Diese trantütigen Kostümfilme! Alles fein, alles unterkühlt, alles very british. Nicht so bei Joe Wright. Seit den Merchant Ivory-Filmen der 80er und 90er Jahre, wie z.B. Wiedersehen in Howards End und Was vom Tage übrigblieb, werden britische Literaturverfilmungen meist schon von vornherein als stocksteife Angelegenheiten abgetan. Schließlich sind die reichen Leute mit ihren stiff upper lips nicht gerade die dynamischsten Menschen, die auf dem Erdball wandeln. Joe Wright brachte den Pop zurück in die prestigeträchtigen Kostümfilme und natürlich eines: das Gefühl. Zum Kinostart seines gefeierten Actionfilms Wer ist Hanna? lohnt sich ein Blick auf den vielseitigen Sohn Londoner Puppenspieler.
Ein malerischer Regisseur
Mit dem Theater seiner Eltern fing die Karriere im Grunde schon an und wie bei vielen Kollegen führte sie über Super 8-Filme schließlich zu einer Ausbildung. Film, Video und Bildende Kunst studierte Joe Wright Anfang der 90er in London, bevor der Weg weiter zu Kurzfilmen, Produktionsfirmen für Musikvideos und ähnliches führte. Schließlich rief das britische Fernsehen, das seinen Regisseuren seltsamerweise nicht so eine Stillosigkeit einimpft, wie das deutsche. Bereits in der von ihm inszenierten Miniserie Charles II: The Power and the Passion war ein auffälliger Hang zu Plansequenzen zu entdecken. 2003 war das. Zwei Jahre vor der endlosen, ungeschnittenen Festszene in Stolz und Vorurteil, vier Jahre vor James McAvoys Odyssee über den Strand von Dünkirchen in Abbitte.
Joe Wright ist kein perfekter Regisseur. Wie könnten wir das auch von einem Künstler verlangen? Manchmal macht er Fehler, manchmal verliebt er sich allzu sehr in den Kitsch, was insbesondere Stolz & Vorurteil, dessen Vorlage von Jane Austen er vorher nicht einmal gelesen hat, jegliche Gesellschaftskritik austreibt. Doch Joe Wright hat in seinen bisherigen vier Spielfilmen ein untrügliches Gespür für Bildkompositionen bewiesen, die von einem vergleichsweise jungen Regisseur Auskunft geben, der eine künstlerische Vision hat. Joe Wright ist weniger ein Mann für Geschichten, als vielmehr einer für Bilder und Emotionen. So beschreibt Tim Bevan Joe Wrights Ansatz folgendermaßen: “Joe nimmt komplizierte, intellektuelle Ideen, die andere überfordern und übersetzt diese reibungslos in Bilder.”
Deswegen pulsiert in Abbitte die sommerliche Luft, scheinen Bäume, Insekten und sprudelndes Wasser elektrisiert von der Anziehungskraft der beiden Liebenden Cecilia (Keira Knightley) und Robbie (James McAvoy). Joe Wrights Bildern ist die Sinnlichkeit eingeschrieben. Selbst wenn sie das Grauen zu zeigen haben, treffen sie unterwegs die Schönheit. Nicht durchgängig erfolgreich ist das, aber ambitioniert, manchmal sperrig wie in Der Solist, welcher sich der Konventionalität, die sein Trailer verspricht, entzieht. Joe Wright ist ein Regisseur, der ganz genau weiß, was er von einer Einstellung oder Sequenz verlangen muss. Daher sind die Actionszenen in Wer ist Hanna? nicht so inszeniert, wie es zur Zeit im Mainstream-Bereich üblich ist, sondern erinnern in der Kamera- und Figurenbewegung eher an Tänze.
Ob Joe Wright mal ein ganz großer Regisseur wird, wird sich in den nächsten Jahren abzeichnen. Seine ersten vier Filme aber beweisen, dass da einer hinter der Kamera arbeitet, der den Film als emotionales, weil audiovisuelles Medium versteht, der dieses obskure Objekt der cinephilen Begierde – die künstlerische Vision – sein eigen nennt. Wir sollten ihn im Auge behalten.