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Ein einziger Sinnesrausch

01.02.2016 - 18:10 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Krisen: Sie zeigen uns, was es heißt Mensch zu sein
Senator Film
Krisen: Sie zeigen uns, was es heißt Mensch zu sein
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Wir befinden uns in einer Zukunftswelt, wo eine mysteriöse Pandemie dafür sorgt, dass die Sinne der Menschen nach und nach schwinden. In all der Verzweiflung des bevorstehenden Endes der Menschheit begleiten wir zwei Figuren bei ihrem persönlichen Kampf in der ausweglosen Situation zu bestehen. Achtung Spoiler zum Film "Perfect Sense"!

Es kommt immer darauf an, wie man Weltuntergang definieren möchte. Für manche ist der Verlust des Geldes oder das Ende einer partnerschaftlichen Beziehung ein Weltuntergang,- in persönlicher Hinsicht. Es existieren also viele kleine Weltuntergänge, die individuell von jedem anders empfunden werden. Jedoch können wir diese überleben, denn auch wenn es subjektiv gesehen den Untergang einer Welt bedeutet und für uns emotional real erscheint, so ist es weltlich gesehen nicht von Bedeutung, denn der blaue Planet existiert nach diesem Untergang weiter.

Wenn man im optimistischen Sinn den Weltuntergang betrachtet, verheißt dieser nicht unbedingt nur schlechtes. Man könnte es auch Evolution nennen, denn genau genommen ist er nichts anderes als die Wiedergeburt einer neuen Welt. Das Alte vergeht, das Neue beginnt. Ein Kreislauf von Tod und Wiedergeburt.

Ich möchte mich hier primär auf den emotionalen und persönlichen Kampf der Hauptfiguren in einem Endzeitszenario fokussieren. Der persönliche Untergang erfährt globale Auswirkungen und so wird der persönliche letztendlich zum weltlichen Untergang.

(Manche werden vermutlich Textpassagen aus meinem Kommentar zum Film wiederkennen, allerdings wurde der gesamte Text nochmals modifiziert und erweitert. Also dürfte für jeden Leser etwas Neues dabei sein.)

Wer den Film Perfect Sense noch nicht gesehen hat, sollte jetzt nicht mehr weiterlesen.

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Wir sind es gewohnt den normalen Alltag zu (er)leben. Wir gleiten am Morgen aus unseren Betten, verrichten unsere Arbeit, decken unseren täglichen Bedarf an Nahrung und Sonstigem und beenden den Tag, wenn wir uns in die Hände der Energiegebenden Ruhe der dunklen Nacht begeben.

Was ist aber, wenn dieser Ablauf durch ein selbst entfachendes Chaos durchbrochen wird?


Von Trauer überwältigt, beweinen die Menschen all ihre Verluste.

Der Tod einer Liebesbeziehung, die Mutter, die den Kampf gegen ihre jahrelange Krankheit verlor, ein Wunsch, der unerfüllt blieb. Der Schmerz vereint sich zu einem gemeinsamen Gefühl der Beraubung. Doch was wir danach missen ist weit aus prekärer: Der Duft von Kaffee am Morgen, der uns leicht bitter in der Nase kitzelt und uns gänzlich aus dem Traum der Nacht weckt, Regen, frisch und belebend oder die bittersüße Versuchung von Schokolade, die uns oft aus unserem Sorgenkreislauf befreite.

Die Trauer überkommt uns

Die damit verbundenen Erinnerungen versinken langsam im tiefen, klaffenden Schlund des Meeres. Sie werden Teil der vergessenen Vergangenheit. Der Zimtgeruch der frisch gebackenen Lebkuchen verschwindet genauso wie der Geruch beim Betreten eines Arztzimmers, dass uns beim neuerlichen Besuch immer einen kalten Schauder über den Rücken gejagt hatte. Die Reminiszenz verblasst im dichten Nebel, für immer.

Wir suchen Gründe für unsere missliche Lage der unumgänglichen Veränderung auf der Welt. Ist es der Tag der Sünde, eine ökologische Apokalypse oder doch eine inszenierte Terrorattacke? Doch auch wenn wir uns für eine entscheiden, letzten Endes kann sie uns bei der Bewältigung unseres Verlustes nicht helfen. Sie ist lediglich der Wahn der Menschen, für alles eine Lösung zu finden, doch manchmal ist die Logik fehl am Platz, sowie bei der Liebe.


Erst kommt die Angst, dann die Völlerei.

Es verschwinden das Aroma, die Würze, der Wohlgeruch, die Geschmacksnote. Auf Wiedersehen saure Zitrone, mach's gut bittersüße Schokolade. Jetzt schmeckst sogar du, vom Wasser nasse Seife, genauso wie du, weich, zarter Badeschaum, denn das Gefühl der Konsistenz im Mund ist nun zentral. Die Seife zergeht auf der Zunge, wie Zuckerguss, während der Schaum an Sahne auf einer Torte erinnert. Es bleibt nur das vage Andenken an Geschmack, bis es alsbald anderen, nun vorangingen Empfindungen weichen muss.

Die Liebe als letzte Zuflucht
Wut, Jähzorn, Hass.

Dann folgt der plötzliche Anflug von ungebändigter Raserei. Wir werden zum Stier, der durch die gewaltige, innerliche Wut erblindet, dem roten Tuch des Matadors hinterher jagt. Das wilde Tier in uns, es ist erwacht. Geblendet durch das überlagerte Gefühl, das an Mordlust grenzt, zerstören wir alles, was um uns herum ist, denn es ist auf einmal im Weg. Der Verlust der Töne ist die Folge.

Musik, die unsere Gefühlslagen perfekt untermalte, die in uns Glücksgefühle herauf beschwor, unsere Trauer vertiefte, wenn wir einen Moment des Selbstmitleids erleben wollten, die Leere des Augenblicks mit etwas Schönem füllte, oder einfach nur Ablenkung bot, damit die Wartezeit nicht so lang erschien. Das Geräusch von am Boden aufkommenden Regentropfen, das Zwitschern der Vögel am Morgen, dass uns musikalisch weckte, der Klang von Weingläsern, verstummt auf ewig. Ebenso die Erinnerung an die Stimme deiner Mutter, als sie dir ein Gute-Nachtlied vorsang, das zarte Flüstern deines Geliebten nach dem Aufwachen oder das Schnurren deines roten Katers. Die Geräusche, Töne und akustischen Merkmale gesellen sich in Kürze zu den verlorenen Erinnerungen und sagen auf nimmer wohl.

Chaos als Folge der Raserei

Manche geben sich ihrer Wildheit hin, denn es scheint nun alles egal zu sein. Die Moral verfliegt genauso wie das bisherige, gesicherte Leben. Wir leben all die auferlegten Sünden, brechen Regeln und Tabus, denn wir haben keine Angst vor den Konsequenzen. Andere jedoch spalten sich von dieser Lebensweise ab und versuchen auf der Sonnenseite zu bleiben, in dem sie weiterhin an die Hoffnung glauben und ihr bisheriges Leben dem gewohnten Muster gleich bestreiten.


Und dann, plötzlich, weicht die Dunkelheit der Helligkeit des Lichtes. Ein Lichtblick, ein Moment des Sieges. Das Glücksgefühl befördert uns in ungeahnte Höhen, es beflügelt uns und lässt uns auf Wolken schweben. Wir erleben den sonnigsten Moment seit langem, tanzen auf den Straßen, umarmen fremde Menschen, singen und jauchzen vor Glück, küssen unsere Liebsten. Was wir nun brauchen, ist die Reinheit der Liebe. Wir kehren zurück zu unseren Familien, Freunden und Liebespartnern.

Ein Moment, um zu sein, ein Augenblick um sich als Ganzes zu fühlen. Es scheint als existiere eine intime Verbundenheit zu der Welt, wie wir sie niemals zuvor spürten. Das ist es, was uns Liebe immer wieder geben kann, Geborgenheit, Harmonie, eine unvergleichliche Möglichkeit eins mit der Welt zu sein.

Das letzte Hochgefühl ist das süssese
It's dark now. But they feel each others' breath. And they know all they need to know. They kiss. And they feel each others' tears on their cheeks, caressing each others' faces, bodies close together, eyes closed, oblivious to the world around them. Because that is how life goes on. Like that.

Es scheint als hätten wir das Glück gefunden. Wir verschwinden friedlich, an den gegenwärtigen Lichtblick klammernd niemals allein zu sein, mit kühler, melancholischer Poesie in der Unwirklichkeit des Universums. Was bleibt ist der Gedanke und Glaube an die Hoffnung, die unser Rettungsanker vor dem Nichts zu sein scheint.


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Hoffnungsschimmer

Chaos regiert

Regisseur David Mackenzies Version der Apokalypse ist wesentlich hoffnungsvoller, als übliche Szenerien, denn er zeigt uns nicht nur, was durch das Abhandenkommen der Sinne verloren geht, sondern primär was bleibt. Er gibt uns mit seiner Ansicht die Möglichkeit unser Leben rosiger zu gestalten. Ein leichter Schubs in Richtung Hoffnungsglaube. Er zeigt uns, was es heißt Mensch zu sein, und das mit einer mächtigen Portion filmischer Intensität.

I want to make a film filled with hope, fear and love. I want to take the people to the edge and then show them the power of humanity to win over against all odds. This is going to be a beautiful romantic film that makes people want to hug each other.

Ich möchte daran glauben, dass wir Menschen von Natur aus hilfsbereit sind. Bei aufkommender Verzweiflung in ausweglosen Situationen gibt es immer jemanden, der uns eine helfende Hand reicht. Wir haben sicherlich alle schon einmal erlebt, dass sogar Fremde uns in einer verzwickten Lage geholfen haben oder uns zumindest beigestanden sind. Das was uns zu Menschen macht wird uns definitiv dabei helfen, dass wir dem Chaos zwangsläufig entkommen oder gar entgehen, denn auch wenn diese Ansicht für manche träumerisch oder naiv erscheinen mag, so ist sie sicherlich nicht zu verachten. Im Kern unserer Existenz verweilen doch großteils positive Eigenschaften wie Güte, Gnade und der Wunsch Gutes zu tun. Die Nächstenliebe wird uns zusammenhalten, denn in der Isolation ist sie unser stärkster Verbündeter. Der optimistische Blick ist zukunftsreicher, als sich der ständigen Angst vor dem Unbekannten hinzugeben.


Sehnsucht nach Liebe und Flucht vor Nähe

Der Zwang nach Liebe

Beide Charaktere glaubten zu Beginn der Katastrophe nicht an die Liebe, denn sie hatten beide zuletzt eine negative Erfahrung mit ihr gemacht. Letztendlich begründen ihre Gemeinsamkeiten die gegenseitig entstehende Anziehungskraft. Im Verlauf der Krankheit wird ihre Liebe ihr einziger Halt und gleicht einem persönlichem Widerstand bei fortschreitenden Sinnesschwund. Die Katastrophe führt beiden vor Augen, dass die verbleibende Zeit zu kurz und kostbar ist, um auf die wahre Liebe zu warten und es wichtig ist im Moment zu leben. Die radikale Veränderung auf der Welt lässt sie erkennen, dass manchmal die Furcht vor Verlust notwendig ist, um die Hoffnung zu lernen und letztendlich an sie und die Liebe zu glauben.

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Meine Kollegen zum selbigen Thema:

Grimalkin - Die Apokalypse im Inneren

chita91 - Sommersturm - And the world spins madly on

*frenzy_punk<3 - The End is near

Absurda - Melancholia und der ekeleregende Stumpfsinn des positiven Denkens

(VINCENTVEGA) - Hurra! Die Welt geht unter

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FAQ - Artikelübersicht - blog me if you can

Das nächste Thema für den 1. März lautet "The Sound of Music". Interesse, auch bei blog me if you can mitzumachen? Meldet euch bei chita91 oder Grimalkin!

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