Dark bei Netflix - Kein Stranger Things-Klon

05.12.2017 - 08:50 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Dark, Staffel 1
Stefan Erhard/Netflix
Dark, Staffel 1
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Fluch oder Segen? Nach dem Start der ersten deutschen Netflix-Produktion kommt man in keiner Diskussion am Vergleich mit dem Überraschungserfolg der Duffer-Brüder vorbei. Dabei liegen die Einflüsse von Dark eigentlich woanders.

Der Elefant steht im Raum, also warum lange drumherum reden? Er heißt Stranger Things und scheint die singuläre Beurteilung der deutschen Netflix-Serie Dark derzeit unmöglich zu machen. Und natürlich, zwei der wichtigsten Prämissen sind sich einfach zu offensichtlich ähnlich, als dass man sie übersehen könnte: Da ist zum einen das zeithistorische Setting beider Serien in den 1980er Jahren und die damit einhergehende Darstellung der entsprechenden Popkultur, und zum anderen die Plots, die das plötzliche Verschwinden von Kindern und die Suche nach ihnen unter mysteriösen und übernatürlichen Umständen in den Mittelpunkt stellen.

Wobei erstgenannte Prämisse in Dark genau genommen überhaupt keine ist, denn Regisseur Baran bo Odar und Autorin Jantje Friese haben die Haupthandlung von Dark in der ersten Folge überhaupt nicht 1986 angesiedelt, sondern in der Zukunft des Jahres 2019. Erst mit fortschreitender Erzählung wird die Verbindung zum früheren Jahrzehnt gezogen. Und nicht nur das, es wird zudem eine weitere Zeitebene eingeführt, die 1953 spielt. Es ist genau dieser zeitliche Handlungsbogen, der den inhaltlichen Kern von Dark definiert, im Gegensatz zu den Duffer-Brüdern, die für ihre beiden bisherigen Staffeln von Stranger Things die Jahre 1983 und 1984 gewählt und diese Welt darin geradezu hermetisch eingefroren haben.

Christian Patzold, Dark

Doch natürlich werden Odar und Friese unaufhörlich mit der Frage konfrontiert, ob ihre Serie eine Antwort auf die Erfolgsserie Stranger Things gesehen werden kann. Beim Pressetermin in Berlin weist die Autorin deshalb noch einmal auf die zeitlichen Produktionsabläufe hin:

Es kann keine Antwort sein, weil wir ja schon in Produktion waren, als Stranger Things herauskam. Da hätten wir uns ja zu etwas verhalten müssen, das wir vorher als existent hätten wahrnehmen müssen – was wir aber nicht haben.

Ein Satz, der sich anhört, als wäre er direkt dem Zeitreise-Plot von Dark entsprungen, doch faktisch ist er leicht nachzuvollziehen. Als Netflix am 24. Februar 2016 bekannt gibt, dass die erste deutsche Produktion des Streaming-Anbieters Dark heißen wird, sind sowohl die Story als auch die Zeitebenen längst gesetzt . Zwar war Stranger Things bereits im April 2015 vom Streaming-Anbieter beauftragt worden, doch dass die Mystery-Serie mit Winona Ryder ein solcher Mega-Hit werden würde, war zu diesem Zeitpunkt nicht annähernd abzusehen. Zur Veröffentlichung der ersten Staffel am 15. Juli 2016 war Stranger Things dann auch zunächst nur eine Serie unter vielen, erst im Laufe der folgenden Wochen und Monate entwickelte sie sich zu dem Publikumsrenner und Aushängeschild, als die sie mittlerweile wahrgenommen wird.

Dark

Stranger Things als Rampe

Für Netflix ist der Zufall natürlich ein riesiger Glücksfall, denn selten war es so einfach, den vielbeschworenen Zuschauer-Algorithmus des Portals effektiver zu nutzen als hier: "Sie sind Fan von Stranger Things? Schauen sie sich Dark an!" Auch für die Wahrnehmung der deutschen Serie bringt der Vergleich letztendlich nur Vorteile, um nicht im Dickicht der mittlerweile kaum überschaubaren weltweiten Eigenproduktionen unterzugehen. Das sieht Dark-Produzent Quirin Berg ebenfalls so:

Stranger Things kann eine tolle Rampe sein. Ich habe die 1. Staffel mit einer riesigen Begeisterung gesehen. In der Positionierung kann man bei gewissen Eckpunkten vielleicht Parallelen sehen, ich würde es noch nicht einmal Ähnlichkeit nennen. Aber ich kann versichern, dass es etwas ganz Anderes sein wird, was die Zuschauer bei Dark erwartet und trotzdem wird es auf dieselben Dinge einzahlen, die uns alle begeistern. Insofern freue ich mich über den Erfolg von Stranger Things. Wir hoffen natürlich, dass die Zuschauer von Stranger Things auch neugierig auf Dark sind.

Autorin Jantje Friese sieht in den auffallenden Parallelen einer ganzen Reihe von erfolgreichen Serien der letzten Jahre ein offensichtliches Zeitgeist- und Generationenphänomen:

Mit Stranger Things und auch The OA ist es eher so, dass jetzt Filmemacher nachkommen, die alle in den 80er Jahren großgeworden sind, die alle Stephen King gelesen haben, die alle Twin Peaks gesehen haben. Und wenn man sich mit den Duffer Brothers auseinandersetzt, da merkt man halt ganz genau, dass sie die Themen interessieren, die uns auch interessieren.

Wobei Regisseur Odar noch einmal ausdrücklich auf offensichtliche Genreunterschiede beider Serien hinweist:

Stranger Things ist eine Horrorshow, die sich den Elementen der Fantasy bedient und wir sind eine Sci-Fi-Show, bei uns geht es um Zeitreise. Das Übernatürliche in Form eines Monsters gibt es bei uns gar nicht.
Das letzte Schweigen

Die tatsächlichen Vorbilder von Dark

Viel interessanter als der Vergleich zu Stranger Things ist übrigens ein Blick in das Werk von Baran Bo Odar selbst, genauer: sein Leinwanddebüt Das letzte Schweigen von 2010. Im Gegensatz zum nachfolgenden Hacker-Thriller Who Am I - Kein System ist sicher war dieser zwar ein ziemlicher Flop an den deutschen Kinokassen, dafür wirkt die psychologische Thriller-Adaption des Romans von Jan Costin Wagner im Nachhinein auf vielen Ebenen wie eine Blaupause für Dark, wenn auch ohne übernatürliche Verknüpfungen.

Auch Das letzte Schweigen spielt teilweise im Jahr 1986, auch hier wiederholen sich Jahrzehnte später (im Gegensatz zu den 33 Jahren in Dark sind es hier 23) die Ereignisse auf verblüffende Weise, Kinder verschwinden und die Ermittler tappen im Dunkeln, dunkle und längst vergessene Familiengeheimnisse kommen ans Licht – und es gibt diesen magisch inszenierten Ort in der Natur als Zentrum der Geschichte: was in Das letzte Schweigen das Maisfeld ist, repräsentiert in Dark die dunkle Höhle im Wald.

Sowohl Odars Kinodebüt als auch Who Am I legen seine filmischen Vorbilder deutlich offen, bei denen sich auch Dark ästhetisch unverkennbar bedient – David Fincher im Speziellen, allgemein die Mindfuck-Thriller der späten 1990er und frühen 2000er und ganz sicher auch die düsteren Bilderwelten von Christopher Nolan. Nicht nur auf der Bildebene sondern auch auf der überpräsenten Audiospur von Dark finden sich zudem deutliche Einflüsse des Werks von David Lynch und natürlich von Stanley Kubrick – besonders des Ton- und Musikkonzeptes in dessen Stephen King-Adaption Shining von 1980.

Nun mag man Dark inhaltlich bewerten wie man will, doch die Stigmatisierung der ersten deutschen Netflix-Produktion als kalkulierten Stranger-Things-Klon wird der Serie und ihrem filmästhetischen Universum ganz sicher nicht gerecht.

Jens Mayer (@jens_mayer ) ist freier Autor und Journalist für Medien-, Film- und Serienthemen. Mit seinem Podcast Serienreif (@serienreif ) begleitet er das deutsche Serienjahr.

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