Deutsche Dokumentarfilme - Kino oder Fernsehen?

19.05.2011 - 08:50 Uhr
Joschka und Herr Fischer von Pepe Danquart
X-Filme
Joschka und Herr Fischer von Pepe Danquart
Während uns aus Hollywood jeden Tag die neusten News über Vampirfilme und Science-Fiction Abenteuer erreichen, scheint sich die deutsche Kinolandschaft in eine ganz andere Richtung zu entwickeln.

In dieser Woche läuft mit Joschka und Herr Fischer eine Dokumentation über den ehemaligen deutschen Außenminister in den Kinos an. Der Regisseur Pepe Danquart hat mit dieser politischen Dokumentation seine Sportdokus Am Limit und Höllentour hinter sich gelassen und widmet sich dem Werdegang von Joschka Fischer. Pepe Danquart lässt Joschka Fischer aus dem Leben erzählen und ganz nebenbei entsteht aus dem Zusammenschnitt von Archivmaterial und aufwendig inszeniertem Interview ein Rundgang durch die deutsche Geschichte der letzten 60 Jahre. Doch auch Sportfans kommen weiterhin auf ihre Kosten: Seit letzter Woche läuft die Dokumentation Senna über den 1994 verunglückten Formel-1 Fahrer Ayrton Senna in den Kinos und am 16. Juni startet mit Klitschko ein Box-Portrait von Sebastian Dehnhardt (Das Wunder von Bern – Die wahre Geschichte) über die zwei legendären Brüder Wladimir und Vitali Klitschko.

Dokumentation wird Dokutainment
Den Grundstein für das gesteigerte Interesse am Dokumentarfilm hat vermutlich der amerikanische Regisseur Michael Moore vor einigen Jahren gelegt. Seine Filme Bowling for Columbine, über den Amoklauf an Columbine Highschool und Fahrenheit 9/11, über die Hintergründe des 11. Septembers, haben hierzulande für Aufsehen gesorgt. Es fällt jedoch auf, dass die neuen deutschen Dokumentationen mit Michael Moore nur wenig zu tun haben. Mehrfach gerieten seine Filme in die Kritik und ihm wurde ein manipulierter Wahrheitsgehalt vorgeworfen. Morgan Spurlock sorgte für Aufmerksamkeit als er mit Super Size Me die amerikanischen Fastfood Ketten anprangerte. Während in den USA der Fokus auf dem Entertainment liegt, herrscht in Deutschland ein starker Trend zu einem authentischen Abbild der Realität.

Alltagsproblematiken und Gesellschaftskritik
Die neuen deutschen Dokumentarfilme stellen den deutschen Alltag in ihr Zentrum. Neben Joschka und Herr Fischer läuft der Film 9 Leben in den Kinos an. Die Regisseurin Maria Speth setzt sich mit unterschiedlichen Schicksalen von jugendlichen Obdachlosen in Berlin auseinander. Auch die Doku Wadans Welt könnte nicht lebensnaher sein: Es geht um die Probleme, die die große Wirtschaftskrise hinterlassen hat und viele Menschen ihren Job kostet. In Unter Kontrolle blickt Volker Sattel hinter die Kulissen deutscher Atomkraftwerke. Aufgrund der aktuellen Fukushima Ereignisse und der damit aufkommenden Diskussionen in der deutschen Atompolitik wird auch hierbei ein aktuelles Problem der deutschen Gesellschaft aufgegriffen. Der Zuschauer wird hinter die Alltagsnormalität in die Wirklichkeit der Protagonisten geführt. Karin Kapers setzt sich in Aber das Leben geht weiter mit der deutsch-polnischen Vergangenheitsbewältigung von Flüchtlingen auseinander und greift abermals ein vorherrschendes Problem der Integration in Deutschland auf.

Es sind nicht mehr nur trockene Zusammenschnitte, aus denen deutsche Dokumentationen bestehen. Dies zeigt sich vor allem in der Mitte Juni anlaufenden Doku Portraits Deutscher Alkoholiker. Caroline Schmitz spielt mit der Diskrepanz zwischen Leben und Überleben von Alkoholikern in einer Gesellschaft, die von stillschweigender Ignoranz gekennzeichnet ist. Wir hören mittels Voice-Over Anwälte, Beamte, Hausfrauen und Geschäftsführer oder Mütter die über ihre Alkoholprobleme sprechen und werden visuell mit den scheinbar intakten Bildern des Alltags und der Gesellschaft konfrontiert.

Vorgetäuschte Realität
Der neue Trend in den USA sind im Moment Pseudo-Dokumentationen (Scripted Reality) wie Paranormal Activity oder Catfish. Der Zuschauer wird mit einer scheinbaren Dokumentation konfrontiert, die jedoch letztlich nur imitiert ist. Bisher ist dieser Trend in Deutschland lediglich in Form von Doku-Soaps zu sehen. Eine Mockumentary dagegen, bei der es in erster Linie um Unterhaltung und nicht um das vortäuschen von Tatsachen geht, ist vor einigen Wochen mit Die Mondverschwörung in den Kinos angelaufen.

Nicht zu vergessen sind natürlich auch die relativ niedrigen Produktionskosten, die Filmförderung für Dokumentationsfilmer in Deutschland und die Verleihförderung. Nur so ist es möglich, dass vier deutsche Dokumentationen diese Woche in den Kinos starten. Deutlich mehr Dokus statt Spielfilme finden ihren Weg auf die großen Leinwände. Allerdings müssen wir fragen, ob sie zum einen ihr Publikum finden und zum anderen nicht eher ins Fernsehen gehören.

Was denkt ihr? Wie entwickelt sich der Trend weiter?

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