Daniel Day-Lewis - Der Wahnsinn hat Methode

01.02.2018 - 08:50 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Daniel Day-Lewis
Universal Pictures
Daniel Day-Lewis
12
25
Der seidene Faden startet heute in den deutschen Kinos und markiert angeblich zugleich das Ende der Schauspielkarriere von Daniel Day-Lewis. Doch was soll nach ihm noch kommen?

Die Eröffnungsszene von Paul Thomas Andersons Meisterwerk There Will Be Blood zählt für mich zu den beeindruckendsten Sequenzen der Filmgeschichte, in denen eine Hauptfigur ganz ohne Dialog charakterisiert wird. Die Rede ist natürlich von Daniel Plainview, der vor seiner Karriere als Ölmann obsessiv Silbererze in einer abgelegenen Mine schürft. Als er nach einer Sprengung den Schacht hinunterstürzt und sich das Bein bricht, hält ihn nicht einmal das auf. Der Zuschauer darf sich - Quentin Tarantino wies in einer kurzen Analyse  darauf hin - selbst ausmalen, wie der schwer verletzte Plainview nun mehrere Kilometer durch die Pampa kriecht, um zunächst ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dass ihm das gelingt, setzt der Film im Folgenden voraus und dass wir es sogar gerne glauben, gewährleistet Daniel Day-Lewis. Tatsächlich spiegelt die Szene nicht nur brillant den Protagonisten des Films, sondern auch die Hingabe des Schauspieler dahinter an seine Rollen.

Nicht wenige betrachten ihn als den besten lebenden Schauspieler der Welt - ein Ansehen, das sich Day-Lewis mit relativ wenigen Filmen erarbeitet hat. Außer ihm gewann noch nie jemand dreimal den Oscar als Bester Hauptdarsteller, was sein Ausnahmetalent bestenfalls dokumentieren, aber natürlich keinesfalls erklären kann. Bekannt ist er dafür, nicht nur für die Dauer einzelner Szenen, sondern weit darüber hinaus in eine Rolle einzutauchen und so sich selbst für eine fiktive Figur aufzugeben. In Vorbereitung auf das Abenteuerdrama Der letzte Mohikaner verbrachte er daher eine Weile in der Wildnis und lernte, Kanus zu bauen . Am Set von Mein linker Fuß verblieb er im Rollstuhl und ließ sich in den Pausen von der Crew füttern , um auch vor der Kamera bestmöglich einen Schwerbehinderten abzubilden. Für seinen Part in The Boxer trainierte er 18 Monate , in Einstimmung auf seine Rolle in Der seidene Faden nähte er ein Kleid  und während des Drehs des Historiendramas Lincoln musste ihn jeder mit "Mr. President" ansprechen . Doch eben dieser ganz normale Day-Lewis-Wahnsinn fordert seinen Tribut und so kündigte der 60-Jährige 2017 an, Der seidene Faden werde sein letzter Film als Darsteller sein.

Oscar-Alarm: Daniel Day-Lewis in Lincoln

Von der Idee zum Mythos

Nun könnten Spötter beim Lesen dieser Worte auf die Idee kommen, hier versuche jemand, etwas zu erzwingen oder womöglich gar eine fehlende Begabung mit Besessenheit auszugleichen. Fürwahr habe ich derartige Methoden früher auch belächelt, aber bei Daniel Day-Lewis sprechen die Ergebnisse für sich - auch deshalb, weil dahinter nicht unbedingt Applaus heischende Aufopferung, sondern eine intrinsische Neugier auf Unbekanntes (oder Unterbewusstes) steckt. Nicht nur vermag er es, reale Personen so zu verkörpern, dass er als ihr Leinwand-Zwilling beinahe wirklicher erscheint als sie selbst - beinahe noch beeindrucker sind vielmehr jene fiktiven Figuren wie Daniel Plainview oder William Cutting (Gangs of New York), die es so überlebensgroß eben nur im Kino gibt und die daher immer auch ein Mythos der Unausweichlichkeit umweht. Diese Charaktere kann selbst ein hervorragendes Drehbuch lediglich skizzieren, für das Ausmalen mit Farben ist der Schauspieler zuständig. Und die Stifte von Daniel Day-Lewis muss ein anderer erst einmal haben.

Wie sehr er in seinen Rollen aufgeht, zeigt beispielsweise auch die Tatsache, dass es unmöglich ist, ihn zu parodieren. Da sogar seine Stimme in jedem Film anders klingt, wäre ein solcher Versuch zum Scheitern verurteilt. Denkbar wäre allenfalls, eine bestimmte von Day-Lewis verkörperte Figur zu imitieren, aber selbst das dürfte schwer genug sein, zumal sich sein Schauspiel jedweder Kategorie entzieht. Dabei bleibt sein Gesicht mit den dichten Brauen, den darunter hervorstechenden grünen Augen sowie den markanten Wangenknochen stets klar erkennbar, denn noch nie hat er sich unter dicken Masken oder übermäßig Make-Up versteckt. Radikale Körpertransformationen à la Christian Bale  gibt es bei ihm eher selten, vermeintliche Widersprüche löst er trotzdem auf - oft sogar innerhalb eines einzelnen Films, wenn seine animalische Grandezza die Leinwand füllt. Er kann alles sein ohne hinter einer Tarnung zu verschwinden.

Wer sich jedoch so aufreibt wie er, der braucht zwischendurch Pausen von der Schauspielerei - Day-Lewis nahm sich diese Auszeiten, wann immer er es für angemessen hielt. So kehrte er zwischenzeitlich Mitte der 1990er dem Scheinwerferlicht den Rücken und lernte in Italien das Schuhmacherhandwerk. Nicht nur also ist der Schauspielgigant wählerisch in Bezug auf die Rollen, die er annimmt. Er bricht auch mit der gesellschaftlichen Konvention, die besagt, ein Mensch müsse sein ganzes Leben lang dasselbe tun, was ihn unter Regisseuren vermutlich noch begehrter macht als er ohnehin schon ist.

Das Monster aus There Will Be Blood hat vielleicht doch Gefühle

Doch steckt hinter der Exklusivität seiner Verfügbarkeit auch ein Schutzmechanismus, denn mitunter passierte es, dass Daniel-Lewis eine Rolle nach Drehschluss nur schwer wieder ablegen konnte (den irischen Akzent aus Gangs of New York behielt er mehrere Monate bei ). Oft stellte er Charaktere dar, für die Kontrolle über sich und andere alles bedeutet und vielleicht gerade deshalb ist es leicht, in ihnen stecken zu bleiben. Jene Verschmelzung von Mensch und Fiktion ist so romantisch wie wohl langfristig gefährlich, bis jetzt allerdings kam Day-Lewis immer zurück vor die Kamera, um ein neues Kapitel dieser speziellen Technik der Selbstgeißelung einzuschlagen. Es besteht also durchaus entgegen seiner Worte Hoffnung, Der seidene Faden werde ein Abschied für immer sein. Falls doch, geht mit ihm nicht einfach nur ein Vertreter einer vom Ausstebern bedrohen Schauspielzunft. In Wahrheit nämlich gibt es niemanden wie ihn.

Das könnte dich auch interessieren

Angebote zum Thema

Kommentare

Aktuelle News