Der mündige Zuschauer - Warum Rauchen im Film erlaubt sein muss

02.04.2018 - 08:50 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Death Proof
Universum Film
Death Proof
Immer wieder gibt es Studien und Kampagnen, die ein Rauchverbot in Film und Fernsehen anstoßen sollen. Doch eine solche Beschneidung von Kunst wäre nichts Geringeres als eine Katastrophe.

Rauchen und Film - für Viele zwei Dinge, die nicht zusammengehören. Dabei hat die Zigarette im Kino eine lange Tradition: Nicht nur gehörten die vor dem Lichtstrahl des Projektors umherwabernden Rauchschwaden des qualmenden Vordermannes lange Zeit zum Besuch eines Kinosaals dazu, auch auf der Leinwand war der Zigarettenverbrauch enorm. Ob Rebell James Dean in ... denn sie wissen nicht, was sie tun, Gentleman Humphrey Bogart in Casablanca, Weirdo Johnny Depp in Fear and Loathing in Las Vegas, Raubein Bruce Willis in Stirb Langsam, High-Society-Lady Audrey Hepburn in Frühstück bei Tiffany oder einfach jeder in Jim Jarmuschs Coffee and Cigarettes: Als Nichtraucher sind sie nur sehr schwer vorstellbar.

Trotz dieser tiefen Verwurzelung der Zigarette in der Filmgeschichte, versuchen Gesundheitsorganisationen und Rauch-Gegner immer wieder, sie gänzlich aus dem Kino und vom TV-Bildschirm zu verbannen. Erst kürzlich sorgte eine Studie für Aufsehen, laut der in Netflix-Serien um ein Vielfaches mehr geraucht wird, als im regulären TV. Auch die Weltgesundheitsorganisation WHO kämpft seit langem für die Verbannung der Glimmstengel von der Leinwand. Der immer wieder angeführte Grund: Die Zuschauer würden sich von den Filmfiguren inspirieren und beeinflussen lassen und anschließend selbst mit dem Rauchen beginnen.

Iggy Pop und Tom Waits in Coffee and Cigarettes

Doch so löblich ihr Kreuzzug gegen das ungesunde Laster im Grunde auch ist - hier ein paar Worte an diejenigen, die sich immer wieder für ein Rauchverbot in Film und Fernsehen aussprechen: Lasst der Kunst ihre Freiheit. Beraubt sie nicht eines sowohl ästhetischen als auch erzählerischen Stilmittels. Und vor allem, seht uns Zuschauer als mündig an.

Die Zigarette: Ein erzählerisches Stilmittel

Wenn eine Figur im Film raucht, dann hat das in den seltensten Fällen den einfachen Grund, dass es "cool" aussieht. Vielmehr ist es ein Mittel zur Charakterdefinition: Marlene Dietrich saugt an ihrer langen Zigarettenspitze und erobert in den 1930er Jahren eine Männerdomäne, zeigt sich als emanzipierte Frau; Sharon Stone qualmt in Basic Instinct in der berühmten Beinüberschlag-Szene und etabliert damit noch einmal ihre Rolle als unwiderstehliche Femme fatale; John Travolta untermauert in Grease seinen Rebellen-Status. Und nicht zu vergessen all die verr(a)uchten Bösewichte, denen der genussvolle Zug an einer dicken Zigarre, während sie sich ihren Kontrahenten überlegen sehen, eine besonders diabolische Aura verleiht.

Sharon Stone in Basic Instinct

Genauso kann das Rauchen aber auch die Geschichte vorantreiben, den Anfang einer Konversation, einer Beziehung oder einer ewigen Liebe bedeuten: Ein einfaches "Hast du mal Feuer?" - bzw. das stilvolle Entflammen und Hinreichen eines Streichholzes - hat in der Geschichte des Films schon so manchen Stein ins Rollen gebracht.

Die Zigarette: Ein ästhetisches Stilmittel

Aber natürlich sollte man auch den ästhetischen Wert eines schön gefilmten Rauchvorgangs nicht vergessen: Wenn sich die hellen Rauchschwaden vor einem dunkleren Hintergrund gemächlich in die Höhe winden, dann bereichert das die visuelle Kunstform Film ungemein. Natürlich eignen sich Schweiß-Weiß-Filme im besonderen Maße dafür, allerdings nicht ausschließlich, was sich unter anderem in Martin Scorseses Rolling Stones-Dokumentation Shine a Light eindrucksvoll zeigt: Gitarrist Keith Richards' Zigarettenrauch tanzt um sein Gesicht, wird von der Bühnenbeleuchtung durchdrungen und wirkt dadurch lebendig. Filmkritiker-Legende Roger Ebert hob genau das hervor, als er schrieb : "Achtet darauf, dass Keith auf der Bühne nicht einfach raucht, sondern die Rauchwolke [...] als Element seiner Performance nutzt."

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Verleugnet nicht die Realität!

Aber ganz abgesehen davon, dass das Rauchen als erzählerisches wie als ästhetisches Stilmittel dienen kann, wäre ein Verbot gleichzusetzen mit einer Verleugnung unserer Welt. Schließlich sollen die meisten Filme ein möglichst genaues Abbild unserer Realität darstellen - und die ist nun mal nicht perfekt, rauchfrei und voller Gesundheitsfetischisten. Ebenso wie hier getrunken, geprügelt, gelogen und betrogen wird (was im Film gezeigt wird, ohne, dass sich Gegenstimmen erheben), wird auch geraucht. Diesen Fakt zu ignorieren würde nicht nur die Authentizität von Filmwelten einschränken, sondern beinahe Schönmalerei gleichkommen. Unerwünschtes einfach auszublenden kann nicht die Lösung des Problems sein.

Marlon Brando in Endstation Sehnsucht

Der mündige Zuschauer

Zu guter Letzt stehen wir als Zuschauer. Genauso wie es Filmemachern nie vorgeschrieben werden sollte, was sie zeigen dürfen und was nicht, sollten auch wir Konsumenten nicht bevormundet werden. Und genau das ist es, was Organisationen versuchen, die Rauchverbote oder einzuhaltende Höchstquoten fordern: Sie wollen verhindern, dass wir uns ein eigenes Urteil fällen können, das möglicherweise nicht dem ihrigen entspricht. Aus diesem Grund behaupten sie, dass das Leinwandgeschehen uns beeinflussen würde - was in Ausnahmefällen sogar der Fall sein mag, jedoch niemals nachgewiesen werden kann. Stattdessen werden Studien präsentiert, deren Ergebnis im Vorfeld bereits feststeht und deren Aussagekraft nur minimal über die einer völlig unfundierten Behauptung herausreicht: So warf die Anti-Raucher-Organisation The Truth Initiative für die zu Beginn erwähnte Untersuchung zu Netflix- und TV-Serien einen Blick auf jeweils nur 7 (!) von ihnen selbst (!) ausgewählte Shows und verglich diese.

Angeblich König unter den verrauchten Serien: Stranger Things

Die Zigarette: Nur ein Stellvertreter

Schlussendlich geht es in diesem Text aber natürlich nicht um das Rauchen an sich, er soll auch kein Pamphlet gegen Tabak-Gegner sein und genauso wenig ein Liebesbrief an die Zigarette. Vielmehr steht das hier in den Mittelpunkt gerückte Tabu für alle Tabus im Film: Sei es die Zensur von Gewalt und Sex oder das Austauschen von Waffen in Kinderfilmen mit Walkie-Talkies (ja, Steven Spielberg, ich schaue auf dich). Unsere Welt ist keine perfekte Utopie, wird es nie sein - und deshalb sollte dies auch im Film in der Regel nicht der Fall sein. Soll die Realität porträtiert werden, dann tut das bitte mit all ihren Abgründen - und wahrscheinlich schreckt das schlussendlich sogar mehr ab, als das es inspiriert und animiert.

E.T.: Wo im Original noch Gewehre waren (oben) sind heute nur noch Funkgeräte (unten)

Was haltet ihr von Rauchverboten oder -obergrenzen in Film und Fernsehen?

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