Doppelte Spürnase - Warum schauen wir Ermittlerduos so gerne zu?

04.08.2016 - 10:00 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Se7enWarner Bros.
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Ob Buch, Film oder TV: Die Faszination für das ermittelnde Zweiergespann ist ungebrochen. Was aber löst in uns das rege Interesse an solcherlei Buddy-Geschichten aus?

Heute startet der Kriminalfilm La isla mínima - Mörderland von Alberto Rodríguez um zwei spanische Detektive in den deutschen Kinos. Seit den Anfängen Ende der 40er-Jahre mit Akira Kurosawas Film noir Ein streunender Hund ist die Popularität von Ermittlerduos ungebrochen. Woher aber stammt die Faszination für die doppelte Spürnase? Oberflächlich tritt sie in unterschiedlichsten Färbungen auf. Im Kern aber lassen sich fortwährend gleiche Muster und Konstellationen destillieren, die unser Interesse offenbar besonders stark stimulieren. Es gibt aber auch Ausnahmen, die das Genre zuweilen über seine bekannten Grenzen treibt.

Das zwischenmenschliche Inferno

Starke Konflikte sind der Antrieb einer effektiven Erzählung, heißt es nach diversen filmtheoretischen Maximen. Wenngleich ich diesem totalitären Narrativ nicht gänzlich zustimme, sind doch die meisten Werke, in denen Ermittlerduos eine Rolle spielen, genau darauf gegründet. Ihre Form ist stets die gleiche: Zwei sich abstoßende Gegenpole kommen zusammen, um der Regel des Genres nach einen Fall zu lösen. Der Zuschauer liebt diesen Konflikt, der seine Energie in der Reibung und Spannung des Abstoßens generiert. Er fragt sich, wie es die beiden wohl schaffen, trotz aller Distanz zueinander zu finden. Wie arrangieren sie sich? Durch welche Düsterheiten treibt sie die Handlung, die meist von einem Zeitdruck begleitet wird? Wie wird sich ihr Wesen im Zuge dessen verändern?

Sieben

Die Färbung dieses Konstrukts fällt dabei ganz unterschiedlich aus: Locker-leicht und niemals gefährlich geht es etwa in der Alien-Komödie Men in Black zu, in dem der junge, quirlige Heißsporn auf den stoischen, trockenen Veteranen trifft. Bedrohlicher wird es da schon in David Finchers Thriller-Triumph Sieben. Der kurz vor der Pension stehende Detektiv, dessen letzter Fall noch einmal eine Zerreißprobe wird: Sein neuer, impulsiver Kollege entwickelt sich zunehmend zu einer Konfrontation, an dessen Ende die Frage steht, ob der Alte seine Hoffnung überhaupt noch aufrechterhalten kann oder resignierend vor den Grausamkeiten der Welt seine Polizeimarke gen Aufgabe schmettert. Hier füttert sich der Konflikt zusätzlich mit grundlegensten Fragen.

Im narrativen Auge des Sturms

Auf ein solches Konzept fußt auch die erste Staffel der HBO-Serie True Detective, die nicht von Ungefähr zum Diskurs anregte, der über den reinen Spannungsaufbau hinausgeht. Wenn der Familienmensch mit Schwächen für Frauen auf den einsamen Wolf trifft, der Nietzsche zitiert und seine, wenngleich fälschlicherweise, als pessimistisch bezeichnete Weltsicht auf die Durchschnittlichkeit seines Gegenübers loslässt, greift er nicht nur seinen Partner, sondern auch das Massenempfinden des Zuschauers an. Dieser fühlt sich von solch einer Radikalität angezogen, wenngleich nur die wenigsten in solche Sphären selbst vorstoßen würden.

True Detective

Er will gefordert oder zumindest nicht für dumm verkauft werden. Die Frage, in die das Publikum zwischen den Gegensätzen gezogen wird, ist ein Zentrum der Faszination. Es ist das narrative Auge des Sturms, in dem sich alle Handlungselemente treffen und verwirbelt werden. Die Spannung erreicht hier, bei entsprechend talentierter Komposition, monumentale Ausmaße. Sie ruft Unsicherheit wie Neugier hervor, womit sich interessanterweise wieder ein Gegensatz öffnet. Ein Gegensatz aus dem Gegensatz also. Vereinigt werden diese Kontraste gewohnheitsgemäß von großen Bedrohungen oder Mysterien, welche das Zusammenspiel beider Kräfte erfordern, wie etwa die Aufklärung eines Mordfalles.

Lynch X, oder: von Liebe, Nähe und dem ermittelnden Zuschauer

Bisher beschwor sich das Faszinosum für Ermittlerkonstellationen aus seiner Unterschiedlichkeit. Was aber, wenn die Detektive sich leiden können? Wenn gar eine irgendwie geartete Anziehung zwischen ihnen spürbar ist? Ein Blick auf das Werk David Lynchs zeigt mit Blue Velvet etwa eine solche Konstellation. Früh wird das jugendliche "Ermittlerpaar" als aussichtsreiches Liebespaar etabliert. Während der fortschreitenden Offenlegung einer scheinbar heilen suburbanen Farce und dem damit einhergehenden Abtauchen in immer größere und dunklere Tiefen, kommen sich die Schüler näher. Im Kern wirkt diese Anziehung ebenso wie die Abstoßung, einzig die Fragen verändern sich: Kommen sie zusammen? Überleben beide? Und erneut ist es eine übergeordnete Bedrohung, welche die Fäden zusammenhält und den Zuschauer an sich zieht.

Die langlebige Mysteryserie The X-Files spielte einen Großteil der 90er-Jahre mit dem Publikum, in dem eine Liebesgeschichte der beiden Hauptermittler stets möglich war, aber erst nach Jahren der Unsicherheit in einem Kuss explizit aufgelöst wurde, ganz gleich, wie die Serie danach weiterlief. Ein brillanter erzählerischer Akt der Macher, die sich dieser auf Anziehung gegründeten Kraft bewusst waren und sie genüsslich strecken konnte, ohne Verrat an der Größe der Serie zu begehen.

Einen Schritt weiter geht der eben erwähnte David Lynch mit seinem facettenreichen Genregemisch Mulholland Drive. Die mehrschichtigen Ebenen seiner Erzählung um eine junge, ambitionierte Schauspielerin, die auf eine an Gedächtnisverlust leidende Frau trifft, setzen und drängen den Zuschauer aktiv in die Rolle des Detektivs. Die Suche nach der Identität der Frau ist in ihrer klaren Unklarheit so geartet, dass sich das Publikum seine Puzzleteile immer wieder selbst zusammenlegen muss. Gleichzeitig entreißt Lynch dem Zuseher ständig seine möglichen Erkenntnisse, sodass er sich stetig gezwungen sieht, den Fortschritt seiner Kenntnisse zu überprüfen.

Der Zuseher wird zur aktiven, detektivischen Arbeit regelrecht getrieben und nimmt die (Doppel-)Rollen der Figuren ein. Er wird selbst zur Spürnase. Er kommentiert nicht nur mindestens einmal das Geschehen, sondern liefert ein Kommentar zum Detektivfilm per se, in dem er seine auf zwischenmenschliche Spannung ausgelegte Struktur nutzt, ein großes Mysterium in einer Traumwelt etabliert und ihn um den aktiven Zuschauer als neues Element erweitert, der gar nicht anders kann, als fasziniert auf Spurensuche zu gehen. Lynch bringt es treffend zum Ausdruck:

Menschliche Wesen sind Detektiven gleich. Sie lieben ein Mysterium.

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