Blair Witch Project – Remastered auf DVD & Blu-ray

06.10.2016 - 09:10 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Angsterzeugung 2.0: The Blair Witch Project (1999)Studiocanal
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Kaum ein Horrorfilm der letzten 20 Jahre war so stilbildend wie The Blair Witch Project, keiner nutzte das Found-Footage-Konzept effektiver als er. Wir verlosen DVDs und Blu-rays der Neuauflage und erinnern uns wehmütig an ein beispielloses Kinophänomen.

Als der Independent-Horrorfilm The Blair Witch Project 1999 mit unerwartetem Erfolg veröffentlicht wurde, lief er damaligen US-Kinotrends vollständig zuwider: Denen des Blockbuster-Marktes, der von digitalen Spektakeln wie Matrix, Wild Wild West oder Star Wars: Episode I - Die dunkle Bedrohung bestimmt wurde, vor allem aber den Trends des Genres selbst. Es bemühte sich, noch ganz benommen von der kommerziellen Reanimation durch Scream - Schrei!, um eine Erneuerung zu eingeschränkten Bedingungen. Die postmodernen Teen-Slasher, deren Protagonisten nun im vollen Bewusstsein eigener Klischees und Konventionen auftraten, versprachen Horror mit Augenzwinkern, dessen genuine Affekte der offen vorgetragenen Gewissheit wichen, alles schon einmal durch- und verstanden zu haben. Weiterführenden Erneuerungsversuchen, von der Blockbuster-kompatiblen Aufbereitung klassischer Horrorstoffe (Das Geisterschloss, Die Mumie) bis zu ihrer sonderbaren Verzahnung mit den Hypes des nahenden Millenniums (End of Days, Stigmata), kam dieser Tonfall sehr gelegen. Horror stand bei ihnen für Schrecken, die alles auf einmal wollten: ängstigen, amüsieren, auf sich selbst verweisen.

Nach Unernst und Vergnüglichkeit stand den Machern des Blair Witch Project hingegen nicht der Sinn. Ihrem Film fehlte es an adoleszenten Figuren und altklugen Dialogen, an Blut und an Sex. Es gab keinen maskierten Killer, keine greifbare Bedrohung, keinen figuralisierbaren Antagonisten. Nicht einmal handelsübliche Jump-Scares ließ das realistische, wenngleich mit wirkungsvollen Toneffekten arbeitende Sounddesign zu. Stattdessen zielten die beiden Filmemacher Daniel Myrick und Eduardo Sánchez, zwei Absolventen der University of Central Florida, auf eine Echtheitsemphase ab, die das Horrorkino zuvor nur in Ansätzen erprobte: Fiktion im Dokumentarformat, genannt Mockumentary, präsentiert als amateurhaftes Filmmaterial, das drei in den Wäldern von Burkittsville, Maryland verloren geglaubte Studenten gedreht haben sollen. Ihr Vorhaben, einem Hexenfluch auf den Grund zu gehen, sei von unheimlichen Ereignissen vereitelt worden und in den vermeintlich authentischen Aufnahmen dokumentiert. Eine simple Idee, formal entsprechend umgesetzt: Zu sehen sind, das haben Zuschauer dem Film oft vorgeworfen, kaum mehr als wackelige und unscharfe Bilder, die eben kein Licht ins Dunkel der Geschichte bringen.

Heather Donahue als Heather Donahue: Es tat ihr so, so leid.

Man kann einem Experimentalfilm, und um nichts anderes handelte es sich hier, seine experimentelle Filmsprache ankreiden – es ist nur nicht sonderlich zielführend, wenn die ästhetischen Strapazen gerade Teil des Verunsicherungseffekts sind. Myrick und Sánchez wollten, das bekräftigten sie immer wieder, einen Horrorfilm drehen, der dem Genre seine Unheimlichkeit zurückgibt. Sie hielten herkömmliche Strategien der Angsterzeugung und nicht zuletzt die Möglichkeiten des darstellbaren Grauens für ausgereizt, worin ihnen die flächendeckende und vielleicht auch unausweichliche Ironisierung des Horrorkinos Recht gab. Der entscheidende Schritt des Films war deshalb nicht seine (schnell widerlegte) Behauptung, das Publikum habe es jetzt mit tatsächlichem Horror zu tun. Bahnbrechend war vielmehr die Simulation der an diese Behauptung gekoppelten Authentizität: Den Bildern von The Blair Witch Project lag eine Vertrautheit zugrunde, in der sich der Horror des auf 16 mm und Video gedrehten Materials unmittelbar konkretisieren konnte. Es ging nicht darum, Panik und Hysterie der Darsteller für bare Münze zu nehmen, sondern sich von ihnen infizieren zu lassen. Eine Erfahrung, der jede Formschönheit abträglich hätte sein müssen.

Myrick und Sánchez antizipierten damit jene Do-it-yourself-Ästhetik der Youtube-Ära, die als notgedrungenes Gestaltungsmittel kostengünstig hergestellter Hobbyfilme und Internetvideos zur medialen Alltäglichkeit wurde. Dass beinahe zehn Jahre vergingen, ehe der hier zur Meisterschaft gebrachte Found-Footage-Stil durch Filmserien wie Paranormal Activity, [REC] oder Der letzte Exorzismus im Genre Schule machte (und zu seinem eigenen Klischee gerann), zeigt eigentlich nur, wie sehr The Blair Witch Project und – der Vollständigkeit halber – The Last Broadcast ihrer Zeit voraus waren. Ein verzichtbares Erbe, mögen manche einwenden. Doch haben Myrick und Sánchez das Format, anders als deren Nachzügler, tatsächlich für neue Affekte nutzbar gemacht: Ihre scheinbar ungefilterten Schreckensbilder besaßen eine Unberechenbarkeit, die den filmischen Erfahrungsraum zugleich ausdehnte wie (sichtbar) einschränkte. Bedauerlich war daran nur, dass es die Erben versäumten, der Found-Footage-Ästhetik weitere Aspekte abzugewinnen. Vielfach erlagen sie der Versuchung, das reizvolle Bildergestrüpp wieder in Ordnung zu bringen – und bemühten Genreklischees, von denen sich ihr deklassierter Look eigentlich loszusagen vorgab.

Verästelungen: Ein Sinnbild auch der Aufmerksamkeitsökonomien des Films.

Nicht reproduzierbar sollte auch der PR-Coup des seinerzeit fast ausschließlich übers Internet vermarkteten Films bleiben. Blair Witch Project gilt als erste virale Kinoproduktion, die das noch nicht flächendeckend genutzte Medium voll ausnutzte. Ihre allerorts gestreuten Links führten auf eine Website mit fiktiven Tagebucheinträgen, getürkten Zeitungsartikeln und Polizeiberichten, haufenweise Fotos sowie der berühmten Meldung  über die angeblich vermissten Protagonisten. Als The Blair Witch Project schließlich in die Kinos kam, war der Film zur Legende selbst Legende geworden – ihm gelang das Kunststück, auch die Enthüllungen der Hintergrundgeschichte ("alles Fake") noch zu seinem Vorteil auszulegen. Sämtliche großen Hollywoodstudios bemühten sich in den vergangenen 15 Jahren um vergleichbare PR-Strategien, doch keines hatte den annähernd selben Effekt. Es ist eine schöne Pointe des Blair-Witch-Phänomens und seines Erfolges, dass gegen tatsächliches Interesse auch teuerste Bemühungen um multimediale Aufmerksamkeitsökonomien ein Nachsehen haben können. Daran darf man sich im Kinozeitalter wiedergekehrter Jedi-Ritter und Superhelden durchaus ein bisschen wehmütig zurückerinnern.

Blair Witch Project erscheint am 6. Oktober 2016 "digital remastered" auf DVD und als Neuauflage auf Blu-ray. Zum Gewinnspiel geht es auf der nächsten Seite.

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