Der perfekte Ersatz für Amazons beste Fantasy-Serie hat mein Leben zerstört

09.09.2023 - 19:00 Uhr
Baldur's Gate 3 spielt in der Welt von Dungeons & Dragons
Screenshots: Larian Studios/Moviepilot
Baldur's Gate 3 spielt in der Welt von Dungeons & Dragons
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Baldur's Gate 3 ist eine Offenbarung für jeden Fantasy-Fan. Ich habe in den letzten Tagen über 40 Stunden in das Spiel gesteckt, meine ganz eigene Amazon-Serie entwickelt – und kein Interesse mehr an der Realität.

Eigentlich begann alles ganz harmlos: mit der Begeisterung meiner Gaming-Kolleg:innen. Egal ob MeinMMO , GameStar  oder GamePro , alle waren sich sicher, selten bis noch nie zuvor so ein gutes Rollenspiel gespielt zu haben wie Baldur's Gate 3.

Das Game für PC (und seit dem 06. September 2023 auch für Playstation 5) funktioniert wie ein Pen & Paper-Spiel: Jeder erstellt sich vorher eine eigene Figur mit Stärken und Schwächen, die er durch Dialoge, rundenbasierte Kämpfe und zu erkundendes Terrain manövriert. Bei bestimmten Aktionen entscheidet sich durch Würfeln, ob man erfolgreich ist – oder dramatisch scheitert. Eigentlich kann alles passieren.

Das kommt genau zum richtigen Zeitpunkt, dachte ich mir. Schließlich spielt Baldur's Gate 3 im gleichen Universum wie zwei meiner absoluten Lieblings-Fantasy-Titel der letzten Jahre: der maßlos unterschätzte Kinofilm Dungeons & Dragons: Ehre unter Dieben und die zurecht hochgelobte Amazon-Serie The Legend of Vox Machina. Und während ich sehnsüchtig auf Staffel 3 von Vox Machina warte – warum nicht einfach meine ganz eigene Heldinnengeschichte in einer mittelalterlich inspirierten High-Fantasy-Welt schreiben, in der die beste ausgedachte Tierart aller Zeiten existiert: Eulenbären?

Baldur's Gate 3 spielt im Dungeons & Dragons-Universum, wie der gleichnamige Film:

Dungeons & Dragons: Ehre unter Dieben - Trailer (Deutsch) HD
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Mein Auftrag war nach der Einstiegsmission klar: Einen Weg finden, den Parasiten, der mir von oktopusähnlichen "Mind Flayern" eingesetzt wurde, aus meinem Hirn zu entfernen. Ach ja, und die Welt retten – oder zumindest sehr viel Gold zu verdienen, coole Waffen zu kaufen und mit allen NPCs zu schlafen, für die Entwicklerstudio Larian Studios eine sexy Cutscene vorgesehen hat. (Denn Rollenspiele wissen, was vielen Teilen der Gesellschaft als Erkenntnis noch versagt zu bleiben scheint: Es gibt mehr als heterosexuelle Beziehungen und das ist auch gut so.)

Nach knapp einer Stunde im Character Creator hatte ich mir eine muskulöse Halbelfin zusammengebaut, die als Hexenmeisterin mächtige Zaubersprüche erwirken, sich mit ihrem hohen Charisma-Wert aber auch aus jedweder Situation heraus reden kann. Perfekt für Leute wie mich. Ich möchte bei Rollenspielen keine spielerische Herausforderung, ich will in eine Welt eintauchen, die interessanter und weniger stressig ist als die echte. Also spiele ich auf Einfach – und versuche endlosen, Taktik intensiven Kämpfen aus dem Weg zu gehen.

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Meine Crew aus moralisch flexiblen Tunichtguten hatte ich schnell beisammen:

  • Gale: Magier und potenzieller Selbstmordattentäter mit Tantra-Buch, der wirklich sehr gern und sehr ausführlich über seine Katze spricht
  • Lae'zel: ebenso starke wie wütende Froschfrau, deren Drohungen ich mir auf Deko-Kissen sticken lassen möchte
  • Wyll: menschlicher Rich Boy, der sich nicht so richtig entscheiden kann, ob er sich von seinem Vater unfairer behandelt fühlt oder der Teufelin, der er seine Kräfte verdankt
  • Shadowheart: Halb-Elfin, die überraschend liebesbedürftig dafür ist, dass sie sich einem ultrabrutalen Todeskult angeschlossen hat
  • Astarion: Motziger Vampir und mein Lebensabschnittspartner im Spiel. Habe ich beschlossen. Irgendwann klappt es bestimmt, wenn ich ihn oft genug an meine Halsschlagader lasse!

Alles war bereit, um für ein paar Stunden Banditen-Camps zu räumen, mit Inkarnationen des Teufels zu flirten und auszutesten, wie dreist meine Figur Leesah (klang mittelalterlicher) ihren Mitmenschen und Mitwesen ins Gesicht lügen kann. Helden wider Willen beim Arschloch sein zugucken, hat schließlich schon beim Dungeons & Dragons-Film und der Vox Machina-Serie am meisten Spaß gemacht. Doch dann kommt alles anders als gedacht.

Besser als Amazons Fantasy-Highlight: Baldur's Gate hat mich in eine Sinnkrise gestürzt

Statt die coole, unbeeindruckte Schurkin zu sein, die ich in Fantasy-Serien und -Filmen wahnsinnig liebe, verwandle ich mich in kürzester Zeit in einen unglaublichen Softie. Die Hälfte meines Camps ist in mich verliebt? Wer bin ich, ihnen das Herz zu brechen! Die Goblins haben eben noch versucht, mich und den Rest meiner Truppe auszulöschen? Ja, war scheiße, aber sie jetzt im Auftrag eines unsterblichen Generals zu foltern, geht mir dann doch ein bisschen zu weit!

Jede Entscheidung fühlt sich für mich elementar an, die Meinung der (fiktiven! Aus Pixeln bestehenden!!!) Figuren um mich herum bestimmen mein komplettes Handeln. Nach Stunden auf der Couch schrecke ich wie aus einem Fiebertraum auf und stelle fest: Ist ja schon Nacht. Am nächsten Morgen finde ich mich mit Kaffee in der Hand wieder vor der Playstation. Wichtige Entscheidungen müssen gefällt werden und ich bin die Einzige, die sie treffen kann.

Links: Meine Halbelfin. Rechts: Wyll, der mit einer meiner Entscheidungen NICHT einverstanden ist

Schlafe ich mit Shadowheart, die mit einer Flasche Wein auf mich wartet, oder spiele ich mit dem Camp-Hund Ball? Wenn ich mich zu letzterem entschließe, wird Shadowheart mich hassen? Aber wenn ich es tue, mindert das meine Chancen bei dem toxischen Vampir meiner Träume? Die Stunden verfliegen. Eine neue Herausforderung wartet. Schaffe ich es, ein grotesk abstoßendes, verfluchtes Monster unter den Tisch zu saufen, oder entscheiden die Würfel, dass ich es doch bekämpfen muss? Ich bin die unfähige Protagonistin meines eigenen Fantasy-Epos. Das warme, weiche, vor dem TV zerfließende Zentrum der Welt. Geil.

Nach 40 Stunden Spielzeit, in denen ich nicht einmal die Hälfte der Story absolviert habe, steht für mich fest: Baldur's Gate 3 ist das Methadon für mein Herz, das sich nach neuer Fantasie-Chaotik sehnt. Doch statt 2 Stunden Kinofilm oder 10 Folgen Amazon-Serie habe ich potenziell hunderte Stunden Unterhaltung, die sich um mich und meine Entscheidungen herum entfaltet. Wozu Realität, frage ich mich, während ich panisch nach dem Aufladekabel für meinen PS5-Controller suche und längst damit abgeschlossen habe, meine Freizeit in den kommenden Wochen mit irgendetwas anderem als Zocken zu füllen. Wozu Realität, wenn es in Berlin keine Eulenbären gibt?

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