahr 1964 von einer vorrübergehenden liberalen Phase der DDR-Kulturpolitik und wurde daher trotz seiner kritischen Töne zum großen Erfolg. Er ist einer der wenigen DEFA-Filme, welche Misstände in der DDR offen anprechen. Doch heute überzeugt der Film vor allem durch seine künsterlische Qualität. An vielen Stellen kann er für die poetische Sprache Christa Wolfs aussagekräftige Bilder finden, die dem Film seine melancholische Grundstimmung geben. Außerdem ist nicht zu übersehen, wie sich Der geteilte Himmel der Bildsprache der Nouvelle Vague bedient: Ungewöhnliche Kamera-Perspektiven, starke Bildkontraste, Splitscreens und eine die Handlung kommentierende Symbolsprache kennzeichnen den Film. Diese West-Orientierung gibt dem Ostblock-Streifen einen geradezu französischen Flair. Dadurch ist Der geteilte Himmel ein einzigartiges Beispiel für die hohe Filmkunst der DEFA auf internationalem Niveau.

Der geteilte Himmel, welcher auf der gleichnamigen Erzählung von Christa Wolf basiert, erzählt die Geschichte von Rita Seidel (Renate Blume). Diese kommt noch vor dem Bau der Mauer zum Lehramt-Studium nach Halle an der Saale und arbeitet nebenbei im Waggonwerk. Sie lernt den 29 jährigen Chemiker Manfred (Eberhard Esche) kennen und lieben. Kurz darauf zieht sie mit dem melancholischen Einzelgänger in eine kleine Dachgeschosswohnung. Das klingt wie der Beginn einer wundervollen Romanze, welche durch starke Bilder, überzeugende Charaktere und eine wunderbare Sprachpoesie begeistern kann.

Doch wie immer im Leben kommt die Politik dazwischen, denn das Liebespaar stellt auch eine Metapher für die beiden deutschen Staaten dar. Im Waggonwerk sind die Probleme nicht zu übersehen. Es gibt eine korrupte Leitung, unmotivierte Arbeiter und Material-Mangel. Die Zustände ändern sich erst, als der Werkleiter von einem Besuch in “Berlin-W” nicht zurückkehrt. Nachdem dessen Nachfolger Wendland (Hilmar Thate) seine Arbeit aufnimmt und es auch dem idealistischen Brigadeleiter Meternagel (Hans Hardt-Hardtloff) gelingt, die abtrünnigen Arbeiter neu zu begeistern, schöpft Rita neuen Optimismus.

Dieser Erfahrung Ritas steht Manfreds Kampf gegen Windmühlen gegenüber. Er kann nicht recht an den politischen Wechsel und soziale Utopien glauben. Er investiert daher seine gesamte Kraft in die Entwicklung eines neuen chemischen Verfahrens. Obwohl dieses dem alten Verfahren objektiv überlegen ist, scheitert die Umsetzung an bürokratischen Widerständen. Dies ist für Manfred der letzte Beweis für die festgefahrenen Zustände in der DDR, die seine Selbstverwiklichung verhindern. Daher beschließt er, in den Westen zu gehen. Rita kann und will ihm nicht folgen, da sie sich im System der DDR zuhause fühlt.

Es ist kein Zufall, dass das Ende der Beziehung zwischen beiden in den August 1961 fällt, den Monat des Mauerbaus. Denn für Emotionen bleibt kein Platz, wenn die verschiedenen Lebensentwürfe aufeinander prallen. Daher besiegelt der letzte Dialog zwischen beiden auch das Ende der Romantik: “Früher suchten sich die Liebespaare vor der Trennung einen Stern, an dem sich Abends ihre Blicke treffen konnten. Was sollen wir uns suchen? – Den Himmel wenigstens können sie uns nicht zerteilen. – Doch. Der Himmel teilt sich zu allererst.” Der Mauerbau erscheint als Symptom eines ideellen und persönlichen Konflikts, der auch nach dem Ende der Mauer nicht automatisch überwunden wurde. Oder, wie Manfred sagt: “Egal was für eine Revolution gerade vor oder hinter uns liegt: Charaktere sind doch dauerhafter als Regierungssysteme.”

Wie unvoreingenommen und kritisch Der geteilte Himmel die beiden Systeme gegeneinander abwägt, wird allein daran deutlich, dass er sowohl von Ost- als auch von West-Seite der Ideologiekritik ausgesetzt war. Der Osten erscheint als ein System, das Erfüllung in der Gemeinschaft durch Integration anstrebt, während der Westen durch persönliche Herausforderungen die individuellen Talente und Besonderheiten der Menschen zur Geltung bringen kann. Beide Konzepte, das zeigt der Film, haben auch ihre Schattenseiten. So berichtet Manfred begeistert von den Fortschritten in einem Westdeutschen Werk. IG Farben sei “ein eingespielter Apparat, spuckt aus, was ihn hemmt.” Darauf erwidert sein Kollege: “Was mich betrifft, lieber kritisiert als ausgespuckt.” Doch auch auf die Wunden des Ostens legt der Film seinen Finger. So werden politische Intrigen und die auch in der DDR existierenden Überreste der NS-Vergangenheit thematisiert. Selbst die Republikflucht und die “Parteihaltung” zu ihr werden scharf kritisiert. Lediglich die West-Episode während Ritas Aufenthalt in Berlin polemisiert gegen die BRD: Ständig hupen im Hintergrund grundlos Autos und die Kellner im Cafe wirken wie Roboter. Aber ganz ohne Kapitalismus-Schelte ging es in einem DEFA-Film leider nicht.

Übrigens ist erst vor Kurzem eine neue DVD-Edition mit umfangreichem Zusatzmaterial bei der Filmedition Suhrkamp erschienen.

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